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1. Misstraut jedem, der von euch Gehorsam verlangt!

Begriffliches
‚Gehorsam‘ bedeutet, zu denken, zu fühlen oder zu handeln ohne Überprüfung der Legitimation dessen, der diesen Gehorsam verlangt, und ohne bewusste autonome Einwilligung. Am delikatesten ist der Gebrauch des Begriffes dort, wo der Gehorsam Verlangende und der Gehorchende ein und dieselbe Person sind. Wenn also jemand sagt: „Ich gehorche mir selbst, meiner inneren Stimme, meinen Überzeugungen, meinen Werten“. Ich behaupte, dass in diesen Fällen der Begriff ‚Gehorsam‘ nur angebracht ist, wenn der Betreffende diese innere Instanz nicht hinterfragt, wenn er die Herkunft seiner Überzeugungen nicht erkundet, die Entstehung und den Wandel seiner Wertehierarchie nicht kritisch beleuchtet. Tut er dies hingegen, ist sein Verhalten, Denken, Fühlen nicht als ‚Gehorsam‘, sondern als ‚autonom‘, als ‚erwachsen‘ zu bezeichnen. Kriterium für die Unterscheidung ist, ob und wie sich die Überzeugungen und Werte einer Person entwickeln und ändern. Geschieht dies bewusst, reflektiert, mit emotionaler Intelligenz – oder vielmehr durch unmerklichen oder spürbaren Druck von aussen, durch schieres Altern? Werden Erfahrungen verarbeitet oder folgt man unbewusst und nur wenig aneckend dem Bob-Run des Mainstreams?
– ‚Vertrauen‘ ist ein positiv konnotierendes Wort für herzerfrischende Naivität, die sich oft als nur dürftig verkleidete Dummheit und Bequemlichkeit entpuppt. Oft wird ‚Vertrauen‘ auch als verkappte Drohung im Diskurs eingesetzt (man sagt „ich kann dir doch vertrauen in dieser Sache, oder?“ und lässt in Prosodie, Mimik, Gestik eine Fortsetzung des Satzes mitschwingen im Sinne von „wenn du dich nicht so verhältst, wie ich das wünsche, könnte das üble Folgen für dich haben…“). ‚Vertrauen‘ kann aber auch, z.B. im Kompositum ‚Selbstvertrauen‘, mit Wortfeldern wie ‚Mut‘, ‚Abenteuerlust‘, ‚Lebensbejahung‘ überlappen und so durchaus Autonomie und Stärke signalisieren. Dann ist es aber völlig inkompatibel mit ‚Gehorsam‘.
– ‚Misstrauen‘, Skepsis allem, auch sich und seinen aktuellen Meinungen gegenüber, kombiniert mit Mut und Abenteuerlust ergeben die beste Grundlage für ein Leben in Autonomie. 

2. Gehorsam ist immer ‚blind‘

Dies ergibt sich aus der Begriffsbestimmung unter These 1. ‚Sehender‘ oder ‚taktischer‘ Gehorsam ist genau besehen kein Gehorsam im engeren Sinne, sondern regelkonformes Verhalten oder Resultat einer Güterabwägung, die zum Schluss führt, dass das geforderte Handeln das kleinere Übel ist als die Folge der Verweigerung des Geforderten. Wenn wir z.B. unter Zwang, Gewaltdrohung stehen, oder wenn die Zeit schlicht nicht reicht für die Überprüfung der Legitimation der von uns etwas fordernden Person oder Instanz, sei es, dass die nötigen Daten nicht oder nicht rechtzeitig verfügbar sind, sei es, dass wir uns die zu ihrer Deutung nötige Kompetenz nicht innert nützlicher Frist erwerben können, kann es sein, dass wir uns ohne langes Fackeln dafür entscheiden, das zu tun, was jemand von uns verlangt. Aber auch das Resultat einer solchen Güterabwägung ist in der von mir postulierten Begrifflichkeit nicht ‚Gehorsam‘, sondern auf einem autonomen Entscheid beruhendes Verhalten. Es mag äusserlich täuschend ähnlich aussehen wie ‚Gehorsam‘, aber innerlich steht die Haltung des ‚inneren Ungehorsams‘ im Weg.
Entdeckt aktiv und passiv diese ganz wenigen und seltenen Situationen, in denen die Zeit nicht reicht, Erklärungen abzugeben. Versucht, diese Situationen im voraus zu besprechen oder gar durchzuspielen mit denen, die zusammen mit euch potenziell in solche Situationen geraten könnten. Macht auch Codes ab, die bedeuten, dass die Erklärungen nachgeliefert werden, dass der ‚taktische Gehorsam‘ oder besser das ‚unüberprüfte Handeln nach Vorschrift‘ nur für ganz beschränkte Zeit und nur für den Raum gilt, in dem man sich gerade befindet. Es gibt auch Situationen, in denen es keine Codes mehr braucht, weil der Zeitmangel offensichtlich ist wie z.B. bei Feuersbrunst, Naturkatastrophen, Kriegssituationen. Aber auch hier gilt es, die erste Möglichkeit für Legitimierungen der Gehorsam-fordernden Autorität zu nutzen, und sei es nur eine Uniform, ein Ausweis oder ein sonstiger Beleg für eine in der konkreten Situation den vorübergehenden Autoritätsanspruch legitimierende Kompetenz.                                            

3. Der Autonome zeichnet sich aus durch eine Haltung des inneren Ungehorsams

Diese Haltung zeigt sich darin, dass das durch Machtinstanzen oder Umstände erzwungene Verhalten immer wieder neu auf seine Unausweichlichkeit geprüft wird. Der Gehorsame gibt sozusagen einen Blankoscheck ab, in dem sein ‚Denken, Fühlen, Verhalten im Sinne dessen, der es fordert‘ verbrieft ist. Der innerlich Ungehorsame aber erweckt höchstens äusserlich, im Verhalten den Anschein von Gehorsam, die Autonomie seines Denkens und Fühlens lässt er sich auch durch massivste Ausseneinwirkung nicht nehmen. Der mithin immer blinde Gehorsam ist somit in keiner Situation die adäquate Reaktion. Am schlimmsten ist der blinde Gehorsam, wenn er zu einem Dauerzustand wird, wenn er zeitlich und räumlich nicht beschränkt ist und wie eine Seuche ganze Kollektive erfasst. Dauergehorsam schadet nicht nur dem, der ihn leistet, sondern steht am Ursprung der übelsten Ereignisse der Menschheitsgeschichte. Die Geschichte der katholischen Kirche, aber auch anderer religiöser Institutionen, legt beredtes Zeugnis für diese These ab. Der Autonome hingegen ist immer ’sehend‘ und ‚gehorcht‘ nie. Er reagiert auch in höchster drängendster Not noch zumindest intuitiv selbständig, erfasst die Handlungsmöglichkeiten, seinen Handlungsspielraum, lässt in Sekundenbruchteilen mögliche Szenarien ablaufen, überschlägt die Folgen seines Handelns und entscheidet dann in voller Eigenverantwortung.
Entwickelt und pflegt die Fähigkeit zu innerem Ungehorsam. Wir stehen ab Geburt unter Fremdeinfluss. Meist ist dieser Einfluss gut gemeint – aber nichtsdestoweniger ein Hindernis auf dem Weg zur Autonomie. Während der Kindheit ist unser Bewusstsein mit einer semipermeablen Membran umhüllt und es ist für uns schwierig zu erkennen, was wirklich unsere Gedanken, unsere Gefühle sind und was uns von welcher Seite her implantiert, suggeriert, eingeimpft wird. Wir können in der Adoleszenz gar nicht übertreiben mit dem inneren Ungehorsam, da es zuerst einmal gilt, die Funktionsweise dieser zeitlebens und auch sinnvollerweise teildurchlässigen Membran um unser Bewusstsein zu verstehen. Gerade die Gewissheiten, von denen wir zutiefst überzeugt sind, sie seien unsere eigenen, wir hätten sie selbst entdeckt, sollten wir hinterfragen und herausfinden, woher sie kommen, wie und warum sie sich zu Überzeugungen entwickelten, die wir als eigene anschauen. Hier hilft der Vergleich mit den Grundüberzeugungen von Menschen aus völlig anderen Kulturen, anderen Zeiten, anderen sozialen Schichten, anderen Bildungsniveaus. Erst wenn uns jemand eine farblose Welt schildert, können wir darauf stossen, dass wir vielleicht eine farbige Brille tragen. Der innere Ungehorsam richtet sich also gegen alles, was wir für ‚gesichert‘ oder gar für ‚absolut richtig‘ oder noch schlimmer für ‚absolut wahr‘ halten, vor allem auch, wenn wir gar keinen Fremdeinfluss wahrzunehmen glauben. 

