Share this post on:

Ein Team um den Equipentierarzt kühlt ein Championatspferd in der 10-Minutenpause

Brauchte es das überhaupt? Wenn man ‘Coaching’ genug weit fasst und die Ziele genug hoch hängt, dann unbedingt ja. Aber ein vielseitiger, hochengagierter, talentierter Einzelkämpfer kann durchaus auf ein beachtliches Leistungsniveau kommen ohne irgendwelche Hilfe von aussen. Er sucht und findet das Pferd, bildet es ganz allein aus in allen drei Disziplinen, beschlägt und impft sein Pferd selbst, sitzt am Steuer durch halb Europa, bereitet seinen Start allein vor, läuft das Gelände allein ab und tauscht sich auch nach den einzelnen Auftritten mit niemandem aus. – Theoretisch ist das möglich, und vielleicht gibt es irgendwo einen solchen Solisten, aber ich kenne keinen, der auf diesem Weg in die ‘Top-Hundert der Welt’ vorgestossen wäre.

In anderen Sportarten mag der Coach und Wettkampfbetreuer eine einzige Person sein, im CC ist es in aller Regel ein ganzes Team. Und die grosse Herausforderung besteht darin, die unvermeidlich entstehenden Spannungen innerhalb des Teams so zu glätten, dass Pferd und Reiter ihre bestmögliche Leistung abliefern können.

Eines der offensichtlichsten und grössten Probleme im ambitionierten Pferdesport ist, dass man unbedingt möglichst früh damit anfangen sollte, sich das aber als Kind und Teenager in aller Regel nicht leisten kann. Wenn man nicht das Glück hat, in einer Rösseler-Familie aufzuwachsen oder zumindest in einem Umfeld, das diesem fast nicht zu stillenden Drang der Kinder auf’s Pony oder Pferd Verständnis entgegenbringt und die Erfüllung des Wunsches auch finanzieren kann und will, dann ist das pferdeverliebte Kind auf Unterstützung von aussen angewiesen. Die klassische Karriere ist, in Reitställen auszuhelfen und sich so erste Reitstunden zu verdienen und – wenn zur Leistungsbereitschaft auch ein Schuss Talent kommt – so auf sich aufmerksam zu machen, dass man die Pferde anderer reiten, vielleicht sogar das Brevet, die Lizenz machen und erste Turniererfahrung sammeln kann. Ein kleines Land wie die Schweiz sollte diesen Weg aktiv fördern und willige Talentierte möglichst früh entdecken und fördern. Es gibt schlicht zu wenige junge Glückspilze, die Talent und Biss haben und auch noch in Familien gross werden, die sich den Pferdesport leisten können und wollen. In anderen Pferdeländern wie Deutschland, Frankreich und Italien gibt es diese Chancen noch, bei uns gab es sie zu Kavalleriezeiten mit einer Anstellung in der EMPFA, die Olympiasieger wie Henry Chammartin und Weltmeister wie Auguste Dubey und viele weitere Spitzen-Reitsportler hervorbrachte. Heute ist es dank dem unermüdlichen Einsatz des langjährigen Equipenchefs und der guten internationalen Resultate der Elite möglich, dank darauf gründendem Support durch Swiss Olympic und weiterer Unterstützer auch dem Nachwuchs bessere Trainingsmöglichkeiten und intensivere Wettkampfbetreuung zu bieten. Hier ein Versuch, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, wer alles zum Erfolg unserer leistungsbereiten Sportreiter beitragen kann:

