Erste Runde: Jagd auf die dümmsten Sätze des Abendlandes
Wir suchten in fröhlicher Runde nach dem dümmsten Satz der bisherigen abendländischen Geschichte – mit herrlichen Kandidaten wie Nietzsches ‚Gott ist tot‘, Sartres ‚L’enfer c’est les autres‘, De Gaulles ‚L’état c’est moi‘, Haiders ‚Österreich den Österreichern‘ und dem Motto der Inquisition: ‚Christus oder Kopf ab‘ (das allerdings so nicht verbrieft ist). Das Rennen ganz vorne in die Top-Ten machte aber schliesslich der Passus aus dem ‚Vater unser‘: ‚… und erlöse uns von dem Bösen‘. Rein äusserlich ist das vielleicht etwas delikat, da für viele die Bibel generell und das ‚Vater unser‘ speziell in einem unreflektierten Sinne als ‚Wort Gottes‘ gelten, als direkt vom höchsten Throne ‚ex cathedra‘ verkündete Wahrheiten, die damit der Kritik entzogen sind. Obwohl die so Denkenden bestimmt eher am Schwinden sind und wir nicht mit Sanktionen wie dem islamischen Bann rechnen müssen wie weiland Salman Rushdie mit seinen satanischen Versen, ist gerade diese Eigenschaft der Unantastbarkeit, der Nicht-Kritisierbarkeit eines Satzes ein besonderer Grund, ihn ins Visier zu nehmen. Denn durch diese Sonderstellung wirkte er besonders nachhaltig, besonders langfristig und hatte die Chance, sich tief ins Unterbewusstsein seiner Empfänger einzugraben.
Inhalt
«… und erlöse uns von dem Bösen»
„Ehre deinen Vater und deine Mutter…
«Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.»
«Du sollst nicht deines Nächsten Weib begehren.»
„Solange irgendwo auf der Welt ein Kind leidet, interessiert mich das Leiden der Tiere nicht.“
„Die Welt wird nie mehr dieselbe sein“
„Wollt ihr den totalen Staat?“
«Unser Vater…»
Nach einem Satzbeginn mit ‚Du sollst…‘ kommt eigentlich regelmässig Quatsch, Pharisäer-Gelabber, pseudo-ethischer Kitsch. Den Vogel abgeschossen mit dummen ‚Du sollst…-Sprüchen‘ hat aber unseres Erachtens die Bibel, und ‚innerbiblisch‘ machen das Rennen wohl die zehn Gebote und das ‚Vater unser‘, bei dem schon der Titel ein Blödsinn erster Ordnung ist. Ohne auch nur das Hirn einzuschalten, rein in der Gegenüberstellung von Bibel-Zitaten kommen wir in Kürze in gewaltige Widersprüche, und zwar nicht etwa in pingelig-marginale, sondern in gröber-grundsätzliche. Der Titel des von vielen Christen als DAS Gebet hochgejubelten Textes evoziert ein patriarchalisches Gottesbild – und im ersten der zehn Gebote heisst es „Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir. Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht.“
Tja, von Naturwissenschaft und Fernsehen hält dieser Gebotsschreiber offensichtlich wenig, dafür umso mehr von Foucault und der Macht des Wissens, der Macht des Diskurses und des Bildes. – Aber wenn man dem ersten Gebot etwas halbwegs Kluges abgewinnen will, könnte man das mit dem Bildnis konkret auf Gott beziehen und extrahieren: ‚Du sollst dir von Gott kein Bildnis machen.‘
Abgesehen von der kitschigen, ‘meimei-fingrigen’ ‚Du sollst…‘-Formulierung gibt das inhaltlich durchaus etwas her, aber so losgelöst von jeglicher pädagogischen Hilfe ist wohl eine Überforderung des gemeinen ‚Users‘ dieser religiösen Software. Sagen Sie mal in irgendeinem Umfeld, man solle sich von irgendetwas keine Vorstellung machen – es wird nicht nur nicht klappen, sondern sogar den kontraproduktiven Effekt haben, dass alle, die noch nie an X dachten, sich noch nie ein Bild von X – z.B. einem knallgelben Krokodil – gemacht hatten, nun plötzlich ein Bild im Kopf haben, das sie nicht mehr loskriegen.
Östliche Religionen sind da bedeutend pädagogischer und sorgfältiger. Der Buddhist lernt in jahrelanger Meditationspraxis, sich die Leere, das Nichts vorzustellen bzw. den entscheidenden Schritt zu machen und sich auch nicht ‚Nichts‘ vorzustellen, sondern die Vorstellung abzuschalten. Er geht den steinigen Weg vom Leerbild zu gar keinem Bild. Die Anhänger der monotheistischen Religionen wie Juden, Christen, Muslime haben es da bedeutend schwerer. Es wimmelt von Geschichten in ihren ‚Heiligen Schriften‘, die verschiedenste konkrete Vorstellungen hervorrufen, vom zornigen Jahwe, der sich u.a. im brennenden Dornbusch zeigt, über den sich in drei Teile aufspaltenden dreifaltigen Christengott – eine vorstellungsmässig und logisch delikate Operation, da der Oberbegriff ‚Gott‘ mit einem der drei Unterbegriffe ‚Gott-Vater‘ weitgehend identisch ist und die Abkoppelung des ‚Heiligen Geistes‘ auch nicht etwa bedeutet, dass Vater und Sohn geistlos oder unheilig wären – bis zum Kriegsherrn Allah, der seinen Schäfchen einen Fensterplatz im Himmel zusichert, wenn sie im ‚Heiligen Krieg‘ schön die Richtigen mörderlen und sich selbst dabei nicht schonen.
Eine Gottesvorstellung übrigens, die dem jüdischen, der die Ägypter ersaufen liess und dem christlichen, der als Rechtfertigung für die terroristischen Kreuzzüge und die Inquisition herhalten musste, nicht unähnlich ist, also bitte nicht allzu schamlos mit dem Finger gen Arabien zeigen und Pfui schreien.
Und jetzt also der ‚Vater‘ – wo doch schon Xenophanes von Kolophon feststellte, dass die Äthiopier einen Gott hätten mit schwarzen Füssen, die Thraker einen mit roten Haaren und die Löwen natürlich einen in Löwengestalt. Die Kirchenfrommen werden mir böse sein, aber ich nehme doch sehr an, dass die Bibel – zumindest all die Stellen, die von Gott als einem ‚Vater‘ sprechen – von Männern verfasst wurde, von Machomännern, mit Verlaub.
Nun aber zum Top-Ten-Spruch im ‘Unser-Vater’:
«… und erlöse uns von dem Bösen»
Das ist schon mal sprachlich nicht ganz sauber: Ist es nun DER Böse, also der Teufel oder Hitler oder Putin oder Kim oder sonst ein gerade aktueller Bösewicht ausserhalb des brav Betenden, von dem er erlöst zu werden fordert, oder ist des DAS Böse – das Dativpronomen gibt leider keine Auskunft darüber. Nur DIE Böse kann nicht gemeint sein, was doch ein Hinweis auf frühen feministischen Einfluss sein könnte – das wär‘ doch mal ein Untersuchungsobjekt für die wie Pilze aus dem Boden schiessenden ‘Genderstudies-Studis’. Höllenmaler Hieronymus Bosch, den mutmasslichen Vorfahr von Horrorspezialist Stephen King, würde bestimmt der Pinsel im Händchen jucken, wenn er sich und uns ausmalen könnte, was die alle machen, wenn der liebe Strom doch mal nicht mehr ungehindert aus der Dose kommen, die nächste Vogelrinderschweinefledermausgrippe zum Dauer-Knockdown führen sollte, der Russki oder die Schlitzaugen doch mal bis zu uns kämen und er in grauslichen Strichen zeigen könnte, wie die Genderstudis, die sich nur noch auf Nebenstrassen Klebenden, die vielen Parlamentarier, die nie was gelernt haben ausser Plappern, die Myriaden von Beamten, die immer nur umverteilten, aber nie etwas aufs Häufchen häuften, dann plötzlich ‘Brot backen leicht gemacht’ läsen und auf den Balkonen Salatköpfe köpften?