4. Gehorsam ist nicht geschuldet – nichts und niemandem!

Regelkonformes Verhalten ist nicht Gehorsam. Wenn ihr euch in einem Spiel oder in einer Rechtsordnung an die Regeln haltet, wenn ihr Verträge, Versprechen einhaltet, so hat das mit Gehorsam nichts zu tun. Wenn ihr freiwillig Bindungen, Beziehungen eingeht bzw. solche, in die ihr hineingeboren seid wie z.B. eine Staatsbürgerschaft, nicht auflöst und euch dann an die in der jeweiligen Beziehung geltenden Regeln haltet, so ist das nicht Gehorsam. Der Unterschied liegt in der Freiwilligkeit, in der Autonomie, in der Mitgestaltung der Regeln und in der Ausstiegsmöglichkeit. Nichts und niemand kann uns zwingen zu innerem Gehorsam, zur Anpassung unserer Meinung an die des Fordernden. Es gibt also Lagen wie diejenige Galileo Galileis, in denen wir äusserlich unter Zwang zum Schein ‚gehorchen‘, innerlich aber unseres ungebrochenen Ungehorsams gewiss sind. So gesehen könnte man ‚äusseren‘ auch als ‚taktischen Gehorsam‘ bezeichnen. Wir warten nur die Änderung der äusseren Bedingungen ab, bis wir unseren inneren Ungehorsam auch wieder nach aussen zeigen. ‚Schuldig‘ sind wir niemandem diesen blinden, kriecherischen, einer Selbstaufgabe gleichkommenden ‚Gehorsam‘, auch unseren Eltern nicht. Respekt vielleicht, wenn sie ihn verdienen, aber auch den geben wir nicht, weil wir ihn schuldig sind, sondern weil wir ihn ganz aus uns selbst heraus empfinden. 

5. Fallt nicht auf ‚Autoritäten‘ rein!

Wer auch immer sich für was auch immer als ‚Autorität‘ ausgibt – misstraut ihm. Wahrscheinlich will er Macht ausüben und benutzt die ‚Autorität‘ Bedenkt, dass alle die klangvollen Titel, mit denen Menschen ihre Visitenkärtchen schmücken, willkürliche und damit völlig relative Bedeutung haben. Man muss zuerst einmal in einem Spiel mitmachen, sich freiwillig in eine Ordnung, ein System, ein Modell hineingeben – oder naiv und dumm an Autoritäten glauben, damit sie Wirkung entfalten können. Und genau von diesem Glauben rate ich dringend ab.

Exkurs: das Beispiel der katholischen Kirche
Auf diesem Glauben an eine willkürlich bestimmte Autorität basiert der Trick mit der frech behaupteten ‚Unfehlbarkeit‘ des Papstes, wenn er ‚ex cathedra‘, also von der Kanzel herunter seine Meinung kund tut. Man muss sich das einmal genau ansehen, was für eine eigentlich derbe, plumpe Anmassung dahinter steckt, irgend einem alten Männlein eine tolle Maskerade zu verpassen und ihn dann als Pythia, als Wahr-Sager hinzustellen. Was mich fasziniert, ist nicht die Idee, die ist reichlich simpel, sondern dass es seit bald zweitausend Jahren Leute gibt, die auf diesen Mummenschanz reinfallen. Was Machttaktik und Machtmissbrauch, das Verkaufen schlecht nachprüfbarer Versprechungen – und richtig Geldverdienen damit, was das Spiel mit Lust und Angst, das Erzeugen schlechten Gewissens, das Gängeln von Menschen verschiedenster Herkunft über zwei Jahrtausende hinweg betrifft, können wir immer noch lernen von der katholischen Kirche. Keine Institution, kein noch so grössenwahnsinniger Diktator, kein Staat, keine Völkergemeinschaft hat je eine auch nur annähernd vergleichbare Machtfülle über eine so lange Zeit verwaltet, ausgebaut, stabilisiert und mit immer wieder neuen Werbe- und PR-Aktionen genährt. Erstaunlich ist, dass die dünne Legitimationsbasis offenbar immer noch für viele ausreicht: man sei zur Stellvertretung eines vor rund zweitausend Jahren verblichenen Anhängers eines Religionsstifters befugt und deshalb Nadelöhr für den Kontakt zur selbst entworfenen ‚anderen Seite‘. Genial war und ist allerdings das mit archaischen Methoden verfolgte hochmoderne Ziel des ‚gläsernen Kunden‘: über die Beichte kam und kommt die Kirche zu den relevanten Daten, die es möglich machen, das durch Sinlichkeitsverteufelung vermittelte schlechte Gewissen zu perpetuieren. Auf dieser Grundlage funktioniert der simple Handel: Sündenvergebung bzw. Fensterplatz im Himmel gegen Gehorsam und Geld. Das ist nachhaltige Kundenbindung vom Feinsten. Der Kirche gelang und gelingt auch ein Marketingtrick, der anderen nur partiell z.B. im Bereich der Luxusgüter halbwegs gelingt: ein teures Produkt attraktiv machen, dessen Qualität nicht überprüft werden kann. Nennen wir das kirchliche Produkt ‚Eintritt ins Paradies‘, so ist das klar ein Luxusprodukt, aber trotzdem auch ein unverzichtbares – und schon diese Koppelung ist fast unnachahmlich, denn fast alle anderen Luxusgüter sind verzichtbar. Nun ist zumindest bis heute keiner nach dem Tod zurückgekommen und hat bei der Kirche Mängelrüge erhoben für Nichterfüllung der zugesagten Leistungen – netterweise verhindert die bislang nur einseitig begehbare Schranke des Todes dieses Worst-Case-Szenario jedes Produzenten.