Nachwuchshoffnung Robin Suter, Kader Junioren

Familie

Bei den meisten Kindern und Jugendlichen sind es – mindestens zu Beginn der reiterlichen Laufbahn – die Eltern, die ihrem Sprössling die Reiterei nicht nur finanziell ermöglichen, sondern ihn auch in Training und Wettkampf betreuen und coachen, z.B. in den beliebten Führzügelklassen und bei den ‘Tagen der Jugend’. Aber auch wenn mit wachsenden Anforderungen Reitlehrer, Trainer, Betreuer und Coaches einen Teil der Aufgaben übernehmen, bleiben viele Eltern während der ganzen Karriere ihres Kindes irgendwo involviert. Ein bekanntes Beispiel für dieses nie abreissende Engagement der Eltern als Trainer und Wettkampfbetreuer finden wir bei der Familie von Michael Jung, Doppelolympiasieger, Weltmeister und mehrfacher Europameister in der Vielseitigkeit, dessen Vater Jochen bis heute bei nahezu jedem Auftritt des Sohnes zugegen ist und dessen Mutter nach wie vor die ganze Administration für all seine internationalen Auftritte besorgt. Auch Martin Fuchs, bereits mehrfach während Monaten die Weltnummer 1 und aktuell Weltnummer 2 der Springreiter, wird nach wie vor von seinem Vater Thomas gecoacht, der auch als offizieller Trainer des Elitekaders fungiert. Je professioneller der Pferdesport betrieben wird, desto grösser und professioneller wird auch das Team rund um den einzelnen Sportler und die ganze Wettkampfbetreuung und das Coaching werden sowohl zeitlich wie das Know-how betreffend so anspruchsvoll, dass es kaum mehr von einer Einzelperson bewältigt werden kann.

Ellen van Londen, talentierte Nachwuchsreiterin mit gutem Umfeld

Privatteam

Wenn wir ‘Coaching und Wettkampfbetreuung’ genügend weit fassen, gehört ein beeindruckend grosses Team dazu. Natürlich können sich gewisse Funktionen, die wir im Folgenden aufführen, überlappen und von einer einzigen Person ausgeübt werden, insbesondere können wie oben ausgeführt die Eltern über lange Zeit viele Funktionen innehaben, aber mit der wachsenden Anzahl Pferde und Turnierstarts wird das immer schwieriger. Sogar der langjährige Teamveterinär und Elitechef der Schweizer Vielseitigkeitsreiter, Dominik Burger, hat sich inzwischen auf die Funktion des Elitechefs konzentriert und eine Tierärztin ins Team aufgenommen. Auch Jochen Jung ist längst nicht mehr der einzige Coach und Trainer seines Sohnes Michael Jung, der auch vom langjährigen Teamverantwortlichen der deutschen Vielseitigkeitsreiter, Chris Bartle, wertvolle Impulse erhielt.

Hier also eine jederzeit erweiterbare Liste von möglichen Teammitgliedern, die über die Familie hinaus irgendwo rund um die Karriere eines ambitionierten Sportreiters eine unterstützende Rolle spielen. Wir beginnen mit dem ‘Privatteam’, den Supportern ‘zuhause’, die wir eher unter den Begriff der ‘Coaches’ subsumieren können und die wichtig sind, ohne dass sie zwingend auch an den Wettkämpfen dabei sind. Die Abtrennung von den Wettkampfbetreuern ist allerdings unscharf, da sich einige Funktionen überlappen und viele der privaten Supporter immer wieder auch an den Wettkämpfen dabei sind.

Valentine Ray beim ersten Start als Teammember

Zum Privatteam können wir zählen:

Reitlehrer, die dem Anfänger das ABC und den anständigen Umgang mit den Ponys und Pferden beibringen und die später dem in verschiedenen Disziplinen ambitionierten Reiter helfen, sich ‘zuhause’ auf die Turnierstarts vorzubereiten. Für einen Vielseitigkeitsreiter kommt irgendwann in seinem Entwicklungsweg zu den höheren Anforderungen der Punkt, an dem er mit Spezialisten der einzelnen Disziplinen trainieren will und muss.

Stallbesitzer, die dafür sorgen, dass die Reitwilligen auch die Arbeiten vor und nach dem Reiten, vom Ausmisten der Box über das Putzen und Satteln bis zur Pferdepflege kennenlernen und verinnerlichen.

Pferdebesitzer, die jungen Pferdeleuten die Chance geben, auf ihren Pferden Erfahrungen zu sammeln und die Pferde im besten Falle sogar weiter zu bringen und an Turnieren vorzustellen. Dann natürlich die Pferdebesitzer, die ganz gezielt Spitzenreiter mit hochkarätigen Pferden ausrüsten. Alle Pferde, die an der WM CC 2022 in Pratoni für die Schweiz am Start waren, gehörten nicht den Reitern. Solche Besitzer sind das Rückgrat eines so kostspieligen Sports.