Aber auch wenn es also DAS Böse in uns ist, von dem der Betende erlöst zu werden verlangt, so stellt sich sofort die Frage, wer uns denn sagt, WAS dieses Böse sei und warum es doch in uns ist – oder eben als Teufel aussen rumhüpft – wenn doch Jesus alle Sünden getilgt hat, im Voraus für alle, wobei auch das nicht ganz sicher ist. Vielleicht doch nur für die, die an ihn glauben? Aber dann hatten ja alle, die vor ihm auf der Welt waren und ihn nicht kannten und somit auch nicht an ihn glauben konnten, gar keine Gelegenheit, die Sünden vergeben zu kriegen – und die bleiben also alle ewiglich auf ihren Sünden sitzen? Keine frühere Entlassung bei guter Führung, nix mit ‚auf Bewährung‘? Und alle Nichtchristen? Bleiben die auch unerlöst vom Bösen? Aber wie konnte denn die Kirche reihenweise Leute auf den Scheiterhaufen schmeissen oder in der eisernen Maria verbluten lassen, die irgendetwas sagten, was den Herren gerade nicht passte?
Diese Sünden, dieses Böse wurde offenbar nicht vergeben? Auch wenn es simple naturwissenschaftliche Erkenntnisse waren, die sich später als ziemlich wahr erwiesen? Oder hilft Einstein, und alles ist eben relativ, auch das Böse? Einstein könnte auch das Problem mit der Zeit lösen, also dass Jesus auch die Sünden vergibt, die tausende Jahre vor oder nach seiner Lebenszeit begangen werden. Im Himmel-Universum läuft die Zeit ja je nach Geschwindigkeit, mit der wir durch ihn oder zu ihm fliegen, anders als hier unten, allerdings langsamer, geht auch nicht auf. Dann doch lieber die Quantenphysik mit der Synchronizität. Alles geschieht im Jetzt, gleichzeitig. Das würde hinhauen. Aber wir wissen immer noch nicht, was ‘DAS BÖSE’ ist? Was für den Islamisten das Gute ist, nämlich Nichtislamisten die Kehle aufzuschlitzen, ist für die Aufgeschlitzten doch eher das Böse? Kommt da Jesus mit seiner Vergeberei nicht arg in die Bredouille? Was mir auch gehörig gegen den Strich geht ist diese Anspruchshaltung, diese psychischen Sozialhilfeempfänger, die verlangen, dass Gott sie gefälligst vom ‘Bösen’, was immer es sein mag, befreien, erlösen solle, wie von einer Mückenplage. Feige, faul, abhängig wird da gebetet und gebettelt, keine Spur von Eigenverantwortung, Hemdsärmel hochkrempeln und selbst etwas unternehmen gegen das ganz private, persönliche ‘Böse’. Täten wir dies, hätten wir auch das Definitionsproblem zwar nicht ganz vom Tisch, aber doch zum Einzelnen verschoben. Jeder soll doch ganz persönlich etwas unternehmen gegen das, was er an und in sich als ‘böse’ zu erkennen glaubt. Das würde auch den faulen Trick verunmöglichen, ständig auf andere einzuschlagen und dann im Beichtstuhl um Erlösung zu bitten. Als Schnudergoofen war das ein beliebter Pausenplatz-Trick. Einem andern eins in den Bauch hauen, ihm das Schoggistängeli klauen und dann sofort die Hand ausstrecken und mit Softy-Miene hauchen: «Machen wir Frieden?» – Fast noch übler als die Deutung mit dem ‘Freibrief, Böses zu tun’ scheint mir die bis heute weitestverbreitete Vorstellung, das Böse, was es denn immer sein mag, existiere ausserhalb von uns. Es ist die Basis des Spiels, das beliebter ist als Fussball: das Schuldprojektionsspiel. Es ist geradezu ein Markenzeichen für die Blödheit eines Gegenübers, wie viele Schuldige er uns serviert für sein und der Welt Elend. Umgekehrt ist für mich das Mass der übernommenen Eigenverantwortung sowohl für sich, sein Schicksal wie für die wahrgenommene Welt ein gutes Kriterium für den Entwicklungsstand eines Wesens. Dann relativiert sich auch der verzweifelte Versuch, andern das ‘Böse’ anzuhängen, wenn man ausschliesslich bei sich selbst sucht. Man findet dann selbstverständlich Suboptimales, Entscheidungen, die man nicht mehr so treffen würde, Taten, die man im Nachhinein für unklug, falsch, dumm, kontraproduktiv, hinderlich, belastend für andere und damit als Bumerang auch für sich selbst bewertet und man kann akribisch untersuchen, ob man sich auf eine ENT- oder immer noch auf einem VERwicklungsweg befindet. Der riesige Vorteil ist das Mass der Selbstbestimmung: man kann tatsächlich etwas ändern, bewirken, sich in vergleichbaren Lagen anders verhalten, andere Entscheidungen treffen und sich so von dem, was man bei sich als ‘böse’ bewertet hat, wegentwickeln. Dazu muss man aber weder bei Gott noch beim Staat noch bei der Welt um Erlösung beten oder betteln gehen oder gar Forderungen stellen. Und irgendwann dämmert uns auf diesem selbstbestimmten Entwicklungsweg vielleicht sogar, dass es die Mängel, die Hindernisse, die Unperfektheit oder eben das ‘Böse’ braucht, ja dass wir es uns selbst als Hindernis in den Weg gestellt haben, um uns daran abzuarbeiten, daran zu wachsen, uns zu entwickeln. Dann, aber erst dann werden wir ganz frei von diesem kontraproduktiven Satz, der aus meiner Sicht zwar zu den dümmsten der Weltgeschichte gehört, den man aber auch als ein selbst in den Weg gestelltes Hindernis anschauen kann, das es zu überwinden gilt.
Den nächsten Bibel-Widerspruch finden wir in den zehn Geboten, einem Sammelsurium von machtpolitisch, soziologisch und diskursmachttheoretisch etwas plumpen Verhaltensregeln:
«Du sollst nicht töten!»
Als Widerspruch zu diesem lapidaren fünften Gebot bietet sich bereits in der Genesis der Satz an, der wohl das grösste Schlamassel auf dem blauen Planeten mitbewirkt hat: „Machet euch die Erde untertan!“ – Und wie soll denn das gehen ohne zu töten? Was sollen wir denn machen, wenn irgendein Viech oder eine Pflanze oder einer, der nicht zum auserwählten Gottesvolk gehört, sich nicht freiwillig ‚Untertan-machen‘ lässt? Ein bisschen einsperren, ein bisschen fölterlen oder nicht am besten gleich töterlen? – Aha, es kommt also darauf an, wer was wann wo wen umlegt, und das mit dem ‚Du sollst nicht töten‘ ist nur so eine allgemeine Richtschnur und es gibt reihenweise Ausnahmen, ja es gibt viel mehr Ausnahmen als es Regelfälle gibt, denn wenn man das Verhalten der unter diesem Gebot stehenden Juden- und Christenheit in den letzten gut 2000 Jährchen anschaut, so wurde im Namen Gottes so ziemlich alles abgemurkst, ausser den wohlgefälligen regel- und sektentreuen Kumpanen. Wobei auch hier höchste Vorsicht am Platz war und ist, da sich Kumpane sehr schnell in die Haare geraten konnten, zum Teil wegen haarsträubender Wichtigkeiten wie der Frage, ob das komische Backplätzchen und der billige Clevner, der beim Abendmahl im fröhlichen Bazillenbecher rundrum gereicht wird, nun bloss Symbol für das Blut oder echtes Blut des ‚Herrn Jesu‘ (schon wieder ein Mann!) sei. Sie glauben es kaum – ausser Sie gehörten selbst einem dieser beiden Totschlagvereine an – aber das reichte schon, um sich umzulegen, um sich über Jahrhunderte zu befehden, und zwar nicht nur verbal, sondern mit Schwert, Gift und Bomben. Eine feine Sache, diese religiösen Auseinandersetzungen, und alles immer unter dem gemeinsamen Dach dieser 10 intelligenten Sätze, die mit ‚Du sollst‘ beginnen. Dabei wird ja ständig gefressen und gesoffen und behufs dessen werden Tiere und Pflanzen millionenfach auf achtloseste Weise malträtiert und industriell gekillt. – Zur Ehrenrettung darf angefügt werden, dass leben ohne töten gar nicht funktioniert, auch wenn man ‚leben‘ auf Organisches reduziert. Mit jedem Schritt in freier Natur töten wir Kleinstlebewesen, und sogar faul in der Matratze liegend zermalmen wir schnucklige Mitbewohner-Milbelein. Auch der superstrenge Veganer, der nur noch Nüsse und Früchte futtert, killt organisches Leben: seine Magensäure macht kurzen Prozess und löst das oben Reingestopfte brutal auf: Mörder!
