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Marpa-Glosse 3/21

Endlich ist in der biederen Schweiz mal echt was los! Nach ein paar hundert Jahren mut- und
endlosem Gequassel um jeden Grenzstein und jedes Schulheft riecht es nun auch bei uns
nach Frühling, Aufschwung, Umgestaltung. Zugegeben, für ‚Revolution‘ reicht es noch nicht
ganz, dafür ist es noch zu muffig hierzulande, gibt es noch zu viele alte, weisse Überflüssige
– aber Corona hilft ja auch da. Eigentlich ein geniales Virus, das da dem Wechsel etwas
nachhilft. Klar wäre uns lieber, es würde noch gezielter die Reichen, die Rückständigen, die
Rechten treffen. Hihi, stellt euch ein Virus vor, das alle SVP-ler wegfegt und uns die
Guillotine erspart! Aber das kriegen wir auch sonst irgendwie hin. Immerhin haben wir in
einem einzigen Jahr die alte vermoderte Eidgenossenschaft in einen modernen,
aktionsfähigen Staat verwandelt, der von wenigen Profis effizient in die richtige Richtung
gelenkt wird: raus aus dem kleinen Mief, aus der Trutzburg mit Ziehbrücken, hinauf ins
Sonnenlicht der EU und der Welt. Wir wollen mitspielen, wenn es um die grossen Fragen der
Zukunft geht. Und die sehen nun mal so aus, dass alle am gleichen Strick ziehen, in dieselbe
Richtung kämpfen müssen, wenn wir eine bessere Welt wollen. Und wer könnte das nicht
wollen? Jetzt ist endlich Zeit, die persönlichen Interessen des Einzelnen zurückzustellen
hinter die grossen Aufgaben des Kollektivs. Eigentlich braucht es eine allmächtige
Weltregierung, aber mit einer straffen Zentralregierung in unserem Land sind wir auf dem
richtigen Weg.

‚Freiheit‘ ist ein altmodischer Begriff der Ewiggestrigen, jetzt geht es ums Überleben der
Menschheit. Und das bedeutet vielleicht mal 100 Jahre Notstand, während denen es gilt, die
Klappe zu halten und sich in den Dienst der Sache zu stellen. Fidel hat das ja genial
formuliert mit der ‚permanenten Revolution‘ im Land der Zigarren. – Klar, jeder Aufbruch ist
auch ein Bruch mit Gewohntem, Vertrautem. Und es geht auch mal was zu Bruch.
Fensterscheiben von nicht korrigierbaren Kapitalisten, von Leuten, die nicht dazugehören,
die den Aufbruch nicht mittragen wollen. Da kann auch mal ein Genick brechen, aber was
solls: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Wichtig ist doch, das Ziel nicht aus den Augen zu
verlieren. Wenn ich an Matteas schönen Lippen hänge, wird mir warm ums Herz: sie sagt,
was wir alle denken! Vielleicht wird sie zur Jeanne d’Arc Helvetiens? Und unser aller Führer
Alain setzt bereits tatkräftig um. Spüren Sie es denn nicht, diese kollektive Beseeltheit,
dieser Drang, endlich Geschichte zu schreiben? Es ist das, was damals die Jakobiner
antrieb, die Monarchie abzuschaffen. Bei uns sind es die Geldsäcke, die wir im Visier haben.
Es ist das, was die jungen Männer mit Begeisterung in den ersten Weltkrieg ziehen liess.
Machen Sie mit, schliessen Sie sich dem helvetischen Frühling an. Piepegal ob wir es
mithilfe von Corona, Klima, Cancel Culture, Wokeness oder was auch immer schaffen.
Hauptsache Notstand, den brauchen wir, um vorwärts zu kommen. Und wir müssen nun, wie
Kollege Thomas Brussig es ausdrückte, endlich „mehr Diktatur wagen“! Lassen Sie mich
schliessen mit dem Zitat aus der Rede eines Philosophen, der das Gebot der Stunde damals
glasklar erkannte: „Es genügt nicht allein, die Neuordnung zu begrüssen, es gilt das
Entweder-Oder, sich zu entscheiden, sich unter die Befehlskraft der neuen Wirklichkeit zu
stellen oder mit einer versinkenden Welt unterzusinken.“ (Martin Heidegger in seiner
Freiburger Rektoratsrede 1933). Okay, es versank dann das andere. Aber bei uns nicht.
Garantiert.

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