Tierärzte, die nicht nur verletzte und kranke Pferde behandeln, sondern alles daran setzen, die gesunden Pferde gesund zu erhalten, ihre Leistungsfähigkeit unter Beachtung des Alters, des Ausbildungs- und Trainingsstandes immer wieder zu überprüfen, übereifrige Reiter zu bremsen, allzu zögerliche Reiter zu ermuntern und auch zusätzliche Fachkräfte aus gesundheitsrelevanten Bereichen beizuziehen und den direkten Kontakt mit allen im Team des Reiters Involvierten zu suchen wie z.B. den Hufschmieden.

Hufschmiede, die die Sportpferde möglichst langfristig und vorausschauend betreuen. Gerade bei den Vielseitigkeitspferden mit viel Vollblutanteil sind die Hufe oft ein überaus delikater und anfälliger Bereich, da bei der Rennpferdezucht wenig auf die Härte und Qualität der Hufe geachtet wurde, da die Renner fast nur auf idealen Gras- oder Sandböden unterwegs sind. Auch bei den Hufschmieden ist die teaminterne Kommunikation von grosser Bedeutung.

Sponsoren, die den wachsenden Erfolg eines Sportreiters, sein Image und das Image seines Sports auf ihr Unternehmen oder auf spezifische Produkte übertragen wollen und den Sportreiter als Botschafter seiner Produkte auftreten und agieren lassen; bei jungen Sportreitern, die noch in der Ausbildung sind, kann es sich auch um Lehrbetriebe, bei erwachsenen erfolgreichen Reitern um den Arbeitgeber handeln.

Mäzene und Helfer, die den Sportreiter mit finanzieller Hilfe oder mit persönlichem Arbeitseinsatz unterstützen, ohne einen materiellen Gegenwert einzufordern. Gerade diese Gruppe von Supportern ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Nahestehende, die uns Sportreiter ins Training oder ans Turnier fahren, die bei Abwesenheit den Stall machen und die zuhause gebliebenen Pferde bewegen, erfahrene Reiter, die uns Gratistipps geben und alle, die spontan zuhause oder am Turnier Hand anlegen.

Grooms, je nach Anzahl Pferden und besuchten Turnieren kommt für viele Sportreiter der Punkt, wo eine bezahlte Hilfskraft angestellt werden muss. Viele der bestausgebildeten Grooms aus aller Welt unterteilen ihre Berufsgruppe in Stallgrooms und Turniergrooms, also in Grooms, die den Stall managen bei Abwesenheit des Reiters und solche, die unbedingt ans Turnier mitkommen wollen und dem Reiter dort soviel Arbeit abnehmen wie möglich. Auch diese Supporter können eine eminent wichtige Rolle spielen, da sie die Pferde oft am besten kennen, am häufigsten und zeitlich am längsten mit ihnen zusammen sind, jede kleinste Verletzung und jedes abweichende Verhalten erkennen und die nötigen Massnahmen einleiten bzw. den Reiter informieren können. Gute Grooms können – wie alle auf dieser Liste – in hohem Masse ‘medaillenrelevant’ sein. Es scheint mir auch richtig, dass die Leistung der Grooms an vielen Turnieren und in den Medien immer wieder explizit Wertschätzung erfahren.

Wettkampfbetreuung

Crosstrainer Andrew Nicholson beim Course-Walk mit Mitgliedern des Elite-Teams

Damit sind wir nun bereits bei den Supportern, die spezifisch zur ‘Wettkampfbetreuung’ gehören. Auch hier wächst das Umfeld und die Grösse des Teams meist mit den Anforderungen und der Anzahl Pferde, die ein Reiter an einem Turnier vorstellt. Wobei es durchaus Reiter auf internationalem Level gibt, die auch mit mehreren Pferden möglichst alles allein zu bewältigen versuchen. Andererseits sind auch bei ganz kleinen lokalen oder regionalen Turnieren gerade junge, unerfahrene Reiter froh und dankbar für eine Betreuung durch Vertrauenspersonen, seien es die Eltern, die vertrauten Reitlehrer, Trainer, Freunde, die mit anpacken oder auch Konkurrenten, die vielleicht schon über etwas mehr Erfahrung verfügen. Wichtig und oft erfolgsrelevant ist bei den Vertrauenspersonen am Turnier das Mass der Freiwilligkeit der eingegangenen Beziehung. Ist der Wettkampfbetreuer eine Person, die sich der Reiter ausgewählt hat und mit der er auch in Stresssituationen gut klarkommt, oder ist es eine offizielle Person, ein Funktionär und Rollenträger, mit der er sich abfinden muss, die ihm aber vielleicht auch neue Impulse geben und sein Know-how erweitern kann, wenn er sich offen dafür zeigt?

