Der mit scharfer, ja harscher Stimme von Ulla Feldmann Schild, in die Schweiz, genauer nach Brienzwiler zugewanderte Dressurrichterin aus Germanistan, laut durch die altehrwürdige Berner Reitbahn 1 gebrüllte Ruf, die junge Dame mit der Nummer 37 möge sich vorstellen kommen, sorgte natürlich nicht für eine Beruhigung der Nerven von Heidi, die noch nicht oft im Viereck ein Programm geritten hatte auf dem zappligen Fridolin. Das war aber wohl auch nicht die Absicht der gestrengen deutschen Dame, die eher eine nachhaltige pädagogische Wirkung erzeugen wollte: nämlich ihre Vorstellung von Anstand durchzusetzen, was sie dann auch tat, indem sie dieses anstandslose Wesen anstandslos auf den letzten Platzn beförderte. Mehr konnte sie nicht tun. Denn in keinem Reglement steht, dass die Reiter in den Basisprüfungen, die vor Beginn schon ins Viereck reindürfen, um sich dort noch eine oder zwei Minuten zu akklimatisieren, während die Richter die Schlussnoten des vorherigen Starters vergeben, diese Richter stören müssten, um brav nochmals zu sagen, was diese auf der Startliste sehen: Name von Reiter und Pferd sowie die Startnummer. Man könnte dies sogar als Beleidigung der Intelligenz oder der Lesefähigkeit des Richters auffassen, wenn man anhält vor ihm, um ihm nochmals um die Ohren zu hauen, wer man sei und auf welchem Tier man sitze und welche Startnummer man habe, die ja bekanntlich auch als Kopfnummer am Pferd prangt.

Heidi und Fridolin jagen anhaltslos am hohen Gericht vorbei – also sowas!
Frau Feldmann Schild aus dem Reich hingegen kriegte sich fast nicht mehr ein, als ich es wagte, sie zu fragen, warum sie das 15-jährige Mädchen angeschnauzt habe, die genau, wie ich sie angewiesen hatte, im sauber geschlossenen Arbeitstempo an den Richtern vorbeigaloppierte und nur schnell den Kopf grüssend drehte. Es sei weder nötig, anzuhalten noch wie ein Kleinkind beim Samichlaus zu wiederholen, was die Richter ja auf der Startliste sehen und was in grösseren Prüfungen der Speaker für die Zuschauer – nicht für die Richter – verkündete.
“Das ist eine Frage des Anstands!!!”, zischte mich Feldmann Schild im Ton einer KZ-Wächterin an. Und da sie auf die Frage, in welchem Reglement denn stehe, dass diese kleinkindliche Begrüssungstour obligatorisch sei, wiederholte sie nur insgesamt siebenmal, dass das eine Frage des Anstands sei. Beim siebten Mal ergänzte sie ihr langsam lahm werdendes Argument mit der Drohung, sonst hätten wir bald gar keine Dressurrichter mehr, wenn man nicht einmal den minimalsten Anstand erwarten dürfe.
Tja, dass Meinungsfreiheit im ‘besten Deutschland aller Zeiten’ nicht gerade gross geschrieben wird und die Brandmauer und der befohlene Hass gegen die grösste Oppositionspartei vielleicht auch als eine Frage des ‘Anstands’ oder der ‘richtigen Haltung’, der ‘einzig wahren Gesinnung’ angesehen wird, ist nicht neu. Aber wir sind gottlob noch in der Schweiz, und da darf man durchaus eine abweichende Meinung haben, auch bei der Frage, was ein ‘anständiger Gruss’ eines Reiters sei.
Bevor die Sicherheitshysterie auch die Dressur erfasste und der wunderschön zum Frack passende Zylinder durch ein Versatzstück aus dem Eishockey, einem zur eleganten Kleidung in geradezu absurdem Gegensatz stehenden Helm ersetzt wurde, grüssten wir so:

zackig, à distance (mit Dallywell EM Pau 2001)
Heute ist der Gruss im aktuellen Schweizer Dressurreglement in Artikel 7.6. Ziffer 7 folgendermassen festgelegt:
7 Reiter und Reiterinnen grüssen, indem sie die Zügel in eine Hand nehmen und den anderen Arm sowie das Haupt senken. Reiter können nach wie vor grüssen, indem sie die Zügel in eine Hand nehmen und mit der anderen das Haupt entblössen.