Fachleute statt ‚Autoritäten‘
Selbstverständlich ist es sinnvoll, den Fachleuten bei der Arbeit zuzuschauen und sie dann, wenn sie uns überzeugt haben, mit Arbeiten beauftragen, die wir aus welchen Gründen auch immer nicht selbst ausführen können oder wollen. Man kann sich an Fachleuten orientieren, ihren Rat suchen, ihre Empfehlungen zum Ausgangspunkt der eigenen Recherchen machen – aber es bleiben schlicht Fachleute, die irgend etwas vielleicht speziell lange geübt haben und darum besonders gut können. Von ‚Autoritäten‘ keine Spur – und schon gar nicht von ‚absoluten Autoritäten‘, bei denen es schon reichen soll, dass man sich auf sie bezieht. Wie bereits erwähnt, werden auch so genannte ‚Heilige Bücher‘ gern als ‚Autoritäten‘ missbraucht. – Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn irgend jemand irgend ein anderes Wesen, einen Teil der Natur wie einen Berg, einen See oder ein Schriftstück, ein Musikstück, einen Film, eine Tanzvorführung für besonders wichtig hält. Es ist auch verständlich, wenn der Betreffende alle andern, die mit seinem persönlichen ‚Heiligtum‘ in Kontakt kommen, bittet, besonders achtsam zu sein und zu respektieren, dass es ihm so viel bedeutet. Aber irgend etwas von alledem unbesehen zu einer auch für andere gültigen ‚Autorität‘ hochzujubeln, das geht entschieden zu weit für einen, der Autonomie anstrebt und sich Freiheit des Denkens und Handelns ausbedingt. 

6. Gehorsam fordern ist ein Trick aus der Macht-Taktik

Gehorsam bringt demjenigen Vorteile, der ihn von anderen Wesen verlangt. Wer jemandem Gehorsam leistet, vergrössert dessen Macht. So gesehen ist leicht nachvollziehbar, dass alles nach Gehorsam schreit – und sich auch immer wieder Trottel, Bequeme und Verantwortungsscheue finden, die ihn leisten (siehe These 6). Aber auch wenn rundum Gehorsam Fordernde und Gehorsam Leistende auszumachen sind, ist dies noch lange kein Grund für den Autonomen, auf diesen Trick herein zu fallen und sich freiwillig in die Menge der Manipuliermasse zu begeben. Der modische englische Begriff der ‚Human Resources‘, des ‚Humankapitals‘ zeigt, dass nicht einmal mehr Hemmungen bestehen, die Menschen als verfügbaren, gestaltbaren, ja produzierbaren Rohstoff zu benennen und zu behandeln. Sich ‚modern‘ wähnende Bildungspolitiker sprechen unverblümt davon, das ganze Bildungswesen auf die Bedürfnisse der Wirtschaft auszurichten – und manch ein Potentat träumt von den Verlockungen der Gen-Technologie, die es uns vielleicht in naher Zukunft ermöglicht, gehorsame, wirtschaftlich anstrengungsarm und günstig zu ‚managende‘, idealerweise also möglichst uniform oder ‚homonorm‘ und simpel strukturierte Arbeits-Menschen und daneben für Sonderaufgaben vielleicht noch eine spezielle Kategorie von ‚gehorsamen Kriegern‘ zu klonen. Und die Verwalter der Machthaber aus Politik und Wirtschaft sind bereits heute auf dem besten Weg zum ‚gläsernen Bürger‘, von dem man alles weiss, nicht nur mehr, als ihm lieb sein kann, sondern oft sogar mehr, als er selbst von sich weiss. Dass diese Entwicklung so munter vonstatten geht, hat mit dem einzigen, aber nicht zu unterschätzenden Vorteil zu tun, den der Gehorsam dem Gehorsamen bringt: 

7. Wenn du Verantwortung scheust, dann ist Gehorsam angesagt

Das Schöne am Gehorchen ist, dass man synchron, ja oft sogar rückwirkend Verantwortung los wird. Und wer den Gehorsam auf die Spitze treibt, also ständig nach Personen und Instanzen sucht, denen er Gehorsam leisten kann, sogar wenn sie gar nicht danach gefragt haben, erreicht einen fast völlig verantwortungslosen Zustand, vor allem wenn er das ‚Glück‘ hat, in einem so genannten ‚Wohlfahrtsstaat‘ zu leben. Verantwortungsscheu ist eines der klassischen Dekadenzzeichen und passt durchaus in die Endzeit einer Kultur – die ja nicht immer gleich so dramatisch auch das physische Ende ganzer Völker, Nationen oder gar Rassen bedeuten muss. Der Untergang der verfetteten westlichen Wohlfahrtsstaaten mitsamt ihrem materialistischen Paradigma ist auch nicht Grund zum Jammern – im Gegenteil. Und trotzdem macht es mir Spass, ein paar Wenige einzuladen, sich bereits jetzt schon zumindest geistig aus dem fröhlich dem tiefsten Punkt zu sausenden Dekadenz-Seilbähnchen auszuklinken und sich minimal die Autonomie zu erarbeiten, dem wohl kaum aufhaltbaren Prozess mit einer gewissen Beobachtungsdistanz von aussen zuzuschauen. Aber ich bin wie gesagt denen nicht gram, die mit der Zeit gehen und Verantwortung wie etwas zähflüssig Klebriges so umfänglich wie möglich loszuwerden versuchen. Und auf diesem Weg ist Gehorsam, auch wenn man das etwas altväterische, leicht nach militärischer oder pädagogischer Zucht riechende Wort vermeidet, ein sehr probates Mittel. Wichtig ist einfach, dass wir wenn immer möglich eine ausserhalb von uns selbst liegende Quelle angeben können, die uns beeinflusst, bestimmt, ja genötigt hat, so und nicht anders zu denken, zu fühlen, zu handeln. Denn sobald wir jemanden oder etwas finden, das uns gesteuert hat, fallen Schuld und Verantwortung von uns ab und das Auslöffeln der eingebrockten Suppe dahin. Nur der Autonome, der Freie kann Schuld auf sich laden und muss die volle Verantwortung tragen für alles, was er mit seinem Denken, Fühlen, Handeln anrichtet. Hier zeigt sich die Kehrseite des abgelutschten und viel missbrauchten Begriffs der Freiheit. In einem aufstrebenden, jungen, dynamischen Kollektiv geht es immer darum, die Freiheit des Einzelnen zu vergrössern durch Dinge, die er im Alleingang nicht zuwege brächte. Der in unserer dekadenten Zeit völlig in Misskredit geratene ‚Nachtwächterstaat‘ wollte genau dies und war deshalb auch nicht mehr als eine Gemeinschaft Einzelner, die sich weiterhin voll verantwortlich fühlten. Man organisierte gemeinsam einen Nachtwächterdienst, den man abwechselnd leistete, anstatt dass jeder jede Nacht seinen Hof vor Gesindel schützen musste. Dadurch wurde die Freiheit des Einzelnen vergrössert. Allmählich verblasste diese Vorstellung des ‚Wir sind der Staat‘ und die Metapher der Rechtspersönlichkeit des Staatsgebildes wurde immer mehr konkret verstanden. Der Staat wurde zu einem Ungetüm, zu einem Moloch mit eigenen Rechten und Pflichten, mit der Macht über Leben und Tod, aber auch zu einer Kuh, bei der die einen nur am Füttern, die andern nur am Melken und die dritten nur am Milch-Trinken waren. Das Wir-Gefühl wich immer mehr dem Gefühl, ein eigenständiges, mächtiges Gegenüber zu haben, nicht Teil von etwas, sondern Lieferant und Profiteur eines unübersichtlich fetten Wesens zu sein. Die echte Gemeinschaft einer Handvoll von Verantwortungsträgern war zum Sozialstaat, zum Wohlfahrtsstaat verkommen, in dem Tausende von administrativen Hamsterrädern sich drehen, die nur den einen Zweck haben, Beschäftigung vorzutäuschen und das von Wenigen Erarbeitete so lange umzuverteilen, bis es  versickert ist. 