Auf höherem Level zeigt sich bei den meisten Sportreitern eine vergleichbare Struktur des Wettkampfbetreuungsteams und es kommen die besagten offiziellen Rollenträger dazu, die zur Disziplinleitung gehören oder von ihr ausgewählt sind.

Masterclass-Events und Turniere

Während der turnierarmen Coronazeit behalfen sich die Vielseitigkeitsreiter mit intensiven Trainings in allen Disziplinen und mit sogenannten ‘Masterclass-Events’, die wie richtige Turniere abliefen mit dem Eintritts-Vet-Check, dem entsprechenden Outfit von Pferd und Reiter, genauen Zeitplänen und Einzelstarts. Der einzige Unterschied zu richtigen Turnieren: es gab keine offizielle Rangliste und kein Preisgeld. Damit war die Schweiz vielleicht besser auf die erste Nach-Coronasaison vorbereitet als andere Nationen. Auch die Erfindung und Durchführung dieser Masterclass-Events gehört damit im weitesten Sinne zur ‘Wettkampfbetreuung’.

Im engeren Sinne gehören zu den Wettkampfbetreuern sowohl die Hometrainer und Supporter aus dem privaten Umfeld, die am Turnier dabei sind, sowie bei steigenden Turnier-Levels folgende Funktionsträger:

Kaltplasma-Behandlung der Muskulatur mit dem EquCellpen

Equipentierarzt. Er prüft im Idealfall schon vor der Abreise ans Turnier, ob die Pferde ‘fit to compete’ sind. Zumindest bei Team-Events wie den Nationencup-Prüfungen oder anderen Ausland-Turnieren mit Teamwertung ist dies der Fall. Am Turnier ist er zuständig für die Gesunderhaltung der Pferde und für allfällig nötige Behandlungen bei Verletzungen und Einweisungen in Tierkliniken. Gute Equipentierärzte helfen auch anderen Nationen, wenn sie Unterstützung brauchen. So entwickeln sich Freundschaften über die Landesgrenzen hinaus, die im Fall der Schweizer Vielseitigkeit sogar dazu führten, dass der neuseeländische Top-Reiter Andrew Nicholson als Trainer für die Elite gewonnen werden konnte.

Andrew Nicholson and NEREO – Cross Country phase, Mitsubishi Motors Badminton Horse Trials, Badminton House, 9th May 2014

Wichtig ist auch beim Bereich Gesundheit die Kommunikation mit allen Beteiligten. Je nach Thematik ist nicht nur der Reiter anzuhören, sondern auch sein Groom, der Fütterungsverantwortliche, der Heimtierarzt, allfällige weitere Gesundheitsfachleute wie Osteopathen, Chiropraktoren, Akupunkteure, Homöopathen etc. Wichtig ist, dass keine Vorurteile, absolute Wahrheitsansprüche oder Kompetenzrangeleien dem Gesundheitsmanagement im Weg stehen. Gerade unter dem Aspekt des Dopingstatuts mit der Nulltoleranz bei Pferden im Unterschied zu menschlichen Athleten ist die Offenheit gegenüber alternativmedizinischen Ansätzen im Pferdesport gross. Letztlich ist sekundär, was geholfen hat, Hauptsache das Pferd ist ‘fit to compete’, erleidet keine Folgeschäden und die Behandlung war regelkonform.

