Wenn wir der etwas zweifelhaften Spezies Homo ‘nicht-so-sapiens’ 1.0 auf die Schliche kommen und bessere Prognosen über ihr erwartbares Tun und Lassen aufstellen wollen, lohnt es, nach Mustern zu suchen, die immer wieder auftauchen, vielleicht unterschiedlich verpackt, aber letztlich im Kern unabhängig von den jeweiligen konkreten Umständen, losgelöst von bestimmten Zeiten und Kulturräumen. Wenn wir ein solches Muster entdecken, kann es weiter interessant sein, nach möglichen Analogien, nach vergleichbaren Mustern im Tierreich zu suchen. Dort, wo wir keine Parallelen finden, stossen wir auf die differentiae specificae, die Alleinstellungsmerkmale des Menschen. Wenn ich im Folgenden von ‘Homo 1.0’ spreche, dann bin ich mir bewusst, dass es eine undifferenzierte Verallgemeinerung ist und die behaupteten Muster niemals für alle Exemplare der Spezies gelten. Aber die Muster lassen sich bei einer grossen Mehrheit der zurzeit lebenden Menschen beobachten – oder umgekehrt: die Muster taugen als definitorische Merkmale eben dieser Spezies und sind damit durchaus ‘systemrelevant’, besonders in einer Zeit, in der Vertreter dieser Subform in den meisten ehemals freiheitlichen Rechtsstaaten die entscheidenden Machtpositionen besetzen.
SUMMARY
These: Die folgenden Muster sind bei der grossen Mehrzahl der ‘Spezies Homo 1.0’ in mehr oder minder starker Ausprägung auszumachen.
- FEIGES EINZELWESEN – PROLET IM GESINNUNGSKOLLEKTIV: Als Individuum schwach und feige, im Rudel des Gesinnungskollektivs hingegen grosskotzig und gewalttätig.
- PRIMUM NOCERE: Hauptziel ist, andere zu schädigen oder wegzumachen, sei es aus Selbstsucht, sei es aus Lust am Schädigen. Eines der beliebtesten Mittel ist die anonyme Denunziation.
- GEFÜHLE HABEN VORRANG VOR DEM VERSTAND: Die Emotionen, Befindlichkeiten, ideologischen Gewissheiten haben in jeder Entscheidungssituation das Primat vor dem aufgeklärten, nüchterner Argumentation zugänglichen Verstand.
- GIER – DAS UNSTILLBARE VERLANGEN NACH MEHR: Gier – Mixtur einer Emotion und eines Triebes – lenkt ihn und lässt trotz offensichtlicher Widersprüche und Selbstschädigung nicht nach.
- MANIPULIERBARKEIT: Die Manipulierbarkeit ist beim Homo 1.0 im Vergleich zu Fauna und Flora extrem hoch. Die Bequemlichkeit, ja Faulheit selbst zu denken, abzuwägen, zu entscheiden und eigenverantwortlich zu handeln, ja die Lust, geführt zu werden, lässt viele ihre Feigheit und Orientierungslosigkeit besser kaschieren.
- ICH BIN NICHT SO WIE DIE: Homo 1.0 definiert sich und seine Gruppen nach aussen, im Anderssein als – in der Regel verabscheuungswürdige, wenn nicht zu vernichtende – andere.
- AUFPLUSTERUNG: Bedeutungsbedürfnis und Geltungsdrang führen zu Aufplusterungsversuchen mit allen Mitteln, die auch in Widerspruch zu anderen Mustern (z.B. 1, 2, 8) führen können.
- FLUCHT VOR DER VERANTWORTUNG: Verantwortung ist anstrengend und birgt Risiken; beides nimmt Homo 1.0 nur auf sich, wenn er sich damit über Gebühr aufplustern kann (–>7).
- SICHERHEITSBEDÜRFNIS > FREIHEITSWILLE: Im Zweifelsfall ist Homo 1.0 aufgrund seiner Feigheit Sicherheit wichtiger als Freiheit.