8. Misstraue dem Wohlfahrtsstaat und allen andern, die dich von Verantwortung ‚befreien‘ wollen

Das Wesen des Wohlfahrtsstaates besteht darin, dem Einzelnen eben nicht die grösstmögliche Freiheit zuzusichern, sondern die grösstmögliche ‚Wohlfahrt‘. Allerdings wird der auf diese wohlige Fahrt Spedierte dabei nicht gefragt, was er selbst für sich unter ‚Wohlfahrt‘ versteht und anstrebenswert findet, und wenn man ihn in einer Demokratie noch per Volksabstimmung ab und zu und meist zu nebensächlichen Dingen befragt, dann gilt das Diktat der Mehrheit. Unabhängig davon, dass die Meinung dieser Mehrheit in der Regel unter massivem Fremdeinfluss zustande kommt und im besten Fall den gerade im Trend liegenden Denk-Fühl-Handlungs-Diskurs spiegelt, werden die Minderheiten, alle nicht zur obenaus schwingenden Mehrheit zählenden Einzelnen überstimmt, zu einer ‚Wohlfahrt‘ gezwungen, die sie nicht gewählt haben, die sie weder suchen noch befürworten. So wird zum Beispiel das Eigenrisiko in unseren Wohlfahrtsstaaten scharf pönalisiert, man darf nicht einmal mehr das Mass von Risiko, das Mass von Abenteuer selbst bestimmen, sondern wird zum Brav-Sein gezwungen mit der klassischen Ausrede, der Wohlfahrtsstaat müsse sich sonst unnötigerweise um uns kümmern, wenn wir wegen unserer Abenteuerlust und Risikofreude uns verletzen oder sonstwie zum ‚Problemfall‘ werden sollten und dann – auch wieder ungefragt und automatisch – in die Mühlen der wohlfahrtsstaatlichen Rettungs-, Gesundheits- und Sozialsysteme geraten. Hinter all der anfänglich wahrscheinlich lieb und gut gemeinten Fürsorglichkeit steckt ein doppelt gemoppeltes Menschenbild. Die Leute, die das Modell des Wohlfahrtsstaats erfunden haben, es immer weiter ausgestalten, ausbauen und glorifizieren, halten sich für Menschen der Sonderklasse, für Halb- oder Ganzgötter, die zu wissen vorgeben, was den andern, der Plebs, der grossen Menge frommt. Linke schreien natürlich lauf auf, wenn man ihnen dieses zutiefst elitäre, pseudoaristokratische Selbstbild unter die Nase reibt. Dabei ist es meines Erachtens eigentlich nur ganz schwach kaschiert und sollte von jedem Denkfähigen durchschaut werden. Das andere Menschenbild, das die Wohlfahrtsstaaterfinder auf alle anderen Wesen ausser sich selbst applizieren, sieht die Menschen als Opfer, als Unmündige, als Hilfsbedürftige, als ihr Leben keinesfalls autonom bewältigen Könnende, mithin als zur Freiheit Unfähige, mit der Freiheit und der an sie gekoppelten Verantwortung Überforderte. Diesen armen Armen muss geholfen werden, das sollten wir doch einsehen? Und wie? Ja, natürlich nach bestem Wissen und Gewissen – und das heisst nach der eigenen Wertskala. Nun sind die Wohlfahrtsstaat-Promoter aber mit so wenig Distanz zu sich selbst versehen, dass sie nicht einmal merken, was auf ihrer eigenen Wertskala zuoberst steht: Macht, Macht, Macht – mehr oder weniger gut getarnt als Helfersyndrom, als karitative Bewegtheit, als ideologische Begeisterung für die Ziele der französischen Revolution oder was weiss ich. Aber entkleidet von all diesem Brimborium ist es die gute alte Lust an der Macht, die sie antreibt. Wer sich in die Niederungen der Politik begibt, entdeckt es schnell, das Funkeln in den Augen der Wohlfahrtsstaat-Ausbau-Willigen, wenn sie mit dem Geld der politischen Gegner ihre Ziele erreichen können – umflort vom kitschigen Heiligenschein der Gutmenschen, der Engelshelfer. Solch hübsch getarnter Machtmissbrauch macht – verständlicherweise – Spass. 

9. Benutze die Alternative zum Gehorsam: Motivation!

Motivation ist die etwas anstrengendere Variante für beide Seiten, vielleicht auch die etwas zeitraubendere, bestimmt aber die nachhaltigere und achtsamere als das Spiel mit dem Gehorsam. ‚Motivare‘ heisst eigentlich ‚In-Bewegung-Setzen‘, im konkreten und im übertragenen Sinne ‚einen Impuls geben‘. Motivieren heisst Werben um das Engagement dessen, den wir für etwas gewinnen möchten. Diese Haltung ist meilenweit entfernt vom Verlangen von Gehorsam. Die Chance, dass das anvisierte Wesen dann aber auch innerlich dabei ist, mitmacht, ist ungemein viel grösser als beim Anwenden von Zwang, beim Androhen von Nachteilen bei Ungehorsam. Bei der Motivation vermeiden wir das Auseinanderklaffen von Aussen und Innen weitgehend. Natürlich sind Situationen denkbar, in denen sich jemand zwar innerlich motivieren lässt für etwas, äusserlich, z.B. rein physisch, aber nicht mitkommt mit dem, was er sich vorgenommen hat – und umgekehrt. Aber in diesen Fällen übernimmt der Motivierte in der Regel die Verantwortung selbst für das Scheitern. Der äusserlich unter Zwang Gehorchende, in dem der innere Ungehorsam lodert, projiziert die Verantwortung hingegen verständlicherweise nach aussen, auf den Verhassten, den Gehorsam Fordernden, Zwang Anwendenden. Sogar der Tollpatsch, der Dummkopf, der aus purer Faulheit gehorcht, ist motivierbar und wird – einmal motiviert – zu einem wesentlich markanteren Zeitgenossen. Umgekehrt ist es auch für den Motivierenden weit befriedigender, mit Motivierten zu arbeiten als mit Sklaven, mit Unterdrückten oder mit Idioten. 

10. Belass den Begriff ‚Gehorsam‘ im historischen Vokabular, er stammt aus einem Zeitparadigma VOR der Aufklärung

Gehorsam ist ein altbewährtes Macht-Prinzip, das von allen Machtgierigen immer wieder gerne benutzt wurde und wird. Die Kirche, aber auch viele Diktaturen, Monarchien und heute sogar als ‚Demokratien‘ firmierende Staatswesen bedienten und bedienen sich ausgiebig bei diesem Prinzip. Kant sprach von einer selbstverschuldeten Unmündigkeit, aus der es sich zu befreien gelte. Er zielte in seinem historischen Kontext damit vor allem auf den vom Kirchenuntertan geforderten blinden Gehorsam, auf die religiöse Variante der Unmündigkeit. Der französische Denker Michel Foucault ortete aber in der Moderne genau so viele Zwangssysteme, die sich trickreich einnisteten bis in die Beherrschung der Diskurse – der Art und Weise, wie über ein bestimmtes Thema gesprochen wird, was für Wertungen suggeriert werden. ‚Gehorsam‘ ist genau das Verhalten, das es den Machthabern, den Diskursbeherrschern, den über die äusseren und inneren Zwangsmittel Verfügenden erlaubt, ihre Macht unwidersprochen weiter auszuüben. Wer auf diesen Trick hereinfällt, wer blind gehorcht oder – noch schlimmer – wer sich emotional begeilt an der blinden Hingabe und sich auf das Niveau des Hinterherläufers, des Nachplapperers, des Jüngers, des Sektenheinis , des dümmlichen ‚Fans‘, des automatisierten und gesteuerten ‚Anhängers‘, des unreflektierten Parteigängers oder des naiv Wissenschaftsgläubigen herunterlässt, sitzt genau so selbstverschuldet in der Unmündigkeit wie die Kirchenhörigen vor der Aufklärung. Die historische Aufklärungsbewegung hat in ihrer Begeisterung nicht beachtet, wie stark die beiden psychologischen Eigenschaften des Menschen sich beim Thema ‚Gehorsam‘ in die Hände arbeiten: Auf der einen Seite die Machtgier, die Lust am Manipulieren der ethiklosen Faustrechts-Elite, auf der anderen Seite die Bequemlichkeit, Faulheit und Verantwortungsscheu der Masse. Aus diesem übelriechenden Gemisch nährt sich bis heute der für viele nach wie vor wohlklingende ‚Gehorsam‘. 

