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Menschen sind Missionare. Zumindest die meisten, meistens. Nichts Schöneres, als ein beglückendes Erlebnis zu teilen mit anderen. Aber was, wenn gar niemand teilen will? Oder nicht die Richtigen? Kleinkinder greifen oft zu einfachen Methoden, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen, packen den schlechten Zuhörer – so greifbar – am Kinn und drehen mit erstaunlicher Kraft das Gesicht des Langweilers in ihre Richtung. Falls das Kinn zu weit oben ist, ziehen sie irgendwo sonst an den Klamotten und führen den Widerspenstigen dorthin, wo sie ihn haben wollen. Zum Beispiel zu ihrem neusten Werk. Und wehe, der Kleinkarierte reagiert nicht mit der gewünschten Begeisterung. Das Bedürfnis, wahrgenommen und beklatscht zu werden, verändert sich bei den meisten im Lauf des Lebens in Quantität und Qualität, verschwindet aber höchst selten vollständig. Die Methoden, andere zum Teilen des eigenen Erlebten oder als einzig wahrhaftig Beglückendes Erkanntem  werden teils etwas subtiler, teils noch viel plumper als die der Dreikäsehochs. Vor allem nimmt die Gewalt zu, mit der ‘das Kinn in die gewünschte Richtung gedreht’ wird, die Unbedingtheit, mit der nicht nur die Wahrnehmung des andern, sondern auch das Teilen der Begeisterung erzwungen wird. Vielleicht ist die hemmungslose Absicht, alle ihm zur Verfügung stehenden Zwangs- und Gewaltmassnahmen anzuwenden, schon beim Kleinkind ähnlich ungebremst wie bei vielen Erwachsenen, aber einerseits steht dem Kleinen in der Regel noch nicht allzuviel Zwang und Gewalt zur Verfügung, andererseits verzeiht man ihm eher die Unreife, die Plumpheit des Vorgehens und macht gute Miene zum bösen Spiel, heuchelt Freiwilligkeit, Interesse und Begeisterung. Die klugen Kinder merken das allerdings sehr bald. Viele ziehen sich zurück oder wenden sich anderen zu, deren Anteilnahme sie für etwas echter halten. Aber das Missfallen über das missglückte ‘Landen’ bei der ins Visier genommenen Zuhörerschaft bleibt und kann sich, je nach Biographie, zu einem zerstörerischen Geschwür entwickeln, das sowohl nach innen wie nach aussen wachsen kann.  

Solange Begeisterung hinter der Aufmerksamkeitsheischerei und Missioniererei steckt, hat es ja oft etwas geradezu Rührendes. Oft will der Beglückte ja nicht nur Anerkennung vom andern, sondern auch Begeisterung im andern wecken, auch ihm ein beglückendes Erlebnis verschaffen, also nicht nur nehmen, sondern auch geben.