- PRIMAT DES OPFERSTATUS: Nichts zeichnet Homo 1.0 deutlicher aus als sein permanenter Anspruch auf den Opferstatus. Die Verbiegungen, die dekadente Gesellschaften machen, um aus jedem Täter ein Opfer zu machen, sind geradezu kunstvoll.
IM EINZELNEN
- FEIGES EINZELWESEN – PROLET IM GESINNUNGSKOLLEKTIV
Der Homo 1.0 ist feige, schwach, leise, unterwürfig, anpässlerisch, wenn er allein auftritt – grossspurig, protzig, laut, überheblich, zerstörerisch, gewalttätig im Gesinnungskollektiv.
Dieses Muster liess und lässt sich bei der riesigen Mehrheit der Menschen erkennen. Nur ganz wenige sind auch allein stark, selbstsicher, unabhängig vom Applaus, der Stützung durch das Gesinnungskollektiv und der Anerkennung durch die Massen. Ähnliche Muster lassen sich bei den Herdentieren beobachten, nur dass dort regelmässig ein Leittier auch allein stark ist und sich notfalls opfert, um seine Herde zu schützen. Herdentiere haben mutmasslich aufgrund der Umstände, des Aufwachsens und der natürlichen Feinde, und vielleicht auch der Gene gar nicht die Wahl, sich allein durchzuschlagen. Der Mensch hingegen hat sowohl die Wahl wie die Möglichkeit, als Einzelwesen autonom und stark zu sein. Die Wenigen, die diese Wahl treffen und die entsprechenden Fähigkeiten und Kompetenzen erwerben und trainieren, zeigen den vermassten Herdenmenschen, in welche Richtung sie sich entwickeln sollten, wenn sie je den Level 2.0 erreichen möchten. Ironie dieses Musters: die meisten Massemenschen wollen sich gar nicht entwickeln. Ihnen ist wohl im Sumpf der krakeelenden Meute, wo kaum auffällt, dass sie nicht das hellste Kerzlein auf dem Kuchen sind. Historische und aktuelle Beispiele gibt es zuhauf, vom ‘Kreuziget ihn’ schreienden Mob über alle öffentlichen Hinrichtungen im Mittelalter bis zum tausendfach gebrüllten «JAAA!» auf die Frage von Goebbels in seiner Sportpalastrede: «Wollt ihr den totalen Krieg?» Aber dieses primitivierende ( Sorry, Wortschöpfung, aber mir gefällt das Verb ‘primitivieren’ im Sinne von ‘sich in Richtung grösserer Primitivität entwickeln’) Massengejohle kann man an fast jeder ‘Aktivisten-Demo’, ja sogar an jedem deftigeren Rock-Konzert erleben. Das Gruppenphänomen ist gut, wenn auch oft ideologisch unterfüttert untersucht worden. Die häufigsten Effekte der freiwilligen oder unfreiwilligen Zusammenballung von Individuen in Gruppen sind:
- grössere Effizienz, Wirkung im Ziel, dank Vernetzung und Akkumulation des Macht- und Gewaltpotenzials;
- bei Angleichung der Gruppenmitglieder: exponentiell wachsende Verdummung und Verrohung; das Niveau sinkt drastisch; das Ganze ist deutlich weniger als die Summe seiner Teile;
- bei Belassung, ja Förderung der Individualität und Verschiedenheit der Gruppenmitglieder und situationsadäquaten Führungsstrukturen können Aufgaben gelöst werden, für die ein Kollektiv unerlässlich ist (Orchester, Feuerwehr, Landesverteidigung etc.); das Niveau kann steigen und das Ganze mehr sein als die Summe seiner Teile (Orchesterklang, Rettungseinsätze, Kampf der verbundenen Waffen).