11. Sowas Trottliges wie Gehorsam kommt in der Natur nur beim Menschen vor!

Gehorsam ist ein in der gesamten Natur nur beim Menschen vorkommendes würdeloses Phänomen. Allein das macht ihn schon verdächtig. Oder kennen ihr Tiere, Pflanzen, Berge, Seen, Winde, die Gehorsam leisten? Und wenn ja, wem? Kennt ihr die süsse Geschichte des Perserkönigs Dareios, der mit seiner Armada die Griechen angreifen wollte und der, als das freche Meer am geplanten Angriffstag ein Auslaufen verunmöglichte, die stürmischen Wellen zur Strafe auspeitschen liess? Es ist zwar ein paar Jährchen her, aber wenn ihr ganz aufmerksam und ohne viel Lärm der kleinasiatischen Küste entlang segelt, könnt ihr das Meer heute noch lachen hören. Versucht doch mal, einer Sonnenblume zu verbieten, ihren Kopf nach der Sonne zu drehen? Wetten, die leistet keinen Gehorsam? Und wenn wir es mechanisch verunmöglichen, geht sie ein – was in keiner Weise Gehorsam bedeutet. Denkt ihr vielleicht an Pferde- oder Hunde-Dressur, an Zirkusnummern mit allen möglichen Tieren? Falls ja, zeigt es, dass ihr keinen Schimmer von der Arbeit mit Tieren habt. Mit Zwang, Gewalt, Gehorsam fordern geht da wenig bis gar nichts. Hunde und Pferde, auch Delphine beispielsweise sind grosszügig, verspielt, mögen uns komische Zweibeiner und lassen sich entsprechend leicht motivieren – aber bei Zwang zum Gehorsam klinken sie sehr rasch aus, entziehen sich durch Aggression, Krankheit, Unfall, Tod dem Druck.

Natürlich können die Menschen mit physischer Gewalt alles in der Natur verändern, Tiere niedermetzeln, Regenwälder abrasieren, Berge sprengen und Gewässer so verschmutzen, dass sie regelrecht sterben – das ist Machtausübung, auf die der Mensch so stolz ist und aufgrund derer er meint, die ‚Krone der Schöpfung‘ zu sein, aber mit Gehorsam hat es gar nichts zu tun. Wir können das Phänomen des Gehorsams also in die Reihe der Eigenschaften stellen, die dem Menschen vorbehalten sind wie die Fähigkeit, den ganzen Planeten zu zerstören, sich gegenseitig umzubringen, weil der andere eine andere Farbe hat, weil er aus einem anderen Kaff kommt, weil er einen anderen Oberjehudi anhimmelt oder – noch skurriler – weil der eine findet, ein maschinell hergestelltes flach gepresstes Knäckebrot-Stückchen sei zweitausendjähriges Menschenfleisch und der andere, das komisch fade Brötchen sei nur Symbol für dieses zweitausendjährige Menschenfleisch – sowas reicht für den homo sapiens sapiens immer noch, sich die Rübe einzuschlagen. Wobei – zugegeben – Blödheit dieser Preislage immer auch etwas irgendwie Unterhaltendes, Witziges an sich hat, vorausgesetzt man ist nicht gerade selbst ge- und betroffen von der niedersausenden Machete. Noch was ist ähnlich einmalig in der Natur wie der Gehorsam und das Killerpotenzial und ebenfalls dem haarlosen Affen vorbehalten: die fast totale Abwesenheit von Intuition. Das war höchstwahrscheinlich nicht immer so. Es gibt die These, dass sich direkt proportional mit dem Schwinden intuitiven Wissens die rationalen Fähigkeiten entwickelten – eine evolutionäre Strategie, bei der es um das schiere Überleben ging und geht. Denn der Intuitionslose ist derart im Nachteil gegenüber dem Intuitiven, dass er diesen Mangel mit ausgleichenden Kompetenzen wettmachen muss, will er nicht sang- und klanglos untergehen. Aber auch höchst entwickelte rationale Kompetenzen haben einen nicht aufholbaren Nachteil gegenüber intuitiver Erkenntnis: die Zeit. Intuitives Erkennen ist synchron mit dem auslösenden Ereignis. Man sieht, hört, riecht, spürt, schmeckt, ja man fokussiert innerlich – und weiss im gleichen Augenblick. Der Rationale differenziert, schubladisiert, sucht nach stringenten und adäquaten Kausalzusammenhängen, wägt ab, priorisiert, vergleicht, wechselt den Standpunkt, beginnt nochmals von vorn – und es vergeht unheimlich viel Zeit. So gesehen ist der Mensch relativ schlecht bedient mit seinem Hirn, auf das er so über alle Massen stolz ist. Aus der Sicht der anderen Entitäten ist er ein Behinderter mit einem rationalen Zählrahmen, der sich im Vergleich zu den intuitiven Quantencomputern ziemlich bemitleidenswert ausnimmt. 