Angenommen, du hattest ein musikalisches oder philosophisches oder religiöses oder ideologisches oder was weiss ich für ein Erweckungserlebnis und möchtest aus tiefstem Herzen, dass möglichst viele andere daran teilhaben können und auch ‘erweckt’ werden. Du willst dein Glück nicht für dich behalten, willst, dass es andere auch erleben. – Und du findest tatsächlich einige, die sich anstecken lassen von deiner Begeisterung, deinem Glück, deinem Erwecktsein. Mitstreiter, Jünger, ‘Follower’, die nicht langweilig, nüchtern, kalt nach Argumenten fragen und über irgendwelche Details debattieren wollen, sondern wie du sich erfassen lassen vom Gefühlssturm der Begeisterung. Aber angenommen, es sind zu wenige, es sollten doch alle, die ganze Welt von deinem Glück erfahren und von deiner Begeisterung erfasst werden. Liegt es da nicht nahe, sie etwas wachzurütteln, die ‘Frohe Botschaft’ etwas nachhaltiger zu verbreiten und die doch ganz offensichtlich Unglücklichen ein bisschen glückwärts zu schubsen, zu drängen? Also wirbst du für deine Erkenntnis, genauso wie andere für ein Produkt werben, das das Leben leichter macht. Denn das wollen doch bestimmt alle, oder etwa nicht? Hier liegt m.E. einer der ersten grossen Stolpersteine des Missionarismus: die meist sonnenwarm gut gemeinte Überzeugung, dass doch bestimmt alle es ‘leichter’ haben wollen, ihre Ziele anstrengungsloser erreichen, Karriere machen, zu Geld, Wohlstand, Ruhm kommen wollen. Solange diese Sorte Missionare nur gewaltfrei und ohne Zwangsmassnahmen mit allen Mitteln der Kommunikation Werbung für ihre Überzeugungen macht, kann man sie als naive Dummerchen belächeln und in der Pädagogik nicht nur die Kinder, sondern auch die Erwachsenen immer wieder einladen, das Geschwafel zu hinterfragen, sich eine eigene Meinung zum eigenen Weg zum eigenen Glück zu bilden. Je nachdem, wie schwach diese Einladungen zur eigenen Meinungsbildung in einem Kollektiv sind, und je nachdem wieviele konkrete materielle Vorteile die ‘Erweckten’ den ‘zu Erweckenden’ verschaffen können, wird es für die Dümmeren, Schwächeren und Feigeren im Zielpublikum schwieriger, den Verlockungen zu widerstehen. Aber m.E. bleibt die Eigenverantwortung genau so lange bestehen, wie es möglich ist, sich der Missioniererei der vermeintlich ‘Erweckten’ zu entziehen. Auf der anderen Seite, bei den Missionaren, geschieht spätestens in dieser Phase etwas Entscheidendes, das von Hillary Clinton, einer der aus meiner Sicht verlogensten und widerwärtigsten Missionarinnen unserer Zeit, im Kampf umn die US-Präsidentschaft 2016 überdeutlich gemacht wurde: die Spaltung des Menschenbildes in die ‘Erweckten’, die ‘Elite’, diejenigen, die wissen, was richtig für alle ist, und die Masse der zu Erweckenden, die noch im ‘basket of deplorables’ stecken, die Bemitleidenswerten, die man da rausholen und auf die richtige Spur bringen muss. Natürlich haben wir alle meist sogar mehrfach gespaltene Menschenbilder mit einer ganzen Palette verschiedener Abstufungen.Aber die meisten von uns sind sich bewusst, dass diese Einteilung der andern in Wesen, die uns näher liegen, zu denen wir leichter Zugang finden, mit denen wir besser kommunizieren, zusammenarbeiten, Spass haben können, subjektiv, persönlich und damit von eingeschränkter, relativer Gültigkeit ist. Mir liegen Menschen, die gern denken, Musik machen und Tiere lieben und mit Tieren leben, deutlich näher als Menschen, die nicht gern denken, nie Musik machen und keine Affinität zu Tieren haben. Aber das führt nicht zu einer Abwertung der bildungsfernen, unmusikalischen und tierfernen Menschen. Ich bin sogar froh, zieht es so viele in die immer dichter verbauten Städte, und wollen nicht alle wie ich mit Pferden, Hunden, Kühen, Schafen, Ziegen und Wildtieren auf dem Land leben. Und ich hüte mich deshalb, bei den Städtern fürs Landleben zu missionieren. Auch mein Wahlspruch: «Man kann schon ohne Hund leben, aber es lohnt sich nicht!» gilt nur für mich und ich möchte gar nicht, dass alle mir zustimmen. Was für ein grässliches Hundeleben wäre das, wenn jeder Städter einen Hund hätte!