Nur: man könnte ja bei den bis auf ein paar Museumsexemplare leider ausgerotteten Indianern in die Schule gehen und ‚achtsam töten‘, das Wesen, das man behufs eigenen Weiterlebens sich einverleiben will, anfragen, ob es einverstanden sei, die Familie des Häuptlings ‚Roter Adler‘ zu ernähren. – Aber das ist eine andere Geschichte. Hier geht es nur darum plausibel zu machen, dass der Satz ‚Du sollst nicht töten‘ im Widerspruch zu anderen Bibelsätzen und zur ganzen Geschichte des Juden- und Christentums steht – und dass er auch losgelöst von der Bibel minimal undifferenziert, maximal von hanebüchener Blödheit ist. Anständige Rechtsordnungen sind da bedeutend differenzierter und errichten unterschiedliche Modell-Gebäude, in denen das Töten unter ganz klaren Bedingungen mit bestimmten Folgen verknüpft wird. Sie sagen nicht: „Du sollst nicht…“, sondern versuchen, eine generalpräventive Wirkung zu erzeugen, indem sie das Töten, das in der betreffenden Kultur als nicht gerechtfertigt erscheint, mit einer entsprechenden Strafe verknüpfen. Darin mag man auch ein ‚Du sollst..‘ erblicken, aber es ist frei von jeglichem Kitsch und Pathos. Gerade weil dieselbe Rechtsordnung meist viele Ausnahmen statuiert, in denen das Töten legitimiert (z.B. Notwehr), ja sogar gefordert und belohnt wird (Krieg, verseuchte Tiere, als Schädlinge gestempelte Tiere wie früher Krähen, Maikäfer etc.), und weil sie weiss, dass es oft winzige graduelle Unterschiede sind, die dieselbe Tat legitimieren oder unter Strafe stellen, erspart sie sich in der Regel rhetorisches Pathos.
„Ehre deinen Vater und deine Mutter…,
damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt.“ So lautet das vierte Gebot im Dekalog. So als allgemeine Benimmregel in einem viktorianischen Höflichkeits-Almanach könnte man das ja ‘cum grano salis’ durchgehen lassen. Aber als wuchtiges Grundgebot, das seit ein paar tausend Jahren die misshandelten, vernachlässigten, ungeliebten, verstossenen Kinder in grösste Seelennöte bringt, flutscht es bei mir ‚gleitig‘ zu den dümmsten Sätzen der Weltgeschichte. Wie der Spruch gemeint sein könnte, erhellt sich aus dem zweiten Teil des Satzes. Es wird ja eine Absicht, ein Ziel, eine causa finalis mitgeliefert. Du sollst deine Eltern ehren, nicht etwa aus bedingungsloser Liebe oder aus Dankbarkeit, sondern um lange zu leben. Die klassische Altersvorsorge in vorindustrialisierten Gesellschaften. Die Kinder zeigen ihre Ehrerbietung ihren Eltern gegenüber, bauen ihnen ein ‘Stöckli’ und lassen sie am Familienleben weiterhin teilhaben, und sind damit Vorbild für die eigenen Kinder, die es dann hoffentlich mit ihnen auch so handhaben. Ein natürlich etwas waghalsiger Generationenvertrag, der darauf baut, dass man dereinst von der Nachahmung des eigenen Verhaltens durch die eigenen Kinder profitieren wird. Eine kleine Spitze kann man noch sehen im Nachsatz «…im Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt». Ein Fernweh-Kind könnte das als missmutige, schollenkonservative Forderung, ewiglich im Heimatdörfchen zu verbleiben, deuten. Ein politisch Ideologisierter könnte es als ein kleinkariertes Verbot von Migration, Völkerdurchmischung und Globalisierung verstehen. Und ein Israeli, wie ich im Herzen einer bin, könnte es als Beleg deuten, dass uns das Land, das Gott uns einmal zuwies, eben immer noch zusteht. – Aber diese Debatte führen wir gern ein andermal.
In der Rezeption des vierten Gebots durch die moralinsaure Kirche und grosse Teile der Therapeutenzunft wurde aus der verlangten Ehre rasch mal Liebe und aus dem Vertrag eine einseitige Verpflichtung der Kinder. Das Übelste daran ist m.E. die Perpetuierung des Eltern-Kind-Verhältnisses, das meistens mitgeliefert wird mit diesem dümmlichen Satz. Das traumatisierte, misshandelte, unterdrückte, bevormundete Kind darf gar nie aus dieser Liebesverpflichtung ausbrechen, muss zeitlebens – und in krankhaften Fällen noch weit über den Tod der Eltern hinaus – die Eltern ‘lieben’, ohne dieses Gefühl vielleicht je verspürt zu haben. Der Unterschied ist gross, denn ‘ehren’ kann man jeden, der sich gewisse Verdienste erworben hat, ehren ist ein Verstandesakt, der nicht zwingend eine emotionale Beteiligung erfordert. Liebe hingegen ist eine starke, wenn nicht die stärkste Emotion und kann gar nicht erzwungen, kann nicht gefordert werden. Der Ausweg für das schwache Kind ist meistens, die nicht empfundene Liebe durch Wohlverhalten, Erfüllen der Erwartungen und Verbleiben im Wertsystem der Eltern zu kompensieren. Das kann zu fast schon wieder skurril-pathologischem Verhalten führen, dass die 70-Jährige ‘Tochter’ gewisse Dinge immer noch gegen ihren eigenen Willen so tut, wie es die längst verstorbene ‘Mutter’ verlangt hatte. Der dumme, falsch interpretierte Satz kann aktiv das Erwachsenwerden und die Selbstbestimmung be- oder gar verhindern. Die Lösung wäre einfach. Dankbarkeit im Sinne eines rationalen Aktes ist ok. dafür, dass uns die Mutter ausgetragen, die Wehen ertragen und uns vielleicht zumindest am Anfang gestillt und gepflegt hat, falls sie das gemacht hat. Dankbarkeit dafür, dass uns der Vater ernährt, vielleicht die Ausbildung ermöglicht hat, falls er das gemacht hat. Aber sicher keine erzwungene Liebe für Eltern, die uns misshandelt, im Stich gelassen, abgewertet, verurteilt haben. Solche Eltern gilt es anzuschauen und zu behandeln wie alle anderen Gestalten, denen wir im Leben begegnen und die uns ‘kratzen’, beschäftigen, deren Existenz uns Probleme bereitet: kritisch, differenziert hinschauen, Stärken und Schwächen analysieren und dann die richtige Distanz finden. Das kann durchaus auch totale Distanz sein, wie wir sie auch zu anderen suchen, mit denen uns nichts oder nichts mehr verbindet. Hilfreich ist auch hier die Eigenverantwortung, die man mit dem Kunstgriff auf die Spitze treiben kann mit der Vorstellung, dass man sich alles, auch die Eltern, die Familie, den Ort, die Nation, seinen Körper, seinen Charakter, seine Talente, seine Schwächen – und damit sein Schicksal selbst gewählt hat. Zugegeben, dann können wir das beglückende Spiel der Schuldprojektion nicht mehr spielen. Wenn allzu viele das machen, würde es merkwürdig still hienieden, denn gefühlte 99% des Gequatsches auf Erden ist – behaupte ich mal fröhlich – genau dieses Spiel: Wer ist woran, warum, wie sehr, an allem schuld, was so schief läuft. Wenn wir uns die Antwort ‘Du selbst’ ständig innerlich selbst geben, verstummen verständlicherweise auch ganz grosse Plapper- und Klagemäuler, und es würde etwas stiller, was ja nicht unbedingt ein Schaden wäre, oder nicht?
«Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.»