 12. Glaubt grundsätzlich niemandem nichts. Auch euch selbst nicht.

‚Glauben‘ meint die ungeprüfte Übernahme der Wahrnehmungsverarbeitungs-Resultate anderer und damit ‚für richtig, für wahr halten‘ – zumindest wird der Begriff des Glaubens so im religiösen Kontext gebraucht. Anders ist es in der Alltagssprache, wo ‚glauben‘ synonym gebraucht wird mit ‚für wahrscheinlich halten‘. Diesen Gebrauch meine ich hier ganz klar nicht. ‚Für wahrscheinlich halten‘ ist im Verständnis dieses Textes das vorläufige Resultat eigener Abklärungen, Recherchen, Erfahrungen, Überprüfungen, die nie völlige Gewissheit geben, sondern nur den Grad der Wahrscheinlichkeit verändern können. Wenn wir einem Fachkompetenten eine Frage aus seinem Fach stellen, können wir seine Antwort für wahrscheinlich halten – und einen weiteren Fachkompetenten fragen. Aber wir ‚glauben‘ weder dem einen noch dem andern.
Nehmt interessiert zur Erkenntnis, was andere euch als ihre Erkenntnisse präsentieren, aber übernehmt nichts davon ungeprüft. Achtet darauf, wie andere ihre Erkenntnisse präsentieren. Man kann daraus bereits erahnen, ob es sich um ‚Fundis‘, um machtgeile Manipulanten, um Instrumentalisierer handelt. Achtet dabei nicht nur auf die Worte, sondern auch auf die Prosodie, die Mimik, die Gestik, die ganze Körpersprache, die Ausdünstung (wer eine gute Nase hat, riecht das säuerliche Stinken der ‚Fundis‘), vor allem aber die Ausstrahlung, also die energetische Ebene. Ideologen, Missionare, Sektierer, Polit-Fundis, fanatisierte Wissenschaftler erzeugen ein speziell ekelhaftes Energiefeld um sich, das – entsprechendes Training vorausgesetzt – auf recht weite Distanz wahrnehmbar ist. Achtet auf Humorlosigkeit und den Hang zu Pathos, zwei Charakterzüge, die regelmässig bei Fundis auftreten. Aber auch all diese Zeichen geben keine Gewissheit. Es gibt schlaue Fundis wie z.B. Putin, die – Wölfen im Schafspelz vergleichbar – ihre niederen Machtgelüste hinter aalglatter Kultiviertheit verstecken. Achtet auch auf die Häufigkeit des Gebrauchs von Wörtern wie ‚Wahrheit‘, ‚absolut‘, ’nur‘, ‚immer‘, ‚ausschliesslich‘ und das hektische Verweisen auf Autoritäten jedweder Provenienz bis hinauf zu den Göttern.
Beginnt aber jemand die Präsentation seiner Erkenntnisse mit Wendungen wie: ‚Ich finde…,‘ ‚Meiner Meinung nach…‘, ‚Weitverbreitete Lehrmeinung ist zurzeit…‘ oder sogar ironisch wie: ‚Stand des aktuellen wissenschaftlichen Irrtums ist…‘, oder empirisch wie: ‚Bei mir und meinen Kunden/Schülern/Patienten hat XY gut funktioniert…‘, oder unter klarer Angabe des Rahmens wie: ‚In diesem Spiel/Modell gilt…‘, oder: ‚In meiner Theorie gehe ich davon aus, dass…‘ oder: ‚In diesem System wird folgender Zusammenhang postuliert…‘ – in all diesen Fällen könnt ihr euch entspannen und aufmerksam zuhören. Es kann sich selbstverständlich immer noch um etwas handeln, was ihr für ausgemachten Quatsch haltet, aber zumindest habt ihr ein grundsätzlich dialogfähiges Wesen als Vis-à-vis. Mit Fundis – auch dies ein Erkennungszeichen – ist kein echter Dialog möglich. Sie hören gar nicht zu. Meistens erzählen sie auch nicht eigene Gedanken, sondern übernommene, die sie weiterverbreiten wollen. Die Fundis, die das, was sie missionarisch verbreiten, selbst herausgefunden haben, sind höchst selten. Meist sind die Begründer von Religionen, Theorien, Systemen, Modellen und Ordnungen Menschen mit weitem Horizont und grosser Autonomie. Erst die Jünger, die Hinterherläufer, die Epigonen, die Fans, die Nachplapperis, die Hooligans werden dogmatisch, verbohrt, stur, stellen Absolutheitsansprüche. All diese Anzeichen sind Zeichen der Dummheit, ja man könnte das Ausmass von fundamentalistischen Ansichten sogar als Kriterium für das Ausmass der Dummheit eines Menschen nehmen. Daraus ergibt sich: 

13. Orientiert euch nicht an ‚Fundis‘, und werdet selbst keine!

‚Fundi‘ ist der hier verwendete Sammelbegriff für Menschen, denen der Entwicklungsweg in die Autonomie zu anstrengend ist, zu risikoreich, zu abenteuerlich und die sich lieber fremdbestimmen lassen. Um trotzdem Sicherheit vorzuspiegeln, setzen sie die übernommenen Meinungen absolut, meist verbunden mit einer Veräusserlichung. Die Einhaltung äusserlich sichtbarer Regeln wird entscheidend. Meist schrumpft auch die Komplexität der Welt, die Paletten und Nuancen von Möglichkeiten, die Vielfalt von Farbtönen auf ein simples Schwarz-Weiss, auf ein Entweder-Oder, auf ein Binärsystem kontradiktorischer Gegensätze. Wo immer ihr auf solche ‚Tertium-non-datur‘-Fritzen stösst, lasst sie links liegen. Es sind die Politiker vom Schlage der ‚Entweder seid ihr für mich oder gegen mich‘-Heinis, die Wissenschafter vom Typ: ‚Grün oder Klimakatastrophe‘. Orientiert euch nicht an Leuten, die nur in sich ausschliessenden Gegensätzen denken, sie sind zu simpel gestrickt, auch wenn sie sich mit Professoren-Titeln schmücken. 

14. Haltet nichts für absolut wahr!

Entdeckt den ‚Fundi‘ in euch selbst. Sucht gnadenlos nach denjenigen Behauptungen, die ihr selbst für absolut wahr, für immer, überall und für alle gültig erklärt, für Tatsachen, die ihr deshalb für allgemeingültige Tatsachen haltet, weil ihr sie mehrfach erfahren, erlebt habt. Gebt nicht auf, bis ihr entdeckt, dass auch die nicht immer, überall und für alle Wesen gelten. Am einfachsten geht dies bei den Beispielen unterschiedlicher sinnlicher Wahrnehmung, z.B. von Infrarotlicht, von Ultraschallwellen, die von gewissen Tieren wahrgenommen werden können, vom Menschen aber nicht, auch wenn sie hundertmal hinschauen, hinhören, es also ‚erlebt‘ haben, dass diese Phänomene nicht wahrnehmbar sind – und trotzdem existieren und für andere erkennbar sind.

Misstraut am meisten all denen, die behaupten, über absolute Wahrheit, absolutes Wissen zu verfügen. Wer auch immer behauptet, irgendetwas gelte absolut, immer und überall, ist hochgradig gefährlich: Misstraut ihm ganz besonders, lasst euch nicht blenden, auch wenn er Papst, Nobelpreisträger, Olympiasieger, Filmstar, Philosophieprofessor oder – am schlimmsten – euer Vater oder eure Mutter ist. 

15. Wundert euch nicht, dass keine zwei Wesen die Welt genau gleich sehen, im Gegenteil, schaut dies als den beruhigenden Regelfall an.

Reagiert skeptisch, wo zwei oder mehrere dasselbe erzählen. Es könnte sich um Fundamentalisten, um Ideologen, Partei-Eiferer, Sektierer, verblendete Wissenschaftler oder – der durchaus häufigste Fall – schlicht um harmlose Dummköpfe handeln. Konsens ist grundsätzlich verdächtig, beruht auf Kompromiss und hat meist einen Zweck, den es zu entdecken und zu hinterfragen gilt.

16. Verlangt minimal Legitimation und Begründung, wenn jemand Gehorsam fordert.

Dazu gehört die klare Angabe der Legitimation, also der Berechtigung, von euch etwas zu verlangen, und der Grenzen dieser Berechtigung. Aber fallt nicht auf konstruierte Kausalverknüpfungen rein. Kausalität ist nur eine von vielen möglichen Verknüpfungsformen und sehr oft wird willkürlich festgelegt, was von den beiden verknüpften Dingen die Rolle der Causa, des Grundes, und was die Rolle der Folge, der Wirkung zu spielen hat. Fallt auch nicht auf faule Legitimation herein. Nur weil jemand eine Uniform trägt oder sonstige äussere Zeichen einer bestimmten Funktion, muss er noch lange nicht wirklich befugt sein. Und wenn er es ist, erkundigt euch genau nach den Grenzen seiner Befugnisse, nach den Grenzen des Modells, des Systems, der Ordnung, innerhalb derer seine Befugnisse gültig sind. So hat ein Kantonspolizist im Nachbarkanton schon nichts mehr zu sagen! 