Gilles Ngovan, Kadertrainer Dressur

Kader- und Equipentrainer. Bei den Qualifikationsturnieren für Championate und bei allen Championaten sind die Kadertrainer dabei, in der Vielseitigkeit ist das ein hochkompetenter Spezialist für jede der drei Disziplinen. Sie kennen die Pferd-Reiter-Paare von den Trainings und bereiten sie für die Wettkämpfe vor. Mit dem Dressurtrainer kann man in der Regel schon an den Vortagen vor der Dressur arbeiten, je nach Zeitplan auch mit dem Springtrainer. Mit dem Geländetrainer wird die Geländestrecke mehrfach abgelaufen, analysiert und besprochen. Wenn immer möglich steht er auch unmittelbar vor dem Start für die Vorbereitung zur Verfügung. Über die Frage, wie weit die Vorbereitung mit den Kadertrainern obligatorisch oder freiwillig sein soll für die Teamreiter, wird verständlicherweise immer wieder debattiert. Es ist eine generelle Thematik im Sport, dass sich die vielen Mitglieder des Unterstützungsteams eines Sportlers nicht immer in allen Fragen einig sind und dass sich gewisse Zuständigkeiten überlappen. Im Schweizer CC klappt dies derzeit sehr gut. Die Kadertrainer kommunizieren mit den Privattrainern der einzelnen Reiter und bemühen sich um eine ‘unité de doctrine’, was allerdings nur klappt, weil auch die Privattrainer sich interessiert und umsetzungsfreudig zeigen.

Lesley McNaught, Kadertrainerin Springen

Equipenchef. Er ist zusammen mit den anderen Mitgliedern der Selektionskommission wesentlich mitverantwortlich für die Vorbereitung, Planung und schliesslich die Selektion der Teams für die Nationenpreisturniere und die Championate und für ihre Betreuung am Turnier. Die Berufung in die verschiedenen Kader ist primär vom im Vorjahr Geleisteten abhängig. Der Equipenchef muss aber auch das Potenzial der verschiedenen Paare abschätzen, das Alter und das Verbesserungspotenzial der Pferde berücksichtigen, die Entwicklungsaussichten, aber auch die psychologischen, sozialen, ökonomischen Möglichkeiten von Reitern und Pferden zu beurteilen versuchen. Hier kommen soviele auch sogenannt ‘weiche’ Faktoren zusammen, dass es kaum je absolut richtige, unanfechtbare Entscheidungen gibt. Je nach Bedeutung eines Turniers oder Championats entscheidet sich der Equipenchef dafür, jüngeren Nachwuchsreitern eine Chance zu geben, aber stets im Bemühen, Paare nicht zu früh mit zu schwierigen Anforderungen zu überfordern – oder er geht auf Nummer sicher und schickt lauter altbewährte Paare an den Start, die aber vielleicht den Zenith ihrer Laufbahn bereits überschritten haben. Unter diesem Aspekt hat der Equipenchef in allen Disziplinen grossen Einfluss auf die Beschickung wichtiger Turniere und damit auch auf reiterliche Karrieren. Eine weitere delikate Aufgabe des Equipenchefs bei Nationencups und Championaten ist die Bestimmung der Startreihenfolge der Teammitglieder. Erfahrung, Präferenzen und Chancen jedes Reiters auf eine Einzelplatzierung werden berücksichtigt. Meist wird sich das
Team einig. Wenn das einmal nicht gelingt, kann man die Reihenfolge auslosen oder der Equipenchef bestimmt sie. Am Turnier ist der Equipenchef auch für alle administrativen Belange zuständig und übernimmt die ganze Kommunikation zwischen dem Veranstalter und den Reitern. Während der Prüfung entscheidet er, welche Informationen wann in welcher Form an die Reiter weitergegeben werden. Auch dies braucht psychologisches Geschick und kann gerade in der Vielseitigkeit bei Vorkommnissen auf der Geländestrecke die Motivation der Reiter stark beeinflussen. Schliesslich ist er verantwortlich für das Zusammenspiel des ganzen ‘Orchesters’ aus Reitern, Coaches und Besitzern.

Equipenchef Dominik Burger mit dem Siegerteam des Nationenpreises in Rom

Equipen-Hufschmied. Er kennt die Teampferde und ist so ausgerüstet, dass er auch während einer Prüfung jederzeit Unterstützung anbieten kann. In der Regel wird nur für wichtige Championate ein Equipenhufschmied beigezogen.

Mentaltrainer. Die mentale Verfassung eines Reiters kann in hohem Masse erfolgsrelevant sein. Im Idealfall haben die Reiter bereits im Vorfeld mit dem Mentaltrainer gearbeitet und können am Turnier auf eingespielte Kommunikation und vertraute Übungen zurückgreifen.