Immobilienhandel und Statussymbol-Pflege ade! Von Kapitalismus verstand der gute Gebote-Verfasser wenig bis gar nichts, von Psychologie auch nicht. Denn der ganze Markt basiert natürlich nur ganz marginal auf der Deckung der lebensnotwendigen Bedürfnisse – wobei schon die Diskussion, was da darunter gehöre, ein abendfüllendes Thema wäre – sondern zum ganz grossen Teil auf der Motivation, sich Anerkennung zu verschaffen durch vorzeigbaren Besitz. Gerade die Nutzlosigkeit, die Abkoppelung von jeglicher ‚Lebensnotwendigkeit‘ verschafft diesem von vielen unter letztem Einsatz angestrebten Ziel, zu den ‚Schönen und Reichen‘ zu gehören, mehr zu haben als die ‚Normalos‘ – und vor allem mehr als der Nachbar, der Bruder, der ‚Nächste‘, zu einem so hohen Status. Dass der Schreiber das Geheimnis des ‚personal vice – public benefit‘ noch nicht durchschaute, dass nämlich dank dieser nicht sehr ehrenwerten Anerkennungs- und Besitzgier für Unzählige Mehrwert geschaffen wird, dass der grossenteils idiotische Konsum eben auch das Lebensnotwendige für die weniger Begüterten auf den Tisch zaubert, sei ihm verziehen. Die HSG St. Gallen stand ja noch nicht. Aber dass er so wenig vom Begehren verstand, kann ich kaum glauben und ich komme beim 10. Gebot gleich zu meiner von Dummies und Boulevardjournis bestimmt als ‚Verschwörungstheorie‘ abgestraften These.
«Du sollst nicht deines Nächsten Weib begehren.»
Ja Potzdonner, gibt es wohl einen Satz, der schon für mehr Theater gesorgt hätte als dieser? Von einer Weltfremdheit, einem Mangel an Menschenkenntnis zeugend – oder vielleicht gerade umgekehrt? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Machomann so dumm sein konnte, diesen Satz je in dem Sinne ernst zu meinen, dass er es irgendwie für realistisch hielt, diesem ‚Gebot‘ nachzukommen. Denn alle Beteiligten wollen das Gegenteil: ALLE! Das mit dem Begehren ist eine perfekte Win-win-win-Situation und gleichzeitig der wohl stärkste Motor des freien Marktes. Denn dass die Frau selbst begehrt werden will und vieles bis alles tut, damit dies auch der Fall ist, und sie möglichst lange und von möglichst vielen begehrt wird, ist derart offensichtlich, dass es kaum einer weiteren Begründung bedarf. Da ich selbst die grösste Freude an sich begehrenswert machenden Frauen habe, liefere ich aber gerne eine nach: Frau will – wie jedes sich als abgetrennt von der Ganzheit, vom Rest der Welt wahrnehmendes Wesen – erkannt und anerkannt werden. Und sie hat, wenn auch in vielleicht etwas weniger starkem Ausmass als der Mann, das Bedürfnis, sich zu verewigen. Diese beiden Bedürfnisse kommen zusammen im Sich-begehrenswert -Machen für potenzielle Schwängerer: Jeder Mann, der auf die Signale der Frau mit Begehren reagiert, erkennt sie, gibt ihr Anerkennung und ist ein potenzieller Kindermacher und Verewiger. Also ist es verständlich, logisch und sinnvoll, dass die Frau ihre Anerkennungsbemühungen, ihre Signale ‚Bin ich nicht begehrenswert?‘ weniger an Kopfsalate, Hausspinnen oder Grosstanten, sondern eher an Männer richtet, die in Frage kämen als Schwängerer. Dass der bereits gefangene und als Zeuger benutzte Ehemann nicht mehr so sehr in den Genuss dieser Bemühungen kommt, sondern eher mit der abgeschminkten Lockenwickler-Tränensack-Ruine vorliebnehmen muss, ist zwar auf den ersten Blick ebenfalls verständlich, unter langfristiger Perspektive aber unklug, da die Ehefrau ja nicht allein auf dem Markt ist und ihn mit dieser Vernachlässigung empfänglicher macht für die Bemühungen ihrer Konkurrentinnen. Wenn sie hingegen geschickt agiert und sich sowohl dem Ehemann wie möglichst vielen weiteren potenziellen Schwängerern begehrenswert macht, gewinnt sie nicht nur Vorteile für den Fall, dass der Ehemann vorzeitig das Zeitliche segnen oder sich sonst aus dem Staube machen sollte, sondern auch jede Menge Spass und Lebenslust. Das wäre also das erste ‚Win‘.
Der zweite Gewinner, der von dem ‚Begehren des Nächsten Weibes‘ profitiert, ist natürlich der Begehrende selbst. Denn dass Begehren ganz grundsätzlich etwas mit Lebenslust zu tun hat, merkt man spätestens dann, wenn es einem völlig abhandenkommt. Der Depressive zeichnet sich dadurch aus, dass er gar nichts mehr begehrt, nicht einmal mehr, nicht depressiv zu sein. Er isst nicht, trinkt nicht, freut sich an nichts mehr, guckt keinem Rock mehr nach – Gute Nacht, dann ist wirklich Matthäi am Letzten. Natürlich gibt es auch das Gegenteil, Leute, die sich in ihren Begehrlichkeiten derart verlieren, dass sie eben ‚Loser‘ und nicht mehr ‚Winner‘ sind. Aber es geht nicht um die beiden Extreme, sondern um den riesigen Teil dazwischen, um alle die, die das vergnügliche Spiel des Sichbegehrlichmachens und Begehrens mit einer gewissen Lockerheit spielen. Denn es sind natürlich immer beide, die beide Rollen spielen können – etwas, was dem weltfremden Geboteschreiber offenbar nicht aufgefallen zu sein scheint. Der Mann hat genau so seine Möglichkeiten, sich begehrenswert zu machen, und die Frau begehrt genauso gern wie der Mann.
Der dritte Winner ist der Ehemann der sich begehrenswert Machenden und von Aussenstehenden Begehrten. Denn genau das gibt ihm den Kitzel, den Ansporn, das Anerkennungsgefühl: „Alle begehren sie, aber sie ist bei mir!“ Die Labilität dieses Zustandes, die Möglichkeit, dass sich das Blättchen wenden könnte, dass einer der anderen Begehrenden Erfolg haben könnte, spornt ihn auch an, sie immer wieder zu erobern, sich selbst begehrenswert zu machen. Und die Unsicherheit, die Möglichkeit des Scheiterns, der Niederlage gehört ganz archetypisch zum Spiel, auch zum Mann-Frau-Begehrspiel, zum Lebensspiel überhaupt. Wie auch Foucault in einem seiner späten Texte zur Macht erkennt, gehört die Widerborstigkeit der Freiheit als zwingender Gegenpol zur Macht, die Möglichkeit des Widerstandes dessen, den Macht unterwerfen, botmässig machen will, gehört notwendig zum Erlebnis, aber auch zum Begriff der Macht, die ohne dieses Element zur puren Gewalt degeneriert. Macht ausüben kann man nur über jemanden oder etwas, das grundsätzlich die Möglichkeit hat, sich zur Wehr zu setzen, sich widerborstig zu zeigen, sich der Macht zu entziehen. Die den bereitgestellten Fleisch-Napf leerfressende Katze übt keine Macht aus, nur Gewalt. Erst wenn sie mit der lebenden Maus spielt, die immer wieder ein paar Schritte davonrennen kann, ist es Macht. Das Langweilige an der Ehe ist die Sicherheit, und genau die gilt es zu torpedieren, teilweise aufzuheben durch das Begehr-Spiel, das alle Beteiligten in allen Rollen spielen. – Dies mit einem pseudo-ethischen ‚Du-sollst…‘-Spruch verbieten zu wollen, ist nun – so meine These – zu dumm, um wahr zu sein, deshalb behaupte ich, dass die echte Motivation des schlitzohrig-machomafiosen Gebote-Autors eine ganz andere war: Er wollte Macht ausüben, und zwar Macht über ein möglichst grosses Kollektiv, ein Volk oder noch besser eine Völker übergreifende Religionsgemeinschaft. Unter diesem Aspekt wird der Satz plötzlich genial. Wenn man ihn dann noch mit verfeinernden Macht-Massnahmen wie der Beichte in Zusammenhang bringt, wird er echt macchiavellistisch. Was ist denn das beste und einfachste Mittel, um möglichst vielen Menschen ein schlechtes Gewissen einzujagen? Ihnen das zu verbieten, was das Natürlichste der Welt ist und was alle Beteiligten wollen: „des Nächsten Weib und Haus begehren.“ Das wirkt aber erst, wenn die Sanktion für die Übertretung des Gebots genügend grauslich ist. Und hier beginnt das Machtspiel mit der potenziellen Widerborstigkeit. Es geht nun darum, diejenigen, die man unter seiner Macht haben will, so in die Religionsgemeinschaft einzubinden, dass man sie mit der Drohung des Verlustes der Gnade Gottes oder des Fensterplatzes im Himmel oder sonst was Fürchterlichem so einschüchtert, dass sie das Verbotene zwar nicht etwa bleiben lassen – weil sie es schlicht gar nicht können, weil es archetypisch ist – aber dass sie tatsächlich ein schlechtes Gewissen kriegen und dafür zu Kreuze kriechen, gestehen, beichten, bezahlen, gehorchen. Das war ein machtstrategischer Trick der Kirche, der immerhin gut 1500 Jahre lang recht breit funktioniert hat, eine unternehmerisch-politische Meisterleistung. In den letzten dreihundert Jahren haben sich immer mehr Segmente aus dem anvisierten Zielpublikum ausgeklinkt, zeigten sich widerborstig, stiegen aus dem Teufelskreis aus, aber bis heute sind es immer noch viele Millionen Schäfchen, die den Zirkus voll mitmachen und ein gewaltiger Rest, der zwar nicht mehr den ganzen Mummenschanz mitspielt, aber immer noch an die ethische Relevanz des Sprüchleins glauben, eine Relevanz, die es gar nie hatte. Ethisch mag es sein, das Begehr-Spiel gut, fair, witzig zu spielen, so, dass es eben für möglichst alle Beteiligten eine Win-win-Situation bleibt. Aber so zu tun, als spiele man es gar nicht, ist im besten Fall naiv-dumm, im häufigeren Fall verlogen – von Ethik sehe ich keine Spur.