Das gespaltene Menschenbild wird erst ein Problem, wenn wir zu missionieren beginnen. Wenn wir den andern, der unser ‘Erweckungserlebnis’, unsere beglückende Erkenntnis nicht teilen will, der nicht unserem Bild des ‘richtigen Menschen’ entspricht, mit einengenden Massnahmen, mit individuellem oder kollektivem Zwang und letztlich mit physischer Gewalt dazu zwingen wollen, den ‘richtigen’, also unseren Weg einzuschlagen, die richtigen ‘moralischen Werte’, also unsere, hochzuhalten und zu befolgen. Die banale Einsicht, dass zumindest bislang keine zwei Menschen entdeckt wurden, die sich zu 100% einig sind in ihrem Wertegebäude, ihrer Weltsicht, ihrem Welterklärungsmodell, sofern sie denn eines haben, sollte eigentlich genügen, um dieses mit Zwang operierende Missionsvorhaben abzulehnen und zu verhindern. Die überblickbare Menschheitsgeschichte zeigt das Gegenteil. Für mich die entscheidende differentia specifica zwischen dem Menschen und der ganzen Mitwelt: Seit Menschengedenken versuchen Einzelne und Kollektive, andere zu ihrer Ideologie, Religion zu bekehren, sie zu ihrer Sicht, zu ihrer Lebensweise, zu ihrer Gesinnung und Haltung, zu ihrem Wertekanon zu zwingen, unter Androhung aller Stufen von Gewalt bei Ungehorsam: von Liebesentzug über Marginalisierung im Kollektiv, Entlassung aus dem Arbeitsbereich, soziale Ächtung, Verbannung aus dem vertrauten Umfeld, Landesverweis bis zur Hinrichtung.

Bewegungen, die dies zu ändern versuchten, wie die Aufklärung, wie die Statuierung der Meinungsäusserungs- und Religionsfreiheit in Verfassungsstaaten, blieben immer Stückwerk mit labilen Hoch-Zeiten, ständig absturzgefährdet. Zu gross ist dieser Drang im Menschen zum Missionarismus, zu stark die Lust, die nicht gleich sein Wollenden mit Gewalt zu gleich sein Müssenden zu machen. Wenn wir etwas Abstand nehmen zur Gegenwart können wir eine dreidimensionale Sinuskurve der Freiheit und Selbstbestimmung entdecken mit Erhebungen und Verbreiterungen in gewissen Zeitumständen, je nach geostrategischer Dominanz unterschiedlicher Kulturen, je nach Kräfteverhältnissen und Bildungsstand von Bevölkerungen, je nach wirtschaftlicher Prosperität und militärischer Sicherheit innerhalb eines Kulturraums. Wenn wir diese Beobachtung nüchtern vornehmen, kommen wir mit grosser Wahrscheinlichkeit zur Feststellung, dass es schon besser stand um Freiheit und Selbstbestimmung, dass es schon Zeiten mit weniger Missionarismus, mit stärkerer Einschränkung von Zwang und Gewalt zur Herstellung gleicher ‘Erweckung’, gleicher Gesinnung, gleicher Haltung, gleicher Überzeugungen, gleicher Welterklärungsmodelle gab. Der unter anderem Voltaire zugeschriebene Spruch, der in verschiedenen Varianten existiert, aber die Zeit der Aufklärung markant einfängt: «Ich halte es für Schwachsinn, was Sie sagen, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie es sagen dürfen!» ist fast völlig aus der öffentlichen Kommunikation und den Mainstreammedien verschwunden. Der Zeitgeist bedient gerade das Gegenteil. Sprachzensur wie im tiefsten Mittelalter hat Einzug gehalten. War es damals die übermächtige katholische Kirche, die jeden für vogelfrei erklären, mit Bann belegen oder gleich in die eiserne Maria stecken oder auf den Scheiterhaufen binden konnte, der mit irgendeiner Äusserung gegen die kirchlichen Sprachregelungen verstiess, sind es heute nicht minder lächerliche, meist infantile, für mich aber trotzdem in vielen Fällen locker den Status terroristischer Vereinigungen erlangende Gruppierungen wie die ‘Woken’, die ‘Identitären’, die ‘Genderhysteriker’, die ‘Antifa’, die ‘BLM’ und viele mehr, die der Menschheit verkünden, was, wie, wo gesagt und vor allem, was, wie, wo nicht gesagt werden dürfe. Wie immer gibt es viele Jünger, Follower, Dummies, Feiglinge, Schwachköpfe, die eilig und unbedacht hinterherrennen. Es ist mit dem ‘Zeitgeist’ nicht anders als mit der Kleider- oder Frisurenmode: Nichts ist so doof, so dumm, so hässlich, dass es nicht Leute gäbe, die es mitmachen, die dabei sein wollen, dazugehören wollen, auf der ‘richtigen Seite’ stehen wollen.