17. Hütet euch vor faulen Begründungen!

Lasst euch nicht abspeisen mit Sprüchen wie ‚es stehe in der Bibel‘ (oder im Koran, in der Tora, in den Upanishaden, im Tao te King, im Yijing, in der Edda oder sonst irgendeinem als ‚heilig‘ bezeichneten Stück Pergament oder Papier), oder – heute häufiger – ‚es sei wissenschaftlich belegt, man wisse heute, dass…, es gebe bahnbrechende Studien darüber, die Statistiken würden beweisen, dass…‘ oder – am lächerlichsten – es sei schon immer so gewesen. Ihr könnt sicher sein, dass dann etwas besonders faul ist an dem Ansinnen und dass der- oder diejenige, die Gehorsam verlangt, ganz besonders viel Misstrauen verdient. 

18. Misstraut auch ganz speziell denen, die euch Vorteile in Aussicht stellen, wenn ihr dafür im Gegenzug gehorcht, ohne weitere Fragen zu stellen.

Es handelt sich mit grösster Wahrscheinlichkeit um trickreiche Oberschmierfinken, auch wenn sie in anmächeliger Verpackung, z.B. als wunderschöne Frauen oder höchst erfolgreiche Männer verkleidet auftreten. 

19. Verdächtigt ganz besonders auch diejenigen, die euch gegen den geforderten Gehorsam als Zückerchen mehr ‚Sicherheit‘ verkaufen wollen.

Glaubt ihnen kein Wort und pfeift auf die Sicherheit, die immer nur mit Einschränkung der Freiheit zu haben ist. Sicherheit ist ein bauernfängerisches Wort für Unfreiheit und ist etwas für Heul-Susen, für unselbständige Deppen, für feige Weicheier, freiwillige Sklaven und gebrechliche Tattergreise. Wer nach Sicherheit schreit, ist bereits teil-tot, hat das Abenteuer ‚LEBEN‘ bereits aufgegeben – oder gar nie angetreten. 

20. Setzt im Zweifelsfall immer auf Freiheit zuungunsten der Sicherheit, wenn ihr je selbständig, autonom werden wollt.

Freiheit ist ein ganz individuell wachsendes Pflänzchen und jeder braucht seine eigene Balance zwischen Sicherheits- und Freiheitsbedürfnis. Denn in der totalen, anarchischen Freiheit kommen wir uns genauso selbst abhanden wie in der totalen, zubetonierten Sicherheit. Findet das Mass an Freiheit, mit dem ihr umgehen, deren an sie gekoppelte Verantwortung ihr tragen könnt. Aber behaltet im Hinterkopf, dass der Weg der Entwicklung immer in Richtung Freiheit geht. Die Freiheit erhält allerdings eine andere Farbe, zielt auf andere Inhalte im Laufe eurer Entwicklung. Sind es am Anfang vielleicht mehr so genannte negative Freiheiten, also Freiheiten von etwas, so werden es im Laufe der Reifung vermehrt positive Freiheiten, also Freiheiten zu etwas. 

21. Emanzipiert euch von euren Eltern!

Euren Eltern gehorcht ihr am Anfang eures Lebens vielleicht schlicht und einfach, weil ihr noch zu doof seid, um die Regeln zu hinterfragen, die sie aufstellen – und zu ohnmächtig, euch zur Wehr zu setzen. Aber sobald ihr selber gehen könnt, müsst ihr beginnen mit der Hinterfragerei und der Entwicklung der geistigen, seelischen und körperlichen Kompetenzen, die euch irgendwann befähigen, autonom zu denken, zu fühlen und zu handeln. Glaubt niemandem, der behauptet, den Eltern sei man blinden Gehorsam schuldig. Blinder Gehorsam ist das dümmste, was ihr in eurem Leben leisten könnt. Es entspricht geistigem Selbstmord. Und wer es den Eltern gegenüber leistet, hat meist gar noch nicht viel umzubringen. Das Gegenteil ist angesagt: die Eltern sind die ersten Sparringpartner, an denen man den Ungehorsam üben kann. Kluge Eltern wissen dies übrigens. 

22. Traut auch euch selbst nicht!

Auch euer Denken, Fühlen, sogar eure intuitiven Erkenntnisse sind mitgeprägt von äusseren Instanzen, die es zu entdecken und zu hinterfragen gilt. Auch eure Untersuchungs- und Überprüfungsmethoden sind relativ und vermitteln keine absolut zuverlässigen Resultate. Ihr müsst immer wieder mit dem vorläufig besten Ergebnis vorlieb nehmen. Absolute Gewissheit, absolute Sicherheit gibt es nicht. Nur geringere oder grössere Wahrscheinlichkeiten. 

23. Misstraut euren Überprüfungsmethoden!

Versucht, alles mit möglichst verschiedenen Mitteln und Methoden nachzuprüfen. Also nicht nur mit dem Denkvermögen, das ja auch von aussen geprägt wurde, sondern ebenso mit ‚Herz und Hand‘, also mit euren anderen ‚Intelligenzen‘, die ihr neben der rationalen noch zur Verfügung habt: emotionale, körperlich-sinnliche Intelligenz, Intuition und vor allem: Erfahrung, Empirie, also die Verknüpfung dessen, was ihr erlebt, durchdacht habt. Aber aufgepasst: alles, was ihr erlebt, durchläuft den Filter eurer Wahrnehmung, deren Interpretation, Zuordnung und Bewertung. Und dieser Filter ist voll von Fremdbestimmung. Es ist ja gerade das Ziel des Autonomwerdens, diesen Filter von Fremdbestimmung zu säubern. Das macht das Projekt so ungemein anspruchsvoll – aber auch abenteuerlich spannend. Manche finden erst auf dem Sterbebett heraus, was alles an Fremdbestimmung noch in ihrem Filter hängen geblieben ist. Und sehr viele finden es gar nie heraus. 

24. Kommt der Entstehung eurer Wahrnehmungsverarbeitungs-Resultate auf die Schliche.

Entdeckt, wie aus euren Wahrnehmungen über die Interpretation, die Zuordnung und Bewertung Erkenntnisse entstehen, die ihr für ‚gesichert‘, für ‚Tatsachen‘ haltet. Schaut mal, wo, an welchem Punkt des Wahrnehmungsprozesses wie viel Subjektivität und wie viel Fremdeinfluss möglich ist. Erstaunt werdet ihr feststellen, dass dies schon lange vor einer spezifischen Wahrnehmung passiert. Wenn jemand euch darauf trimmt, etwas Bestimmtes zu fokussieren, sei es einen Ausschnitt aus eurem Gesichtsfeld besonders zu beachten, auf irgendetwas spezifisch zu hören, etwas aufmerksam zu betasten, zu beschnuppern, auf der Zunge zu schmecken, bestimmte Gedankengänge, Ideen, geistige Methoden anzuwenden, gewisse Gefühle zuzulassen, andere zu unterdrücken, so kann das tief in euer Unterbewusstsein absinken, ein Muster bilden, das ihr mit der Zeit für euer eigenes haltet. Wenn sich dann wirklich konkrete Wahrnehmungsoptionen bieten, läuft bereits die Selektion, aber auch die Zuordnung, Interpretation und Bewertung der gewählten Wahrnehmung nach diesem verinnerlichten Muster ab. Hinterfragt dieses Muster, versucht, seine Entstehung zu rekonstruieren. Das heisst nicht, dass ihr das Muster völlig über Bord werfen und verkrampft ein gegenteiliges basteln sollt. Man kann gut und gerne nach der Überprüfung zum Schluss kommen, dass Vieles an diesem Muster ok ist, für zumindest derzeit in Ordnung und sinnvoll. Aber der Vorgang der kritischen Überprüfung ist entscheidend für die Frage nach der Autonomie, nach der inneren Freiheit bei der Wahrnehmungsverarbeitung. 