«Wir sind alle gleich»
Bei unserer Suche nach den dümmsten Sätzen der Weltgeschichte schaffte es auch «Wir sind alle gleich!», die Lieblingsaussage aller Linken und Bewegten, locker in die top five. Dabei lässt sich der hirnrissige Spruch mit einem einzigen Zusatzwort zu einem der klügsten Sätze umfunktionieren. Man muss nur ‚einzigartig‘ anhängen – und schon haben wir eine Aussage, die die Welt zwar nicht aus den Angeln hebt, aber doch zu einem sensationell viel lockereren, abenteuerlicheren, erkenntnisreicheren und fröhlicheren Ort machen könnte, so er denn verstanden und gelebt würde: «Wir sind alle gleich einzigartig!» Genau. Und damit hat sich’s mit der Gleichheit. Der Rest ist Derridasche ‚différance‘, Unterschied, Anderssein, Unverwechselbarsein, Einmaligsein. Eigentlich üben wir doch dieses Fasziniertsein von der Einzigartigkeit anderer Wesen schon als kleine Kids im Zoo, im Tierpark, im Zirkus.
Jedes mit ‚Hüüslischnägge‘ (Weinbergschnecken) spielende Kind weiss zuallererst, dass es nicht gleich ist wie die Schnecke, die ihr Haus ganz cool mit sich herumträgt und sich jederzeit dorthinein zurückziehen kann. Es weiss auch sehr früh, dass es zwar mit Mami verbunden ist, aber überhaupt nicht gleich. Wieso trägt diese simple frühkindliche Erkenntnis bei so unheimlich vielen nicht bis ins Erwachsenenleben? Sind Ideologien wirklich so stark, so benebelnd, dass sie den Wunsch nach totaler Gleichheit so stark werden lassen, dass alles, was unterschiedlich, andersartig, differierend ist, ausgeblendet, bekämpft, eingeebnet werden muss? Alle diktatorischen und despotischen Bewegungen wollten und wollen diese Gleichschaltung, aber aus einem andern Grund als die lieben Linken. Ein Tyrann braucht Gleichschaltung aus Gründen der Macht. Gleiche lassen sich besser kontrollieren und manipulieren. Das beginnt in der Familie, im Clan, im Verein und endet bei all den Putins, Xi Jinpings, Kim Jong Uns, Asads, Chameneis und wie sie alle heissen und hiessen. Je gleicher bzw. gleichgeschalteter die Untertanen, desto besser lassen sie sich kontrollieren. Dieses Bedürfnis ist nachvollziehbar, und was die Diktatoren tun, ist zwar zum Kotzen, aber es ist von simpler Logik. Nicht so bei der Gleichheit, die die lieben Linken anstreben. Hier fehlt die Logik. Denn ihr Bedürfnis, dass alle Wesen lieb zueinander sein sollten, lässt sich nicht mit der Ausblendung ihrer Verschiedenheit erreichen. Im Gegenteil. Je mehr die Einzigartigkeit unterdrückt wird, desto kräftiger sucht sie nach Wegen, sich zum Ausdruck zu bringen; und diese Wege sind dann nicht immer sehr lieblich, sondern oft sehr eruptiv. Was lange unterdrückt wird, erzeugt Gegendruck. Das Lächerliche, aber auch wirklich Bejammernswerte daran ist, dass es nicht wie bei den Diktatoren bösem Willen entspringt, sondern der läppischen Verwechslung von ‚gleich‘ und ‚gleich einzigartig‘, also letztlich reiner Dummheit. Aber – und damit beisst sich meine Ouroboros-Schlange in den eigenen Schwanz – es gilt, diese weltweit grassierende (und von den schlaueren Diktatoren genüsslich missbrauchte) Dummheit auch unter dem Aspekt der Einzigartigkeit anzuschauen und zu akzeptieren. Ich gebe zu, Dummheit hat oft auch etwas Rührendes. Und die Dummheit der lieben Linken ist wirklich einzigartig rührend.
„Solange irgendwo auf der Welt ein Kind leidet, interessiert mich das Leiden der Tiere nicht.“
Der Satz stammt von einer ideologisch gefestigten Dame, deren Name aber hier nichts zur Sache tut. Wir arbeiten nicht ‘ad personam’, sondern ‘ad rem’. Dass wir ihn in die Top-Ten der dümmsten Sätze nahmen, zeigt natürlich auch eine gewisse Tendenz in unserer Ritterrunde. Ritter reiten in der Regel und haben somit einen stärkeren Bezug als die Durchschnittsbevölkerung zu Pferden, meist auch zu Hunden, oft auch zu sämtlichen Tieren. Meist wohnen sie auf Burgen, Schlössern, Gutshöfen, also auf dem Land. Mir ist also durchaus bewusst, dass es der Satz unter anthropozentrischen, tierfernen Städtern nicht so weit nach vorn geschafft hätte. Zum Einstieg für solche Leser vielleicht eine kleine Übung: Wer sich auf die linke Brusthälfte klopft, um die verschiedenen Schrittmacher oder das sonstwie verstockte Herz wach zu klopfen, kann leicht von selbst auf die naheliegende Schlussfolgerung kommen, dass der Sprecher dieses Satzes sich überhaupt nicht, nie für das Leiden der Tiere interessiert, denn die Chance, dass es in der Geschichte der Menschheit je einen Moment gab oder geben wird, in dem kein einziges kleines Menschlein auch nicht über das geringste Bauchgrimmen zu jammern hätte, dürfte doch unwesentlich über Null liegen. Der Sprecher dieses Satzes geht also an allfällig leidenden Kreaturen in seinem direkten Umfeld ungerührt vorbei, solange in der Zeitung steht, dass in der fernen Mongolei ein Kind am kleinen Fingerli Boboli oder sonst Wehwehli hat.