Fazit: Gruppenbildung ist nur für die Lösung von Aufgaben anstrebenswert, die durch Individuen, Einzelkämpfer nicht gelöst werden können. Und auch dann ist auf hochkarätige, situationsadäquate Führungsstrukturen und auf grösstmögliche Deversifizierung und Verschiedenheit der Gruppenmitglieder zu achten, damit überhaupt ein Mehrwert entsteht und die Verdummung und Verrohung durch eine Meute Gleicher vermieden werden kann.
Mitwelt: das Phänomen ist in markant anderer Ausprägung in der Tierwelt zu beobachten. In Herden, Rudeln, Schwärmen oder anderen Kollektiven lebende Tiere setzen die Vielzahl zum Schutz oder zur Effizienz bei der Erreichung ihrer Ziele ein, aber nicht aus Feigheit des Einzeltieres, sondern situationsadäquat und verhältnismässig, vergleichbar den Menschen, die ein Orchester oder einen Chor bilden, nicht aus Feigheit, sondern um ein spezielles Ziel zu erreichen, das allein nicht erreichbar ist.
2. PRIMUM NOCERE – HAUPTZIEL: SCHADEN
Homo 1.0 fühlt und handelt in vertikalen Strukturen und schadet skrupellos und mit allen Mitteln allen anderen Entitäten, um höher zu klettern, sich auf der erreichten Leitersprosse zu halten, oder wenigstens situativ die Oberhand zu gewinnen. Dieses Muster lässt sich in allen Beziehungen, von Familien über private oder wirtschaftliche Partnerschaften bis hin zum Vernichtungskampf von Grosskollektiven beobachten.
Auch dieses Muster zeigt sich bei einer grossen Mehrheit der menschlichen Spezies, erstaunlicherweise aber nur marginal in der Fauna (Leittierkämpfe) und Flora (Kampf um Wasser, Licht). Hippokrates verschrieb den Ärzten ‘primum nil nocere’ (μὴ βλάπτειν) also das Gegenmuster, wohl wissend, dass er damit etwas ähnlich Übermenschliches verlangte wie Jesus mit dem legendären ‘Liebe deinen Nächsten wie dich selbst’. Das vollständige Zitat lautet in Latein ‘primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare’, also Deutsch in etwa: ‘primär: nicht schaden, sekundär: vorsichtig, umsichtig sein und tertiär: zu heilen versuchen). Hippokrates war sich vermutlich bewusst, dass er das Gegenteil empfahl von dem, was Homo 1.0 am nächsten liegt: primär anderen schaden. Je mehr andere er nachhaltig schädigt, desto weniger von ihnen kommen ihm in die Quere, konkurrieren um das, was er für sich haben will – und das ist viel, am liebsten alles (à Muster 4). Je unsicherer Homo 1.0 auf seiner gerade gehaltenen Position, seiner Leitersprosse wackelt und zittert, je angstvoller er dem Nichtaufstieg oder gar Absturz entgegenglart, desto hemmungsloser schubst er andere runter, hindert sie am Aufstieg, schädigt sie oder hilft mit, sie völlig aus dem Rennen zu nehmen, all dies durchaus auch mit Lustgewinn.
Thesen:
- die Skrupellosigkeit, die Bereitschaft andere zu schädigen wächst bzw. vermindert sich parallel zum Mass der Angst, der Selbstsicherheit und zum Mass der Fixierung im vertikalen Denken;
- die Schadenfreude, die Lust am Entreissen, Wegnehmen von femdem Eigentum, am Sturz, an psychischem, physischem Leid und dem Tod anderer ist für die ‘lower class’, die primitive, aber hochverbreitete Variante des Homo 1.0, nicht nur praktisch hilfreich für die ‘Karriere’, sondern auch triebgesteuert hochgradig erregend, emotional anstrebenswert, und gerade für Impotente und Frigide oft das einzig verbliebene erotische Erlebnis, gipfelnd in der triumphalen Erkenntnis ‘Der ist tot! Und ich bin noch da!’ oder etwas harmloser: ‘Der fährt nach unten, ich fahr rauf!’