25. Schaut euch auch genau auf die Finger, wenn ihr selbst in Versuchung geratet, von anderen Gehorsam zu verlangen.

Entdeckt die faustische Machtgier und die Lust, andere zu gängeln, zu bestimmen, zu lenken, zu verwirren, zu ängstigen, zu missbrauchen – und erkennt rechtzeitig die Kurzsichtigkeit dieses Verhaltens, mit dem ihr euch selbst schadet, den Respekt, den ihr selbst vor euch haben möchtet, untergrabt. Versucht, stattdessen, wenn immer möglich Zusammenhänge aufzuzeigen und die Grenzen der Gültigkeit des von euch Empfohlenen oder Geforderten aufzuzeigen.

26. Schärft euer Bewusstsein für die Relativität von Modellen, Ordnungen, Systemen, Theorien und Spielen.

Nichts von alledem gilt absolut, immer und überall. Stellt selbst Modelle auf, erfindet Spiele, Ordnungen, denkt euch Systeme aus und steckt ihre Gültigkeitsbereiche ab. Fragt immer nach der zeitlichen und räumlichen Gültigkeit der Regeln, die innerhalb eines Modells gelten und deren Einhaltung von euch verlangt wird.

27. Modelle ohne Ausstieg sind Fallen

Fragt immer nach euren Möglichkeiten, aus vorgegebenen Modellen auszusteigen. Glaubt niemandem, der behauptet, es gebe keine Ausstiegsmöglichkeit. Werdet ihr mit Gewalt am Verlassen eines solchen Modells gehindert, auch wenn ihr die freiwillig und bewusst eingegangenen Verpflichtungen erfüllt habt, so ist dies der beste Beweis, dass die Machthaber in diesem Modell keinen Gehorsam verdienen. Setzt alles daran, raus zu kommen, deren Machenschaften zu enttarnen, andere zu warnen vor diesem Modell. 

28. Achtung vor nicht-physischer Gewalt!

Glaubt nicht, Gewalt sei immer physische Gewalt, bestehe aus Ohrfeigen, Schlägen oder anderen Züchtigungen, aus Hausarrest, Strafnachmittagen, Gefängnisaufenthalten oder gar aus Todesstrafe oder Mord im Krieg. Gewalt kann auch in subtileren Formen auftreten. Eine der beliebtesten und fiesesten ist Liebesentzug, gespielte oder – noch schlimmer – echte Enttäuschung von Menschen, die euch nahestehen oder wichtig sind. Diese Gewaltform wird bevorzugt angewendet von Leuten, die euch intensiv beeinflussen wollen. Seid also besonders aufmerksam auf diese Mätzchen.

 29. Hinterfragt, was gerade ‚Mode‘ ist im Denken, Fühlen und Handeln

Ihr habt es vielleicht schon mit der Muttermilch übernommen, deshalb braucht diese Recherche besonders viel Distanzwillen zu sich selbst. Findet heraus, was in eurer Kultur, in eurem Zeitparadigma gerade gang und gäbe ist, was ‚man‘ bzw. ‚frau‘ so fühlt, denkt, tut, wem die Mehrheit glaubt, warum sie das tut, was für fundamentalistische Annahmen, was für wissenschaftlich verbrämte Glaubensaxiome gerade Gültigkeit beanspruchen.

 30. Misstraut auch diesem Text, dieser Einladung zum Ungehorsam!

Wenn ihr gar keine Lust habt, je selbständig zu werden oder zu bequem seid, Autonomie zu erwerben, wenn es euch im Gegenteil sogar angenehm dünkt, von anderen geprägt, gelenkt und gelebt zu werden, wenn ihr es vorzieht, keinen Anstoss zu erregen, wenn ihr Sicherheit und Bequemlichkeit weit höher gewichtet als Abenteuer und Freiheit, dann verbrennt, löscht und vergesst all das Gekritzel hier. Vielleicht wird es ja in einem der nächsten Leben interessant für euch? Und – zugegeben – der Weg zur Autonomie ist hart, steil, steinig – und kann das Leben kosten. Denn allen Machtgeilen dieser Welt und erst recht allen ‚Fundis‘ sind autonome Menschen ein Dorn im Auge. Sie suchen Manipuliermasse. Andere lenken, für andere denken, ihnen Selbstgedachtes einimpfen, sie instrumentalisieren – all das macht Spass, befriedigt Machtgelüste und lenkt von der eigenen Bedeutungslosigkeit ab. Deshalb lade ich euch ein, auch mir und dem von mir Gedachten keinesfalls blindlings zu folgen. Hinterfragt alles hier Gesagte immer wieder – und findet eure autonome, ureigene Position, die sich im Laufe eurer Entwicklung auch ändern darf.
Mit dieser These versuche ich der Forderung der vorausgehenden These gerecht zu werden und den Gültigkeitsanspruch des hier Behaupteten einzuschränken: Es beansprucht nur die Gültigkeit einer Einladung, einer Empfehlung und auch dies nur für Menschen, die Autonomie, Freiheit im hier skizzierten Ausmass anstreben und bereit sind, dafür gewisse Annehmlichkeiten, Sicherheiten und Bequemlichkeiten zu opfern.

 Ein paar Marpa-Aphorismen zum Thema:

Erste Pflicht aller Jungen ist es, sich einen Deut um das zu scheren, was ihnen die Alten als Pflicht injizieren wollen. Wenn sie sich auch um diese Pflicht foutieren, wenn sie ihre ganze Pflichtverhöhnerei mit einem frechen Grinsen begleiten und ohne selbst in dieselbe Falle besserwisserischer Griesgrämigkeit zu fallen wie die Alten, dann umso besser.

Ich träume von Jungen, die die Alten in ihrer Miesmacherei, ihrer Wichtigtuerei, ihrem Pathos verlachen, alle äusseren und inneren Moden als Moden demaskieren und verhöhnen, und die ihre Welt immer wieder frisch und händereibend neu erfinden.

Keinen einzigen Satz sollten die Jungen unhinterfragt von den Alten übernehmen, kein vorgetäuschtes Gefühl, kein pathetisches Gesabber und schon gar nicht die mit der Aura der absoluten Tatsachenwahrheit ummantelten ‚Nachrichten‘. Alles, restlos alles sollten sie frech, neugierig, unverschämt drehen, wenden, zurecht biegen, neu hinstellen oder wegschmeissen.

Mein Wunsch an die Jugend: seid ungehorsam im Aussen und vor allem im Innern, hinterfragt und verlacht schonungslos alle betonierten Lebensregeln, alle Bewertungen, alles vorgegaukelte ’sichere Wissen‘ der Alten, alle von ihnen befohlenen und verbotenen Gefühle.

Undenkbar, tabu, verboten, gefährlich, unantastbar, absolut wahr, wissenschaftlich bewiesen? – Alles herrliche Einladungen, die Baggerschaufel anzusetzen.

Weise Alte ermuntern die Jungen, die vorgefundenen Denkmodelle samt und sonders über den Haufen zu werfen, Brauchbares aus dem Schutt heraus zu klauben, neu zusammen zu basteln, sich und die Welt unablässig neu zu erfinden und immer wieder als Phönixe aus der eigenen Asche aufzufliegen – und beim älter werden bemerken, dass auch ihre Modelle aus Pappmaché sind.

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