Auch noch elegant, wenn auch gesichtslos (Lena Aeppli auf Easyman, Griesbach 2024)
Letzteres tut natürlich niemand mehr, da er ja dafür kurzfristig den festgezurrten Helm öffnen, abnehmen, wieder aufsetzen und den Verschluss wieder zumachen müsste, was einhändig relativ schwierig ist und vor allem beim Gruss am Anfang des Programms vielleicht eher ungünstige Auswirkungen haben könnte. Denn es gilt unter demselben Titel 7.6. gleich die nachfolgende Ziffer 8:
Auf dem Abreitplatz und im Viereck ist das Tragen eines Reithelms mit Dreipunktbefestigung für alle Reiterinnen und Reiter in allen Prüfungen obligatorisch.
Juristen könnten sich nun darüber streiten, ob sich Ziffer 7 mit der Möglichkeit, das Haupt zu entblössen mit Ziffer 8 überhaupt vertrage, da ja während des Entblössungsaktes die Forderung von Ziffer 8 nach Tragen eines Helms kurzzeitig nicht erfüllt ist, aber es macht es aus oben erwähnten Gründen eh niemand mehr.
Aber noch immer ist der Gruss auf Distanz von der Mittellinie aus eine auch für die Zuschauer elegante Art, sich vorzustellen oder sich am Schluss zu verabschieden. Dass man bei den Einstiegsprogrammen auf den Anfangsgruss verzichtet, damit die oft jungen Pferde oder wenig routinierten Nachwuchsreiter nicht gleich schon zu Beginn mit dem Stillstehen zu kämpfen haben, brachte wohl diese Idee mit dem Schwatz bei den Richtern auf – weder elegant noch würdig noch sportlich, finde ich. Aber vielleicht wird es auf Betreiben der deutschen Anstandsdame ja bald ins Reglement aufgenommen und dann müssen auch wir es tun, was sie bestimmt genüsslich mit den Zähnen knirschen liesse. Aber noch ist es nicht soweit.
Da ich als Schweizer auch einer Vertreterin des sich gern gängeln lassenden Untertanenvolkes der Germanen gegenüber auf Meinungsfreiheit beharre, setze ich der Behauptung, der Kleinkinder-Samichlaus-Gruss sei eine Frage des Anstands, meine These gegenüber:
Es ist eine Frage des Pferdes

Mit Mimi in Burghley – er war wenig geeignet für einen Schwatz bei den Richtern…
Es gibt bestimmt Pferde, die sich beruhigen, wenn man am möglichst langen Zügel einen kleinen Schwatz abhält mit den Richtern. Es ist derselbe Pferdetyp, der alles zuerst begucken will, bevor er daran vorbeigeht. Am anderen Ende der Skala gibt es den Pferdetyp – und der Fridolin mit der Heidi drauf ist so einer – die am besten an allen Schrecklichkeiten wie zum Beispiel einem Richtertisch mit einer schlecht gelaunten Dame dahinter vorbeigehen, wenn sie geschlossen, an den Hilfen, im besten Fall sogar richtig versammelt oder, wenn das noch nicht gelingt, beim ersten Mal – Achtung Shitstorm der Rollkur-Hysteriker – etwas hinter der Senkrechten eingestellt sind. Nur nicht anhalten und nur nicht Schritt, sondern am besten Galopp. Der geübte Reiter kann dann immer noch kurz zu den Richtern grinsen, die aber, wie eingangs erwähnt, in diesen ein bis zwei Minuten noch mit dem vorherigen Konkurrenten beschäftigt sind. Sollten sie damit fertig sein, wird in aller Regel geläutet, man will ja keine Zeit verlieren.

Bruno Kalt, hier als Parcoursbauer
Wer hingegen gern sein Pferd beim Halt und Schwatz beruhigt und das Glück hat, bei Bruno Kalt, einem meiner Lieblingsrichter, seine Vorstellung zu produzieren, muss damit rechnen, dass er den alten, in den Ohren zarter Dressurreiter etwas martialisch klingenden Gruss aus den Zeiten, als Eventing noch Military hiess und uniformierten Männern vorbehalten war: «Hals und Bei!» Als Schreiber bei Bruno sah ich nach diesem aufmunternd gedachten Grusswunsch einige zarte Damen zusammenzucken. Ich stellte mir vor, wie sich in ihnen kurz ein Horrorszenario abspielte, wie sie fern grauslicher Sprünge im umfriedeten Viereck die Beine und – schlimmer – den Hals brechen könnten…
Wie auch immer man selbst zum Thema ‘Grüssen im Viereck’ steht, werte Frau Feldmann Schild, es gibt hierzulande mehr als nur eine Meinung. Falls diese grauenhafte Vorstellung, dass es nebst der Ihrigen auch noch andere akzeptable, diskussionswürdige Meinungen geben sollte, Sie zur Remigration veranlassen würde, trüge ich diesen Entscheid mit Fassung.