Wenn wir Muster 1 und 2 miteinander verknüpfen, haben wir den auch heute wieder markant erlebbaren Homo 1.0 in seiner ganzen entlarvenden Pracht: Am leichtesten und effizientesten schädigt es sich aus einer anonymen, also feigen Position heraus: Denunzianten, ‘Klein-Stasis’ sind wieder hoch in Mode, eines der untrüglichsten Symptome für autoritäre Tendenzen. Zu den dümmsten Ideen zur Promovierung des Homo 1.0 zum unangenehmen Zeitgenossen zählt m.E. der Schutz der Anonymität der Verräter und Denunzianten. Sie hebelt die Eigenverantwortung aus und fördert die niedrigsten ‘Schädigungs-Instinkte’. Wenn der Urheber einer Denunziation immer gleich offengelegt würde, gäbe es in der Anfangsphase vielleicht ein paar Nachbar-Morde mehr, aber mittelfristig viel weniger Denunziationen. Alle Feiglinge würden es sich sehr gut überlegen, ob sie sich ihrer Sache sicher sind und ob es sich wirklich um einen Tatbestand handle, bei dem es unmöglich wäre, den vermeintlichen ‘Täter’ direkt anzusprechen und um eine Tat, die es verdiene, öffentlich gemacht zu werden.
Eine besondere Form des Abtauchens in die Anonymität ist das Schädigen anderer aus einer möglichst mächtigen und den Schädiger schützenden Gruppe – zum Beispiel einer Redaktion, einer Partei, einer Ideologiezentrale, einer religiösen Institution, einer staatlichen Behörde heraus. Da ist es letztlich völlig egal, wer gerade zum Feindbild erkoren wird, es gilt die Devise ‘Draufhauen! Zusammen sind wir stark!’ oder in der moderneren Formulierung: ‘Solidarisch gegen ‘rechts’ (wobei alles, was nicht der linken Mainstream-Gesinnung entspricht, unbesehen das pejorative Feindbild-Etikett ‘rechts’ aufgeklebt kriegt), gegen die Verschwörungstheoretiker, die Querdenker, die Klima- und Coronalügner, die Fake-News-Verbreiter, die Frauenfeindlichen, Homo- oder Transphoben, die systemischen Rassisten, die Putin-Versteher, die Trumpisten, die Neonazis, die Faschisten, die AfD-ler – die Liste der Feindbilder war zu jeder Zeit und ist auch heute beliebig verlängerbar. Wenn wir statt der heute gängigen Worthülsen das alte Feindbild ‘Jude’ in all dieser Kampfrhetorik einsetzen, sind wir in den 30-er Jahren des letzten Jahrhunderts. Die explizite und im Netz jederzeit belegbare Aufforderung unzähliger Politiker und Cervelat-Prominenter, z.B. die Ungeimpften aus der Gesellschaft auszuschliessen, erinnert daran, dass die Nazizeit nicht eine einmalige Verirrung in unserem doch so kultivierten Nachbarland war, sondern dass es sich um eines der in Homo 1.0 angelegten Urmuster handelt, das je nach Zeitumständen jederzeit und überall virulent werden kann. Die Farben mögen changieren: wenn man grün und rot gut mischt, ergibt sich wieder braun, aber das Muster bleibt. Auch die Wort-Etiketten wechseln nur marginal: statt von ‘stinkenden Juden’ zu sprechen wie damals DER STÜRMER, wundert sich heute die früher einmal hochkarätige und weit vom Boulevard entfernte NZZ darüber, dass der Gestank der ‘Weltwoche’ noch nicht das Zugsabteil durchflutet. Der Untertitel des ‘Stürmers’: ‘Nürnberger Wochenblatt zum Kampfe um die Wahrheit’ nennt man heute Neudeutsch vielleicht eher ‘Expertenbericht der Faktenchecker’? Passend dazu die Mode des ‘No-Platforming’ und des Abbrechens von Konzerten: „Denen wollen wir gar nicht zuhören, die sagen oder spielen Dinge, die uns ‘Unwohlsein’ bereiten, unsere sensiblen Seelen verletzen.“ Die Auftretenden werden ausgeladen, die Mainstreammedien empfehlen, deren Bücher nicht zu lesen, deren Musik nicht zu hören, deren Kunst zu meiden, ja besser sie zu verbieten. – Ist der Schritt wirklich noch gross zur Verbrennung ‘entarteter’ Kunst und zum medialen Aufruf: kauft nicht beim Juden, beim Querdenker, beim Ungeimpften, beim Kritiker der Genderhysterie, beim Verweigerer der Sprachzensur, beim Klimaskeptiker, beim systemischen Rassisten, beim zu wenig Woken, beim kulturellen Aneigner. – Das Muster bleibt immer dasselbe: den Andersseienden, Andersdenkenden, Andershandelnden, Andersfühlenden mit allen Mitteln schädigen, ihn aus dem Amt jagen, ihm den Job wegnehmen, ihn wegfegen, entfernen, vernichten: primum nocere, am liebsten aus der Anonymität der Meute heraus, in der man mitheult.