Und damit sind wir – endlich – bei der spannenden Frage, woran es denn liegen könnte, dass es immer schon so viele Menschen gab, denen der Status eines Mitläufers, eines Jüngers, eines Nachplapperis, eines Followers genügte. Hier eine Auswahl von Faktoren, die alle miteinander verknüpft sind, mit der Bitte um Ergänzung:

  • Unsicherheit: Noch nie war ein Mensch wirklich felsenfest sicher, ob er, ob die Welt wirklich existiert, und wenn ja, ob sie so existiere, wie er sie wahrnehme. Schon als Kleinkind erleben wir diese Diskrepanz, diese Verschiedenheit der Wahrnehmungsinterpretationen schon bei den banalsten Dingen, bei der Nahrung, die uns aufgedrängt oder entzogen wird, bei den Beschäftigungen, die uns aufgedrängt oder vorenthalten werden. Und diese unterschiedlichen Antworten auf die Frage, was ist jetzt gerade richtig, was falsch, was ist generell richtig, was falsch, lässt uns nie mehr los. Wenn unsere Selbständigkeit und Eigenverantwortung grösser wird, bemerken wir, dass wir auch ohne äussere Einflüsse, zumindest ohne äussere Zwangsmassnahmen unsicher sind, was als nächstes zu tun sei, was richtig, was falsch sein könnte – und wir erleben tausendfach, dass unsere Entscheidungen vielleicht nicht immer ‘falsch’, aber sehr oft nicht zielführend, nicht ideal, zumindest suboptimal waren. Diese tiefe Unsicherheit überfordert viele Menschen. Sie können nicht umgehen damit und suchen nach Orientierung im Aussen. Nun ist es nur noch eine Frage des Masses unserer Unsicherheit und unseres Orientierungsbedürfnisses, wann und wie stark wir der Versuchung erliegen, uns irgendwelchen Einzelnen oder Kollektiven anzunähern, die uns Sicherheit versprechen. Wie sich in den letzten paar tausend Jahren zeigte, ist der Inhalt, die konkrete Ausgestaltung dieser Orientierungsstrukturen sekundär. Flapsig ausgedrückt: es kann der grösste Schwachsinn sein, und es ist auch oft hanebüchener Schwachsinn; wenn er gut verpackt, gut verkauft, von den ‘richtigen Leuten’ zum ‘richtigen Zeitpunkt’ in der ‘richtigen Weise’ verbreitet wird, kann auch der unsäglichste Schwachsinn Erfolg haben, ‘Follower’ generieren und zu einer Massenbewegung werden.
  • Dummheit: Dummheit ist natürlich ein Korrelat zur Unsicherheit. Aber die Verknüpfung ist nicht zwingend. Wenn wir uns bewusst sind, dass wir in irgendeinem Bereich unsicher, nicht fachkompetent sind, können wir uns ‘schlau machen’, können recherchieren, uns einarbeiten, üben, trainieren etc., bis wir sicherer werden. Wir müssen uns nicht hirnlos in die Arme vorgeblich Besserwissender, sich als Fachkräfte oder modisch ‘Experten’ aufspielenden Meinungsmacher stürzen. Letzteres ist der Weg der Dummen und auch der Faulen und Feigen – damit hätten wir zwei weitere Eigenschaften, die wir am Schluss bei uns auf das Mass ihrer Ausprägung in unserem Wesen prüfen können. Denn es ist natürlich viel anstrengungsloser, sich in die Arme einer Religion, einer Sekte, einer Ideologie, einer Partei, einer ‘Bewegung’ zu werfen, als selbst nachzudenken, alles Geschwurbel und alle Missionstraktate zu hinterfragen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Soviel zu den Faulen. Es ist auch viel einfacher, sich in ein soziales Umfeld zu begeben, wo alle möglichst die gleiche Gesinnung vor sich hertragen wie eine Monstranz. So muss man keine Eigenverantwortung übernehmen, steht nie allein da und muss keine subjektive, aber selbst erarbeitete Sicht verteidigen. Soviel zu den Feigen.