Wer noch ein wenig genauer hinhört, entdeckt in dem Satz die Fokussierung des Kriteriums des Leidens, der Leidensfähigkeit und die implizite Ansicht, dass erstens nur für den Menschen erkennbar leidensfähige Wesen überhaupt Interesse verdienen und zweitens, dass Leid von Kindern unter allen Umständen zu vermeiden sei. Beides zeugt meines Erachtens, wenn nicht von Dummheit, so doch von riesiger Entfernung von dem Entwicklungsstand, den man ‚weise‘ nennen könnte. Leid gehört zum Leben wie Freude, ja, ‚des einen Freud, des andern Leid‘, weiss der Volksmund, und wenn wir in unserer eigenen Biographie forsten, entdecken wir, dass auch die eigene Bewertung eigenen Erlebens nicht konsistent ist, sich wandelt. Dinge, die wir ursprünglich als ‚Leid‘ einstuften und negativ bewerteten, gewinnen in der Retrospektive an Sinn, an Bedeutung, werden zum Nährboden der Fähigkeit, Freude, Positives überhaupt wahrzunehmen und als solches zu erleben. Damit erfährt auch die Leidvermeiderei eine Relativierung. Nicht nur wächst die Einsicht, dass es nicht möglich ist, Leid als wesentlichen Bestandteil der conditio humana zu vermeiden, sondern es dämmert auch die Erkenntnis, dass es gar nicht sinnvoll ist, seine ganze Kraft in die Leidvermeiderei zu stecken, dass es viel mehr darum geht, zu lernen, mit Leid umzugehen, Leid anzunehmen und zu versuchen, es zu wandeln. Nicht, indem wir die Welt ändern und auf alle schiessen, die unseres Erachtens Leid generieren, sondern indem wir uns ändern, unsere Sichtweise, unsere Bewertung, unsere Vorurteile, unsere Pauschalisierungen, unsere Absolutsetzungen, unsere unhinterfragten Ideologeme.
Zu diesen Ideologemen gehört aber auch der Anthropomorphismus der Einteilung des Wahrgenommenen in ‚leidensfähige‘ und ’nicht leidensfähige‘ Entitäten. Wenn ein Objekt, ein Gegenüber nicht menschenähnlich und simpel sicht- oder hörbar auf Lieblosigkeit, oder physische Gewalt reagiert, wird es als ’nicht leidensfähig‘ eingestuft. Sokrates würde wohl sagen: ‘Wir haben keine Ahnung, wir wissen schlicht nicht, ob ein Gegenüber, eine wahrgenommene Entität selbst wahrnimmt und – wenn ja – was und wie sie das tut.’ Der Dumme aber stützt sich auf irgendwelche wissenschaftlichen Studien, die hieb- und stichfest belegen, dass bereits die Flora mangels Augen, Ohren und Mündern – naja, mal abgesehen von den komischen fleischfressenden Pflanzen – aus dem erlauchten Kreis der Leidensfähigen rausfallen. Und wer nicht in unserem Sinn weinen, heulen, foltern kann, sich und andere ermorden, Amoklaufen, Kriege anzetteln und was der hochentwickelten Tätigkeiten mehr sind, auf den muss man auch nicht speziell Rücksicht nehmen. – Ist es denn so schwer, einen Schritt zurückzutreten, um das uralte Muster auch in der Anthropozentrizität der Wissenschaft zu entdecken? Dass jedes Wesen sich und seine Art der Weltwahrnehmung an erste Stelle stellt, sich einen Gott nach seinem Bilde schafft, eine Hierarchie bastelt, in der er und seine Gattung selbstverständlich zuoberst rangiert? Das Muster lässt sich von der Menschheit als Ganzer bis ins winzigste Kollektiv, ja bis ins Individuum immer wieder erkennen: Ich, meine Familie, unser Quartier, Dorf, Kanton, Land, Kontinent, Gattung, Planet…
Der für uns Menschen äusserlich, mit unseren beschränkten Sinnen wahrnehmbare Ausdruck von Leiden fährt verständlicherweise mehr ein als der nur vermutete bei anderen Entitäten, und es ist nachvollziehbar, dass wir spontan darauf reagieren. Aber müssen wir unser subjektives Empfinden deswegen gleich absolut setzen und uns zu so gewaltig dummen Sätzen hinreissen lassen? Wie wär’s denn, wenn es anders wäre? Angenommen, alles Einzigartige wäre mit allem übrigen Einzigartigen vernetzt, verbunden? Angenommen, die einzelnen materiellen Formen wären nur Puzzleteile des grossen Bildes, das es zusammenzusetzen gälte? Würden da nicht all‘ die Gräben und Einteilungen und Absolutsetzungen plötzlich unwesentlich? Und wäre es dann nicht naheliegend, sich dem Naheliegenden zu widmen? Dem Kind, dem Tier, der Pflanze, dem Stein, dem Wasser, der Luft, dem Boden, dem Ding ganz unmittelbar in unserer allernächsten Nähe?
Der ‚Hohen Schule‘ dieses Erkenntnisprozesses, dieses Entwicklungsweges entspricht aus meiner Sicht, wenn es uns gelingt, die volle Verantwortung zu übernehmen für restlos alles, was wir wahrnehmen. Als Bild für diese Weltsicht taugt die Metapher von der ‚Welt als Spiegel‘ oder die konstruktivistische Vorstellung, dass Wahrgenommenes Aussenprojektion des Inneren des Wahrnehmenden ist, dass alles Wahrgenommene also letztlich nach aussen projiziertes Inneres ist. Dann fällt das im Aussen als Leiden anderer wahrgenommene und wieder anderen als Verantwortlichen in die Schuhe geschobene Leiden aber wie ein Boomerang auf uns zurück: Wir tragen dann sowohl die Leidenden, wie die das Leid Verursachenden in uns. Das anzunehmen ist allerdings ein starkes Stück – aber ich sagte ja ‚Hohe Schule‘ – und fliegende Wechsel a tempi sind schliesslich auch ein starkes Stück.
Auch für mich als ‚Dumme-Sätze-Sammler‘ wartet eine eher ungemütliche Einsicht am Ende dieses Denk-Spaziergangs: Es sind alles meine Sätze! Nach aussen projizierte Innereien, noch Abgelehntes, noch nicht Integriertes, Sätze, die ich gefunden und die mich gekratzt haben. Es ist offenbar noch ein rechtes Stück Wegs zu gehen – wobei es an mir liegt, auch die Erkenntnis, noch weit vom Ziel entfernt zu sein, nicht unbedingt einseitig als ‚Leid‘, sondern mit genau so viel Berechtigung als ‚Freud‘ wahrzunehmen. Wir wühlen trotzdem noch etwas weiter, um auch wirklich ‚Ten‘ zu liefern.
«Die Welt wird nie mehr dieselbe sein!»
Unser Favorit für Platz 9. Stellen Sie sich dazu einen politisch-ideologisch-religiös-aktivistisch-getriebenen Selbstdarsteller mit todhochzwei-ernstem, bleischwerem Gesichtsausdruck vor, der diesen Satz unter Hinweis auf den nahen Weltuntergang verkündet. Was Sie jetzt nicht tun dürfen, ist laut lachen, auch halbunterdrücktes ‘Pfnuchsen’ und so tun, als hätten Sie einen Hustenanfall oder müssten niesen, ist zutiefst unangebracht. Obwohl die Feststellung von geradezu gigantischer Banalität ist und keine Plastiktopfpflanze das Gegenteil behaupten würde, da ja bekanntlich nicht nur die grosse schöne ‘Welt’ – was immer das sein mag – sondern auch jedes einzelne Entiätchen, Dinglein innerhalb dieser Welt keinen Sekundenbruchteil lang ‘dasselbe’ ist, sondern alles in permanentem Wandel begriffen, was eigentlich alle begriffen haben sollten, wird dieser Satz nicht nur von behinderten Schulschwänzerinnen, sondern weltweit auch immer wieder von grossen, irgendwie schon fast wieder rührenden, rein altersmässig der Kindheit entwachsen sein Sollenden Zustimmung heischend verlautbart. Wenn ich mir den Zustand der gerade heute modischen ‘Welt’ rundherum anschaue, muss ich dem Pathetiker antworten: «Zum Glück!» Denn bliebe sie dieselbe, wäre das nicht nur ausgesprochen langweilig, sondern auch in einem derart hohen Grade lächerlich, dass sich der Kabarettist fast schon wieder wünscht, sie bliebe zumindest so lange ‘dieselbe’, bis er sämtliche Glossen darüber geschrieben hat.
«Wollt ihr den totalen Staat?»