Diese Kombination von Muster 1 und 2 können wir vom Solisten über das Kleinst- bis zum Grösstkollektiv erkennen.
Mitwelt: In der Tier- und Pflanzenwelt geht es höchst selten um die Lust am Schädigen, am ehesten vielleicht bei mit ihrer Beute spielenden Katzen. In der Regel sind tierische Aktivitäten, die zu Schaden oder Tod von anderen Tieren oder Pflanzen führen, reine Überlebensstrategien.
3. GEFÜHLE HABEN VORRANG VOR DEM VERSTAND
Bei Homo 1.0 gilt: ‘Emotio supra Ratio’, d.h. Gefühle, Befindlichkeiten, moralische, ideologische, religiöse ‘Gewissheiten’, seien sie ‘selbst gespürt’ oder von irgendeinem Kollektiv übernommen bzw. gesteuert, haben Priorität, Vorrang in jeder Entscheidungssituation vor nüchternen, rationalen, aufgeklärten, logisch stützbaren Argumenten, die jederzeit aufgrund der Datenlage und der wissenschaftlichen Erkenntnis situationsadäquat und verhältnismässig angepasst werden können.
Emotionen, Befindlichkeiten, Gesinnungen sind unerreichbar für den Rechtsgrundsatz des Verhältnismässigkeitsprinzips, das per definitionem eine rationale, nüchterne, alle verfügbaren Daten berücksichtigende Güterabwägung erfordert. Die Priorisierung der Gefühle läuft heute parallel zur Feminisierung der ehemals aufgeklärten Gesellschaften. Mit dem Frauenanteil an den Schaltstellen der Macht wuchs und wächst auch dieses Muster. Ein Grossteil der Modeerscheinungen wie Corona-, Klima-, Gender- und Identitäts-Hysterie, ‘Cancel Culture’, ‘Political Correctness’, Sprachzensur, die Aufgabe von Gewaltenteilung, Neutralität, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Tendenz zu diktatorischen Strukturen mit Zentralisierung der Macht und Entzug der Grundrechte, um die gefühlten, ideologisch vorgegebenen und nicht hinterfragbaren Ziele zu erreichen, die einzig ‘richtige Gesinnung’ mit allen Mitteln durchzusetzen, die Infantilisierung der Politik mit dem Hochjubeln vorpubertärer und pubertärer Anliegen – all diese zurzeit hochmodischen Phänomene illustrieren dieses Muster der Priorisierung der Emotionen gegenüber dem Verstand. Denn wenn es reicht, das absolut Richtige zu fühlen, die einzig richtige Gesinnung zu haben, wenn Entscheide gar nicht mehr hinterfragt werden müssen, ist die Tür weit offen für alle Formen des Terrors. Diktatoren haben es zu allen Zeiten unter Beweis gestellt, die Islamisten tun es heute vielleicht am blutigsten, aber die ehemals freiheitlichen westlichen Rechststaaten sind auf bestem Weg in dieselbe Richtung. Noch werden nicht richtig Fühlende, die falsche Gesinnung Habende erst mal gemobbt, entlassen, diffamiert, zensuriert, aus den (a-)sozialen Netzwerken geworfen, wird ihre Reputation, ihr wirtschaftliches Fortkommen geschädigt, werden ihre Karrieren ruiniert – aber es gab in der Coronazeit auch schon Inhaftierungen von Ärzten, die Covid 19 als Grippe bezeichneten – etwas, was heute bei den unabhängig denkenden Intellektuellen längst eine weit verbreitete Einschätzung ist. Die nächsten Schritte zum traditionellen Bann der katholischen Kirche für Blasphemie, zur totalen gesellschaftlichen Ausgrenzung und zum ‘Scheiterhaufen’ in allen modernen Formen sind nicht mehr gross.