Turnierveranstalter. Im weitesten Sinne kann man auch viele Angebote der Turnierveranstalter zur ‘Wettkampfbetreuung’ zählen. Die Informationen im Vorfeld und der Informationsfluss während des ganzen Turniers, die Beschilderung der Anfahrt, der freundliche Empfang, die Vorbereitung und die Funktionstüchtigkeit der Stallungen auch bei schlechtem Wetter, die Versorgung mit Heu und Einstreu, die Möglichkeiten der Verköstigung, die sanitären Anlagen, die ganze Turnierinfrastruktur, die Bodenqualität und Bodenpflege insbesondere auf der Crossstrecke der Vielseitigkeitsprüfungen, das Rahmenprogramm, die Eröffnungszeremonie, die Briefings und die Preisverleihungen, die Preissummen und die Naturalpreise, das Speakerteam, die medizinische Versorgung, die mediale Abdeckung z.B. durch Livestream-Übertragungen – all dies prägt die Atmosphäre, das Ambiente eines Turniers und ist über den Einfluss auf die Motivation und das Wohlbefinden der Teilnehmer in nicht zu unterschätzendem Masse auch sportlich erfolgsrelevant. Dass all die erwähnten Rahmenbedingungen durchaus zur ‘Betreuung’ gehören, merkt man am besten, wenn eines der Elemente völlig fehlt oder nur in markant schlechter Qualität vorhanden ist. Reiter und Pferd fühlen sich dann rasch ‘schlecht betreut’ vom Veranstalter. Ein Hinweis auf die Bedeutung und die Wertschätzung guter Leistungen der Turnierveranstalter spiegeln sich in den Umfragen und in den auf dem Feedback der Teilnehmer basierenden Ranglisten der besten und beliebtesten Turniere.

Kreative Reibeflächen im grossen Team

Konfliktpotenzial ist in jeder Gruppe vorhanden. Mit Reibungen und Wettbewerbsdruck innerhalb einer Gruppe ist es wie mit dem Druck, den sich die meisten Sportler selbst machen: Wenn die Debatten vernünftig und anständig ausgetragen werden, wenn das Mass des ausgeübten Drucks stimmt, kann beides in positivem Sinne erfolgsrelevant und teamfördernd sein. Aber bei all den Erwartungen, die Sportreiter an sich selbst stellen und die auch von aussen an sie gestellt werden, bei all der Anspannung der sich mitverantwortlich fühlenden Mitglieder des Supportteams eines Reiters können Konflikte auch einmal die Stimmung belasten und die Leistung der Reiter verringern. Das Konfliktpotenzial lässt sich unter anderem dadurch minimieren, dass Zuständigkeiten und Kompetenzen klar geregelt sind und sich möglichst wenig überlappen. Bei den offiziellen Funktionsträgern des Leitungsteams sind die Kompetenzen durchaus geregelt und sie kommen sich gegenseitig selten ins Gehege, aber zwischen den Funktionsträgern der Verbände einerseits und den Reitern mit ihrem Privatumfeld andererseits sind die Konflikte in der Struktur des Pferdesports angelegt und nie ganz vermeidbar. Wenn wir hier ein paar der der häufigsten und für den Sport relevantesten potentiellen Reibungsflächen skizzieren, so in der Absicht, sie bewusst zu machen und sie präventiv wenn immer möglich im kreativen und erfolgsfördernden Bereich zu behalten.

Reiter untereinander

Die Mitglieder eines Reitsportteams sind im sonstigen Turnieralltag Konkurrenten – und bei aller Einsicht in die Wichtigkeit des Teamerfolgs bleiben sie es auch bei einem Teamstart. Keiner will das Streichergebnis liefern, jeder möchte den besten Beitrag zum Teamergebnis liefern und gleichzeitig eine gute Position auf der Einzelrangliste erreichen. Die alte Mär, dass die Schlussreiter am zweiten Dressurtag bessere Chancen auf einen Spitzenplatz hätten, bestätigt sich nur deshalb, weil die bislang erfolgreichsten Paare eben fast immer von ihren Equipenchefs als letzte eingesetzt werden. Aber der alte Aberglaube führt immer wieder um ein Gerangel bei der Ausmarchung der Startreihenfolge, die natürlich auch bezüglich des Stresslevels im Gelände wichtig ist. Zu Konflikten untereinander kann auch das Verhalten des Reservereiters oder das eines Teammitglieds nach einer Elimination führen. Gute Teamplayer bieten ihre Hilfe für alles und jedes an, auch für die Unterstützung der Grooms. Sie sind positiv und motivieren die andern, weiterzukämpfen. Es kam aber auch schon vor, dass im Gelände eliminierte Teammitglieder am Samstagabend zusammenpackten und nach Hause fuhren und das Team am abschliessenden Sonntag im Stich liessen. Nicht alles lässt sich im Voraus mit Weisungen regeln. Teamspirit ist etwas, was in einem Einzelsportler wachsen und verinnerlicht werden muss. Geschieht dies nicht, darf er sich nicht wundern, wenn er nie mehr in ein Team berufen wird.