Der Satz wird kaum je so ausgesprochen oder geschrieben, weil er zu sehr an Goebbels noch viel dümmeren Satz ‘Wollt ihr den totalen Krieg’ erinnert. Damit sprengen wir ein wenig die selbst auferlegte Aufgabe, die dümmsten Sätze der Weltgeschichte zu sammeln. Aber er dient damit auch als Übergang zur nächsten Runde: der Sammlung der dümmsten Taten der Menschheitsgeschichte. Denn der Satz wird ohne explizit geschrieben oder gesagt zu werden, intensiver denn je gelebt, einfach unter viel geschickterer Verpackung. Die gängigste ist ‘The Great Reset’. Die Anzeichen sind mannigfach. Witzigerweise beginnen sie mit der Verteufelung des Nationalstaats zugunsten eines ‘Weltstaats’ mit einer ‘Weltregierung’. Auch diese beiden Begriffe werden selbstverständlich vermieden. Der Trick ist eigentlich simpel. Mithilfe möglichst weltweit oder wenigstens ‘planetweit’ wirkender Untergangs-Ängste soll ein Klima der Bereitschaft für planetweite Lösungen und der Bereitschaft, auf fast alle Grundrechte zu verzichten, erzeugt werden. Auf der Ebene von Nationalstaaten hat dies schon hundertfach funktioniert. 9/11 erzeugte eine Stimmung in den USA, die den ‘Kampf gegen den Terrorismus’ ermöglichte, bei dem sowohl nationales wie Völkerrecht x-fach ausser Kraft gesetzt wurde. Genauso die bestens geplanten, vorbesprochenen und eingeübten Pandemien mit dem vorläufigen Gipfel des Covid-Theaters, das allerdings nicht ganz das angestrebte Resultat erzielte. Es gelang zwar ein ordentlicher Schub Richtung Diktatur, aber die Panik ist nicht nachhaltig genug: die Sterblichkeit war einfach viel zu gering. Obwohl man auch jeden Töff-Toten, jeden hundertfünfjährigen Herzinfärktler, jeden Grippetoten noch rasch testete und ihn dann in die etwas lusche Gruppe ‚mit-Covid-gestorben‘ einreihte – verständlich, es gab immer eine saftige Bonuszahlung für das Spital wegen der grösseren Putz- und Desinfektionsaufwands im Sterbezimmer – trotzdem erreichte man, Stand 7.3.2023, nur gerade mal knapp 1% Mortalität, also jeder hundertste Infizierte, höchstwahrscheinlich wegen des oben skizzierten Beschisses sogar deutlich weniger, sind gestorben, die meisten uralt und mit mehreren Vorerkrankungen. Dies obwohl es mit der weltweiten Verbreitung des Virus ausgezeichnet geklappt hatte. Mit einem Virus wie Ebola (bis 88%), dem Marburg-Virus (bis 90%) oder der guten alten Pest (bis 100%) hätte man auch gleich die Erdbevölkerung etwas ausdünnen können. Trotzdem wird natürlich an den totalitären Notstandsgesetzen festgehalten. Schliesslich hat man mit dem Klima ein Langzeitprojekt, das fast so genial ist wie weiland die Idee der katholischen Kirche mit der Hölle. Denn die Chance, dass je einer zurückkam und erzählte, es sei alles erstunken und erlogen, war genauso klein wie die Chance, dass heute Lebende tatsächlich verbruzzeln wegen der Klimaerwärmung. Haftungsrechtlich ist das bedeutend vorteilhafter, wie man jetzt sieht, wo die Lügen rund um die Covid-Panik und die Nutzlosigkeit der Massnahmen, ja sogar die tödlichen Nebenwirkungen der mit allen Mitteln propagierten Impfung ruchbar geworden und nicht mehr unter dem Deckel gehalten werden können. Da ist das Klima-Projekt viel entspannter. In aller Ruhe können unzählige Medien, Wissenschaftler und Politiker motiviert, bezahlt und gewonnen werden. Sie alle springen mit Spass und Gewinnaussicht auf den Klima-Zug auf, beackern das Thema derart nachhaltig, bis es zumindest in den industrialisierten Gesellschaften möglichst flächendeckend ankommt und die Lebensfreude, die Abenteuerlust, die Risikobereitschaft, die Kreativität und Innovationsfreude derart verdirbt und eine Endzeitstimmung erzeugt, die den Widerstand gegen totale Überwachung und Lenkung gegen Null tendieren lässt. Das deutlichste Anzeichen, dass das Unternehmen gelingen könnte, ist der Gewinn der Jugend. Wenn sie mitmacht bei der Abschaffung jeglicher Meinungsäusserungsfreiheit, jeglicher Pressevielfalt, jeglicher Privatsphäre zugunsten einer einheitlichen, vorgegebenen Gesinnung, einem gewünschten Verhalten und einer völligen Transparenz des ‘gläsernen’ Insassen dieses angestrebten ‘Weltstaates’, dann stehen die Zeichen gut, dass der ‘Great Reset’ zumindest noch ein Weilchen als spleenige Idee weiter herumgeistern könnte. Aus Sicht der vor 50 Jahren Junggewesenen sind die meisten Kids von heute unsäglich bieder, spiessig, kämpfen nicht für irgendwelche Freiheiten wie die Jungen aller Länder der letzten paar tausend Jahre, sondern für Anpassung, für mehr Verbote, mehr Staat, mehr Einschränkung, mehr Kontrolle, mehr verordnete gleiche Meinung, gleiche Haltung auch in den banalsten Lebensbereichen wie der Ernährung. Die ganze kleinkarierte Biederkeit, die Sicherheitshysterie, die feindliche Haltung gegenüber allem Neuen, die in früheren Gesellschaften immer das Markenzeichen der Alten, der Konservativen war, wird von den heute Jungen sogar noch pervertiert, indem sie sogar das Bestehende zurückdrehen wollen, alles, was irgendwem irgendwo irgendein ‘Unwohlsein’ bescheren könnte, soll abgekratzt, zurückgebaut, umgeschrieben, geändert, verboten werden. Das hat nicht den Hauch von etwas Revolutionärem, sondern ist von einer Spiessigkeit, Feigheit, und Kleinlichkeit, wie es sie in der uns bekannten Geschichte wohl noch nie gegeben hat. Aber auch dieser Entwicklung zur spiessigsten Jugend aller Zeiten ist nicht nur für den Kabarettisten, sondern auch für den Philosophen und den Soziologen einiges abzugewinnen. Denn der oben gezeigte Ouroboros, die Schlange (oder der Drache), die sich in den Schwanz beisst, ist zwar Schulschwänzern kaum bekannt, aber als Phänomen des Kreislaufs, des ständigen Auffressens dessen, was man eigentlich anzustreben vorgibt, findet sie sich allüberall, in jeder Uni, jedem Parlament, in vielen Chefetagen und in den meisten zeitgeistigen Redaktionsstuben.