Fazit bislang: Unsicherheit allein ist kein Makel, im Gegenteil. Es kommt nur darauf an, wie man mit der zu den conditiones humanae gehörenden Unsicherheiten umgeht. Dummheit, Faulheit und Feigheit hingegen, die meist im Tripelpack vorkommen, sind m.E. wesentliche Kernbestandteile des Missionarismus und gehören samt und sonders nicht zu den zwingenden ‘Schöpfungsparemetern’.

  • Angst ist ebenso ein Korrelat zu Unsicherheit wie Dummheit, Faulheit und Feigheit. Aber wiederum gibt es Varianten der Verknüpfung. Angst kann man als potenzierte oder zeitlich und räumlich verdichtete Unsicherheit bezeichnen. Damit haben wir wieder die gleichen Wahlmöglichkeiten wie bei der Unsicherheit: Wir können unsere Ängste anschauen und gezielt an ihnen arbeiten, sie konfrontieren und mindern. Das gehört eigentlich ganz natürlich zu einer gesunden Entwicklung. Ich wage sogar das Mass der Angstfreiheit als Masstab für das Gelingen einer Entwicklung zu bezeichnen. Und das nicht nur beim Menschen. Wenn wir mit Hunden, Pferden oder anderen Tieren arbeiten, ist es ebenfalls ein wichtiges Ziel, Ängste zu mindern oder ganz zu überwinden. Das ist mit Arbeit verbunden. Der erste Schritt ist die Einsicht in die Relativität aller Ängste. Erhellend ist die Erkenntnis, dass es nichts gibt, vor dem alle Menschen Angst haben, aber auch nichts, vor dem kein Mensch Angst hat. Der zweite Schritt ist also die Übernahme der Eigenverantwortung für seine Ängste. Das versaut uns zwar das tolle, weltweit am liebsten gespielte Spiel der Schuldprojektion, wenn nicht mehr das Angstauslösende, sondern wir selbst verantwortlich sind für unsere Angst. Aber es birgt auch die gigantische Freiheit, dass wir selbst das Problem lösen können. Wir müssen nicht das Angstauslösende auslöschen, wegmachen, hinrichten, verdrängen oder wie auch immer lebenslänglich bekämpfen – wir müssen nur unsere Einstellung dazu ändern, unsere Angst überwinden. Und da dies schon Millionen von Wesen mit allen möglichen inneren oder äusseren Ängsten gelungen ist, können wir relativ frohgemut an die Sache herangehen. Die Relativität und auch Lächerlichkeit aller Ängste wird m.E. nirgends ironischer eingefangen als bei Asterix und Obelix, deren einzig verbliebene Angst ‘que le ciel leur tombe sur la tête’ ist.

