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Wer in den sozialen Wohlfahrtsstaaten nach Dekadenzzeichen sucht, wird ganze Sträusse davon finden. Die offensichtlichsten übelriechenden Blüten sind schlechte Laune, Langeweile, Ziel- und Inhaltslosigkeit, ein träges Suchen nach Zerstreuung – mangels Sinn, den man schon gar nicht mehr sucht, da die Überzeugung vorherrscht, alles sei kontingent, nichts notwendig ausser – vielleicht – der Tod, gegen den man auch nicht mehr richtig opponieren mag – im Gegenteil: nirgends sind die Suizidraten höher als in dekadenten westlichen Sozialstaaten.

Aus diesem Lebensgefühl des sinnlosen Hineingeworfenseins in eine sinnlose Welt erbricht sich diese faulig riechende Wurstigkeit, die nichts zu tun hat mit der heiteren Gelassenheit des Weisen, sondern viel mehr mit müdmatt-verfetteter Trägheit. Der dekadente Mensch ist für alles zu faul, er engagiert sich für nichts, und wenn, dann als Hooligan, als aus sicherer Distanz das Geschehen rund um die letzten Gladiatoren Bekreischender. Alles an ihm ist unecht, das sichere, keimfreie Surrogat sein ständiger Begleiter. Er wichst lieber vor dem Bildschirm, als dass er es wagt, sich mit fremdem Echt-Fleisch einzulassen. Er denkt nur Vorgedachtes, wenn er überhaupt denkt; er fühlt nichts, und wenn ihn doch so etwas wie ein Gefühl – zum Beispiel ein leiser Appetit auf irgend etwas – ereilen sollte, dann ist es nur das aseptische Kopieren von Vorgefühltem, Vorgestanztem; er handelt nur in vorgegebenen Mustern, immer darauf bedacht, den schützenden Mainstream nicht zu verlassen. Er lebt nicht, er lässt sich leben. Seine Autonomie tendiert gegen Null und so kann es auch nicht verwundern, dass er sich nicht für seine Identität einsetzt – wo sie doch kaum fassbar, kaum existent ist bei diesem schwammartig-permeablen, weichkäsig-gallertartigen, fremdbestimmten, müden Etwas. Und was identitätslos und fremdbestimmt ist, entschwindet auch völlig unspektakulär, ja sein Verschwinden, sein Entweichen, sein Erlöschen wird kaum bemerkt und es wird nicht vermisst.

Der Dekadente delegiert auch den Erhalt seines physischen Lebens mit müdem Winken ans Kollektiv, an den längst nicht mehr als Zusammenschluss der Bürger erlebten Staat, der vielmehr als Nanny, als für alles und jedes zuständiger und verantwortlicher Übervater erlebt wird. Junge, gesunde Völker mögen ihre Götter haben, an die sie das trotz Anstrengung unerklärlich Bleibende delegieren. Dekadente, untergehende Menschenansammlungen delegieren alles, gerade auch das Erklärliche, das Banale wie die Verantwortung für den eigenen Körper, den eigenen Geist an den Staat.

So gesehen schliesst sich der Kreis der Entwicklung wieder, der mit dem völlig im Kollektiv verhafteten Hordenwesen begann, sich über die immer stärker werdende Verantwortungsübernahme des Individuums bis in die Höhen von herausragenden Genies emporschraubte, sich in immer neuen Schüben von Autonomie-Bestrebungen zu erstaunlicher Freiheit des Geistes erhob – um dann wieder zurück in die Stumpfheit kollektiver Demenz hinab zu fallen – zu ‚decadieren‘. Mit diesem Kreisbild im Kopf kehrt auch das Schmunzeln zurück und man kann – mit dekadent anmutender Geste – allfällig aufkommenden Ärger oder gar Grimm abwinken, die Chance sehen hinter all diesen kaum trüglichen Zeichen des Herunterfallens – denn der nächste Aufschwung kommt bestimmt. Und wenn es diesmal nicht der haarlose Affe ist, der sich auf den Weg der individuellen Entwicklung und der Eigenverantwortung macht, dann vielleicht ein schuppenloser Fisch, wer weiss?

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