Reiter und Equipenchef

Wie bereits bei der Beschreibung der Aufgaben des Equipenchefs angesprochen sind gewisse Auseinandersetzungen mit den Reitern systemimmanent und unabhängig von den beteiligten Persönlichkeiten völlig normak. Die Lösung dieser kleinen Meinungsverschiedenheiten klappt meist in Form eines Lernprozesses des Reiters. Reitsportler sind in erster Linie Einzelsportler und kommen allein bzw. mit ihrem privaten Support-Team soweit, dass sie überhaupt in ein Team berufen werden. Viele Reiter bekunden zu Beginn manchmal Mühe, nun plötzlich teamorientiert zu denken und zu handeln und ihren persönlichen Ehrgeiz zugunsten des Teamerfolgs etwas zurück zu nehmen. Die Regionalverbände haben diese Problematik erkannt und bieten bereits auf tieferen Stufen die Möglichkeit, Teamfähigkeit zu erwerben und auch die Freude am Teamerfolg kennen zu lernen. Und wer die Chance hat, bereits als Ponyreiter, Junior oder Junger Reiter in einem Championatsteam zu reiten, bringt in der Regel bessere Voraussetzungen mit, ein verlässliches und angenehmes Teammitglied zu werden, wenn er eines Tages in ein Elite-Team berufen wird. Es gibt aber auch unzählige weitere Reibungsflächen zwischen Reiter und Equipenchef: welche Trainings, welche Vorbereitungsturniere, welche Lektionen vor dem Auftritt am Turnier, welche Meetings, Gelände- und Parcoursbesichtigungen, welche Rahmenanlässe sind obligatorisch, welche freiwillig. Sogar Tenufragen können zu Konflikten führen. Aber Equipenchefs sind meist hochgradig sozialkompetent und verfügen über eine natürliche Autorität, sodass auch solche kleinen Stürme im Wasserglas sich rasch wieder glätten.

Pferdebesitzer und Equipenchef/Reiter

Pferdebesitzer können bei der Turnierauswahl in Konflikt mit dem Equipenchef bzw. ihren Reitern geraten. So verboten die Besitzer des legendären, von John Whitaker gerittenen Schimmels Milton unnachgiebig die Teilnahme an Olympischen Spielen. Bei Konflikten zwischen Besitzern und Reitern versucht der Equipenchef vermittelnd zu wirken. Es gilt, die Pferdebesitzer miteinzubeziehen und deren Meinung zu respektieren.

Reiter/Pferdebesitzer/Privattierarzt/Equipenchef und Equipentierarzt

Alle fünf gehören zum Team, alle können in kleine Auseinandersetzungen geraten miteinander. Der Equipentierarzt ist nur dem Tierwohl verpflichtet und wird im Zweifelsfall dazu neigen, von einem Einsatz abzuraten, wo die anderen Protagonisten vielleicht etwas risikofreudiger agieren, gerade wenn es um ein grosses Championat geht. Dass hier auch einmal eine Debatte stattfindet, ist richtig, nachvollziehbar und sozusagen systemimmanent. Im Schweizer CC haben wir den Glücksfall, dass der Elite-Equipenchef während vieler Jahre Equipentierarzt aller Kader war und damit beide Sichtweisen vereint.

Privattrainer und Kadertrainer

Privattrainer bekunden manchmal Mühe, zurückzustehen und den Kadertrainer, der die Paare in der Regel weniger gut kennt, wirken zu lassen. Mit etwas psychologischem Geschick des Kadertrainers und einem Quentchen Zurückhaltung des Privattrainers kann aber eine befruchtende Zusammenarbeit entstehen.