Nun empfiehlt sich wieder ein Blick auf den gerade aktuellen Zeitgeist: Gab es je eine Zeit, in der sich ein so grosser Teil der Menschheit als Opfer verstand und in der die Gefühlsebene derart prioritär war? Anders formuliert: eine Zeit, in der Eigenverantwortung, Selbständigkeit, individuelle Freiheit und damit auch eigenes Denken so wenig galt? In der die Meinungsäusserungsfreiheit und mit ihr weitere Grundrechte lauthals und ohne Hemmungen zur quantité négligeable erklärt wurden? In der echte Debatten zwischen Andersdenkenden mit allen Mitteln vermieden wurden? Eine zeit, in der Mainstreammedien in vermeintlichen Rechtsstaaten freiwillig und gut bezahlt zu Regierungsverlautbarungsorganen degenerierten? In der sogar die Justiz – in Deutschland am augenfälligsten das Bundesverfassungsgericht –, zu einer Regierungsbestätigungsinstitution absank? Gut möglich, dass es in der Steinzeit oder auch im Mittelalter ähnlich herb zu und her ging, dass wir heute einfach eine deutlichere Datenlage haben. Aber wenn wir an die Lächerlichkeit und Gemachtheit der Corona-Panik und der Klima-Panik denken, an die gerade neu lancierte ‘Affenpocken-Panik’, an die von den Mainstreammedien lustvoll angeheizte 3.Weltkriegs-Panik, dann ist es doch erstaunlich, wie leicht und wie viele vermeintlich ‘aufgeklärte’ und ‘selbst denkende’ Zeitgenossen darauf hereinfallen und sich – lustvoll, oder bilde ich mir das nur ein? –  mitängstigen und – darin steckt vielleicht das Lustvolle? – mitempören. Nun kann man natürlich auch als Beobachter dieses Zeitgeistes in die Angstfalle tappen und Angst vor der Angst der Zeitgenossen entwickeln. Auch da: Selbstverständlich darf man das, aber wer es gewohnt ist, Ängste dazu zu benutzen, sie zu überwinden, wird sich auch dieser Herausforderung stellen. Wenn man versucht, das Fernglas umzudrehen und künstliche Distanz zur eigenen Zeit herzustellen, wächst das Vertrauen in die Sinuskurve, auch wenn man die Amplitude und die Frequenz nicht genau kennt. Auch dieser irgendwie sogar lustige Ausschlag der sich so unsäglich schlau wähnenden Menschheit runter in dieses Tal von Missioniererei und einem Rattenschwanz den Missionaren hinterherhürschender, gefühlsdussliger Follower wird nicht ewig dauern. Gut möglich, dass diese Phase sogar einen Beitrag zur Reduktion der Weltbevölkerung leistet, was ja eigentlich, cum grano salis, eine gute Sache – und vielleicht sogar der tiefere Sinn dieser kräftigen Ausbuchtung sein könnte. Und auch bei diesem letzten Bild ist es nur meine persönliche Wertung, dass es eine Ausbuchtung der Sinuskurve nach unten sei. Für viele Grossmissionare mag es eine nach oben, nach ganz oben sein.

Nun kommt das Interessanteste, die Denkaufgabe, mit der Sie, liebe Leser, dem Gekritzel erst einen Sinn abtrotzen. Die Gretchenfrage lautet: Wie haben Sie es mit der Missioniererei? Wann, wie, wo, in welchem Bereich, wem gegenüber, mit welchen Mitteln, mit welcher Intensität, Nachhaltigkeit, mit wieviel Zwang oder gar Gewalt versuchten und versuchen Sie, zu missionieren, andere auf den ‘richtigen Weg’ zu bringen, sich Ihrer, natürlich der richtigen, Sicht anzupassen, einzuschwenken auf den ‘moralisch richtigen’ Weg, richtig zu leben, die richtige Bildung zu genehmigen, richtig zu essen, zu kopulieren, Beziehungen zu gestalten, zu reden, zu schreiben, den richtigen Tätigkeiten nachzugehen, die richtigen Medien, die richtigen Bücher zu lesen, die richtigen Filme zu schauen, das Richtige zu denken und vor allem auch das Richtige zu fühlen – und Ihre Empörung über die Nichtrichtigen zu teilen. Wie fest bemühten undbemühen Sie sich, die beriets auf den richtigen Weg Gelotsten einzuladen, mitzuhelfen, die Nichtrichtigen in die Schranken zu weisen, zurückzudrängen, deren Denken, Fühlen, Reden, Schreiben und Tun zu missbilligen, zu verurteilen, zu verhindern, zu verbieten. Wann, wie, wo, bei wem haben Sie schon gedacht, man sollte sie einsperren oder – noch besser – ganz aus dem Spiel nehmen, wie das die Islamisten mit voller Überzeugung mit den ‘Ungläubigen’ machen?