Das war und ist schon immer eines der lustigsten Phänomene der Menschheitsgeschichte und findet sich in den meisten privaten Biographien ebenfalls. Wenn Sie nachhaltig suchen, wahrscheinlich auch in der Ihrigen, in der meinigen ganz gewiss. Die Botschaft des Ouroboros ist grundsätzlich völlig wertfrei und weist einfach auf die Zirkularität allen Wandels, aller Ereignisse hin, eine Vorstellung, die östlichen Kulturen vertraut ist, der westlichen Idee des Fortschritts, der vertikalen Entwicklung nach oben, in Richtung ‘höher’, ‘besser’, ‘kluger’ etc. diametral widerspricht. Dabei finden wir die Idee des Ouroboros im Lebenskreis jeder Entität, beginnend in der Hilflosigkeit des Frischgeborenen, dem Versuch, sich herauszuheben, die Welt zu verändern, Bedeutung zu erlangen – man denke an die Titanen aus der griechischen Mythologie (‘tithanein’ heisst ‘sich emporrecken’), an Prometheus, der sich mit den olympischen Göttern anlegte, um am Schluss des Lebens doch wieder in die Hilflosigkeit zu sinken, den Kreis zu vollenden, indem man durch dieselbe Pforte wieder austritt, durch die man eingetreten ist. Wer sich dieser Kreisbewegung einverständlich bewusst ist, für den ist der Ouroboros ein wunderschönes Symbol der Unendlichkeit, der ewigen Wiederkehr und des permanenten Wandels im Jetzt. Aber wer sich dagegen sträubt und glaubt, er sei berufen, nicht nur sich selbst lernend zu entwickeln, sondern im grossen Stil die andern zu verändern, der Aussenwelt seinen Stempel aufzudrücken, der wird den Biss in den Schwanz, das Aufgefressenwerden durch das eigene Sein und Tun, wenig erspriesslich erleben. Im Zusammenhang mit all den Gruppierungen, die den Great Reset, den durchstrukturierten Weltstaat anstreben, ist der Ouroboros ein zutiefst abgelehntes, verdrängtes und am Schluss doch immer wieder erkennbares Phänomen. Er lässt immer dann grüssen, wenn wir das Gegenteil dessen erreichen, was wir am Start vollmundig als Ziel unserer eifrig angepackten Weltveränderung ankündigen. Wenn die Wissenschaft durch ihre Käuflichkeit ihren Status als Wissenschaft verliert. Wenn die Medien als vierte Gewalt, die die drei anderen beobachten und scharf kritisieren sollte, sich ebenfalls kaufen und stramm auf Regierungslinie bringen lässt und damit ihre Funktion und ihre Existenzberechtigung verliert. Wenn die Jakobiner ‘égalité, fraternité, liberté’ anstreben und nur die Guillotine heisslaufen lassen, unter der sie am Schluss alle selbst landen. Wenn Pol Pot eine völlige Durchmischung aller Klassen und sozialen Status anstrebt – und stattdessen Millionen verhungern. Wenn Mao die Kultur des ganzen Riesenreichs revolutionieren will, und Millionen umkommen. Wenn Lenin die Aristokratie abschaffen und alle gleichstellen will – und zum Erreichen des Ziels Millionen umbringt und eine neue Diktatur schafft. Wenn Hitler Lebensraum für seine ‘Übermenschen’ schaffen will und dabei wahrscheinlich die primitivste, gewalttätigste, unmenschlichste und brutalste Gesellschaftsschicht schafft, die je auf diesem Planeten ihr Unwesen trieb, die halbe Welt in Schutt und Asche legt, Millionen von Toten produziert und den ‘Lebensraum’ seines irren Rasseversuchs markant verkleinert. Wenn das kommunistische Paradies der DDR sich dadurch auszeichnet, dass jeder, der es verlassen will, erschossen wird. Wenn die USA den Musterknaben der Demokratie spielt und überall nach Einhaltung der Menschenrechte schreit – und sowohl die Ureinwohner wie die Verschleppten versklavt und misshandelt und überall auf der Welt Kriege anzettelt, um den Frieden zu retten. Wenn der Gesundheitsminister Helvetiens endlich mal planwirtschaftlich durchregieren kann, um sein Land zu retten – und stattdessen Milliardenschäden, Konkurse, psychisches Elend verursacht, die vierte Gewalt und die Wissenschaft korrumpiert, keinen einzigen ‘rettet’, sondern grosse Impfschäden anrichtet. Die Liste liesse sich beliebig verlängern.
Genau diese Prozesse spielen sich auch heute wieder ab. Es gibt wohl kaum etwas Verschlafeneres, Rückwärtsgewandteres, Spiessigeres als die sich ‘wach’ wähnenden ‘Woken’, deren steinzeitliches Profil irgendwo zwischen Blockwart, SA, Gestapo, Stasi und selbstgefälligem Denunziantentum wabert. Sollte sich diese dümmliche Endzeitsekte durchsetzen, fällt die weltweite Kultur in einen Dornröschenschlaf. Ähnlich schwanzbeissig sieht es bei den Identitären aus, die mit einem an Lächerlichkeit kaum zu überbietenden Eifer jegliche Integration fremden Kulturguts als ‘kulturelle Aneignung’ rückgängig machen und verbieten wollen, also alles, was Spiel, Spass, kulturellen Austausch, aber auch Handel und Tourismus beflügelt. Damit stehen sie auch diametral den Inklusions- und Integrationsfreaks der weltweiten Freizügigkeit im Wege, die möglichst die ganze Welt durchschütteln und perfekt durchmischen möchten und vom ‘globalen Dorf’ träumen, in dem sich alle am Händchen halten und Halleluja singen. Solche gegenläufigen, sich in ihren Zielen widersprechenden Sekten machen aber auch wieder Spass, wenn sie sich dann gegenseitig ausrotten. Überaus amüsant sind auch die Antifa- und BLM-Bewegungen, die unter der Flagge des Antirassismus schärfsten und giftigsten Rassismus betreiben, indem sie allen ‘Weissen’ im Sinne einer Kollektivschuld systemischen Rassismus vorwerfen und sie am liebsten abschaffen möchten im Stil der guten alten Endlösung. Kleiner kann der Kreis der sich in den Schwanz beissenden Schlange gar nicht sein. Dass bei all den todernsten Umbaubemühungen der Welt der Humor verboten werden muss, ist vielleicht das deutlichste Zeichen, dass es sich um Humbug handelt. Noch nie hat irgendeine Ideologie, eine Religion, eine Weltsicht nachhaltig überzeugt, die das Lachen verbot – die wohl älteste und kulturübergreifendste Form der Freiheit. Dass alle die, die nicht nur bei der Konfrontation mit Haartrachten, sondern auch bei schmunzelnden Mitmenschen bereits ein schädigendes Unwohlsein befällt, nicht allzu lange von der Evolution weitergetragen werden, zählt zu den beruhigenden Aussichten.
Schön auch der sich in der Genderhysterie übersteigernde Feminismus mit Sprachzensur und Quotenregelungen. Für echt kompetente Frauen, und die gibt es zuhauf, gibt es keine grössere Beleidigung als die, als Quotenfrau zu gelten. Der die Sprache verhunzende, mündlich rülps- oder knackreiche Genderspeak erzeugt ausser Gespött wenig, was den tollen Frauen dienlich sein könnte. Auch das übertriebene Pathos und die Forderung nach Beweislastumkehr bei #metoo und ähnlichen Fällen ist eine Beleidigung der Frau, macht sie zu einem gefühlsgesteuerten, zu rational-juristischer Beweisführung unfähig gestempelten Wesen, was sie gottlob nicht ist. Auch hier haben wir mit der LGBTQ-Hysterie ein weiteres Sektenelement, das sowohl quer oder eben queer zu den Anliegen der Feministinnen wie generell der Sache der Frau steht. Denn mit der Forderung nach Abschaffung der biologischen Geschlechter und der Ausweitung zu einer uferlosen Zahl von ‘Befindlichkeitsgeschlechtern’ und der frühkindlichen Indoktrination der Kinder, sich doch bei geringster Lust – z.B. wenn die Frauentoilette belagert und die Männertoilette leer ist – als was anderes zu fühlen oder gleich umbauen zu lassen, all dies schadet dem Anliegen der Frau als einzigartiges, wundervolles, aber ganz klar vom Mann unterscheidbares Geschöpf. – Auch da können wir schmunzelnd zuschauen, wie sie sich gegenseitig die Haare ausraufen und am Schluss, da bin ich optimistisch, bleibt von den Ouroboroi nicht viel übrig. Sie fressen nicht nur den eigenen Schwanz, sondern sich gleich selbst ganz auf. Vielleicht braucht es nur ein kleines, echtes Kataströphchen wie einen wenigstens europaweiten Blackout, und es zählen wieder die innovativen, leistungsbereiten Bauern, Bäcker, Handwerker, die Gemüsehändler, die Melker, die Kutscher, die Knochenschlosser – und all die ideologisch gefestigten Hysteriker, die Influencer, die Aktivisten, die Politiker, die Plapperis stehen rat- und applauslos herum, wo sie doch alle eines eint: sie können nichts. Zumindest nichts, was zum Überleben beiträgt. Der Furz des ‘totalen Weltstaats’ wäre dann wieder für ein Weilchen verpufft.
Nicht dass wir das Pulver mit den Top Ten schon verschossen hätten – da ‘müssen Sie uns vertrauen’ (dieser blödsinnige Spruch hat das Zeug zur Nummer 11!), aber die Ritter von der Tafelrunde freuen sich auf die Verlängerung der Liste oder auch die gnadenlose Rehabilitierung eines der von uns durch den Kakao gezogenen Sätzchens durch Sie, sei es per Kommentar auf marpa.blog oder per Messenger auf Facebook.