Kadertrainer untereinander

In der Vielseitigkeit sind bei der Elite sowohl in den Trainings wie am Wettkampf im Idealfall drei Kadertrainer in Aktion. Da die Anforderungen an Pferd und Reiter in den drei Disziplinen Dressur, Gelände und Parcours im Grundsatz zwar ähnlich, im Detail aber durchaus verschieden sind, können ganz auf ihre eigene Disziplin fokussierte Spezialisten unter den Kadertrainern in Konflikt mit ihren Kollegen geraten. Dies ist zum Glück in der aktuellen Konstellation der Schweizer Vielseitigkeit überhaupt nicht der Fall, im Gegenteil: Die drei Kadertrainer interessieren sich für die Arbeit der andern und verfolgen sie bei jeder Gelegenheit so intensiv, dass sie sich gegenseitig schon bald ersetzen könnten.

Equipenchef/Reiter und Turnierveranstalter/Ground-Jury

Der Equipenchef ist das Sprachrohr seiner Reiter gegenüber dem Veranstalter und der Jury, bündelt deren Anliegen und bringt sie bei den entsprechenden Gelegenheiten ein. Diese Meinungsverschiedenheiten werden meist konstruktiv gelöst.

Reiter-Eltern mit allen andern Beteiligten

Bei den Eltern der jungen Pferdesportler gibt es die ganze Bandbreite von völlig desinteressierten, die ihre Kinder einfach machen lassen und nichts einwenden, solange die Kids gesund bleiben und keine allzu hohen Kosten verursachen, über die massvoll und ihrem eigenen Leistungsausweis und Know-how gemäss sich einbringenden Eltern, bis zu den überehrgeizigen, dauerpräsenten und unabhängig von ihrem Wissen und Können überall dreinredenden Eltern oder Elternteilen. Am schwierigsten sind die Konflikte mit den überengagierten Eltern zu lösen, die ihren Kindern alles Anstrengende abzunehmen versuchen, ihnen ‘übermotorisierte’ Pferde auf dem Silbertablett servieren, keine Kritik an ihren vermeintlichen Wunderkindern dulden und deshalb in Dauerfehde mit allen liegen, die für die Weiterentwicklung und den Sporterfolg unerlässliche Kritik äussern. Diese Art der Überbetreuung und der Delegation zuvieler Tätigkeiten rund ums Pferd an gar nicht nötige Angestellte oder – noch schlimmer – die Übernahme aller Aktivitäten ausser dem Reiten durch die Eltern selbst, kann sogar zu einer partiellen Entfremdung zwischen Reiter und Pferd führen, zu Unselbständigkeit, Abhängigkeit und je nach Grad der Verwöhnung auch zu einer höcht ungesunden Arroganz und Einbildung des hochgejubelten Jungstars, dessen Karriere meist versandet, sei es, weil sich der erhoffte Erfolg nicht anstrengungslos einstellt, sei es, weil das überbetreute Kind doch irgendwann selbst eine Mistgabel oder eine Bürste in die Hand nehmen, seine Ausrüstung zusammensuchen, seine Reithosen waschen oder die Stollen eindrehen muss. Aber auch diese Konflikte lassen sich in den meisten Fällen durch gute Gespräche minimieren – oder sie lösen sich von selbst bei dauerndem Misserfolg und Aufgabe des Sports durch den verwöhnten Reiter.

Fazit

‘Coaching und Wettkampfbetreuung im Pferdesport’ ist ein faszinierendes, vielfältig schillerndes System mit vielen Protagonisten, die idealerweise alle untereinander in Beziehung stehen, miteinander in Kommunikation treten und systemimmanente Konflikte konstruktiv zu lösen versuchen. Je früher und nachhaltiger sich der Sportreiter bewusst wird, dass er nie wirklich Einzelsportler ist, sondern immer ein Team mit seinem Pferd bildet und dass er zwar ein wesentliches, aber nie das einzige Mitglied im grossen Team privater und offizieller Supporter und Wettkampfbetreuer ist, desto teamfähiger und angenehmer wird er nicht nur im Umgang mit allen Team-Mates, sondern auch mit seinen Pferden.

J & YR-EM-Teams mit Equipenchef Heinz Scheller
Share this post on:

Leave a Comment