Seien Sie nicht zu nett mit sich. Sie müssen das Resultat dieser Recherche ja nicht veröffentlichen. Es reicht, wenn Sie sich selbst klar werden darüber, wann und wo Sie schon Missionar, Fundi, Verfechter von Absolutheitsansprüchen, Inhaber der einzig richtigen Sicht auf irgendetwas waren und sind, und sei es nur bei der Babyernährung oder der Art, wie man ein Auto richtig wäscht. Und – noch viel wichtiger – ob Sie je Ihre Machtposition zur Durchsetzung Ihrer ‘richtigen Sicht’ missbrauchten, oder es immer noch tun, und wieviel Zwang oder gar Gewalt Sie dazu je angewendet haben – oder sie immer noch anwenden. Hatte der von Ihnen Missionierte immer die Möglichkeit, sich Ihren Massnahmen zu entziehen? Haben Sie seine Dummheit, seine Faulheit, seine Feigheit, seine Angst ausgenützt, um ihn auf die ‘richtige Spur’ zu bringen?

Wenn viele sich dieser Selbstbefragung stellen würden, hätte dies, so meine optimistisch-sonnige Vermutung, einen Einfluss auf die Frequenz obgenannter Sinuskurve, auf die Verweildauer im tiefen zeitgenössischen Tal der grösstmöglichen Entfernung von der Aufklärung.        

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4 Comments

  1. Avatar marpa

    Maja Hagander

    Lieber Christoph
    Die Länge deines Rundumschlags über alles, was dich nervt, ist wohl darauf zurück zu führen, dass du in deiner ländlichen Idylle mit deinen Tieren kommunizierst, die ja die schöne Eigenschaft haben, nie zu widerspreche (wenn man vom Meckern der Ziegen mal absieht!) und außerordentlich geduldig zuhören können.
    Ich habs auch nicht mit den Woken, den Gendergerechten und Verhunzern unsrer schönen Sprache mit Doppelpunkten und Sternchen. Ich nehme mir die Freiheit und passe mich nicht an.
    Etwas mehr Gelassenheit täte gut, was heute trendig ist, kümmert morgen keinen mehr!
    Viel wichtiger sind mir Toleranz, Anstand, Verlässlichkeit und Menschlichkeit…wer sie pflegt und verteidigt kann zumindest jeden Morgen in den Spiegel sehen ohne sich schämen zu müssen.
    Und damit ich nun bloss nicht ins dozieren/missionieren komme schliesse ich meinen Beitrag!
    Geniess den Sommer, mit Tieren und Menschen
    Gruss, Maja

  2. Avatar marpa

    Ute

    ui, was für eine Aufgabe. Ich wende die Salamitaktik an. In Scheibchen kann ich es verdauen. Kleinkinder so negativ zu sehen? Wie geht das denn. Sie können nur so kommunizieren, da sollten wir als hoffentlich Erwachsene dieser Kommunikationsform gewachsen sein. Die Sprache ist nicht geschliffen, ja und das wird noch. Und ein Lachen hilft auch.
    Mich regen viele Dinge nicht auf. Wahrnehmen, nicht wichtig nehmen. Geht vorbei, Kinderkrankheiten,wächst sich aus, ist saisonal.
    Du bringst mich so oft zum heilsamen Lachen, das wünsche ich Dir auch.

  3. Avatar marpa

    Ute

    Ach, Junge, ach Philosoph, ich verstehe diese Einstellung nicht. Nun bin ich nur eine Laborratte und weiß,die Naturwissenschaften, auch mein Steckenpferd,nicht nur mein Beruf, bieten keine absoluten Wahrheiten. Ich kenne auch sonst keine absoluten Wahrheiten. Ich mag es,Freude zu teilen, Gleichgesinnte zu finden, zu finden, nicht zu machen.
    Das hat mit Missionierung nichts zu tun. Geteilte Freude ist doppelte Freude. Jedem Tierchen sein Plaisirchen.
    Und sonst, ich versuche meine Grenzen zu schützen, was schwer genug ist, machen lassen und manchmal hat man das Glück im gleichen Takt zu tanzen dann kommt der Gedanke der feindlichen Übernahme nicht auf.Das zählt, das andere verschwindet und ist unwichtig.

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