Die Hoffnung besteht natürlich, dass die Volkswirtschaften unter diesem Typ der emotional-feminisierten Gesinnungsdiktaturen derart Schaden nehmen, dass sich Gegenkräfte bilden, die versuchen werden, der Ratio, dem Verstand, der Aufklärung wieder mehr Bedeutung und Einfluss zu verschaffen. Die Frage, die man als mitten in dere Sinuskurve steckender kleiner Beobachter nicht beantworten kann, ist die nach der Amplitude und der Frequenz der Sinuskurve. Wenn man zurückschaut auf die fast zweitausendjährige untere Kurvenhälfte, während der die Kirche die ‘einzig richtige Gesinnung’ nicht nur vorschrieb, sondern mit allen Machtmitteln erstaunlich nachhaltig und erfolgreich durchsetzte, bis die Aufklärung vor rund 300 Jahren die obere Kurvenhälfte mit einer zumindest immer wieder aufblühenden Priorität des Verstandes und der Meinungsäusserungsfreiheit einläutete, die nun wieder durch eine Phase des ideologischen Terrors abgelöst zu werden scheint, so ist schwer abzuschätzen, wann es der Freiheit und dem Verstand wieder gelingen wird, durch die Betonschicht der Gesinnungsdiktatur zu dringen. Wenn wir ein einzelnes Phänomen wie den Antisemitismus nehmen, für mich die stärkste Illustration, zu was für irrwitzigen Resultaten die Priorität von Gefühl und Gesinnung führen kann, so sehen wir, dass auch die starke Bewegung der Aufklärung diesen unsäglichen Schwachsinn nicht zum Verschwinden brachte. Die Furzidee, dass die Juden schuld seien am Tod des vermeintlichen christlichen Superstars, hat in allen irgendwann christlich oder muslimisch dominierten Gesellschaften zu Antisemitismus geführt, und er ist auch heute noch überall latent vorhanden, auch und gerade bei Menschen, die sich nach aussen gern das Mäntelchen von ‘Aufgeklärtheit’ und ‘Gutmenschentum’ umhängen. Oft kommt er nur ganz leicht verkleidet als Israel-Bashing und geheuchelte Empathie für die ‘armen Palästinenser’ daher. Ein Blick in die linke Presse – also heute fast die gesamten Mainstreammedien – zeigt die Verlogenheit dieses nur ganz leicht übertünchten Antisemitismus, der sich immer noch von der dümmsten, verstandesfernsten und gesinnungsinduziertesten Wahnvorstellung nährt.
Wenn wir Muster 1 bis 3 kombinieren, gewinnt Homo 1.0 immer mehr an Profil: ein sich in der Anonymität des Denunziantenschutzes oder des Kollektivs versteckender Schädiger, bei dem das Denken – sofern es überhaupt stattfindet – regelmässig weit hinter seiner Befindlichkeit und im Zweifelsfall nur nachrangig, sekundär überhaupt zum ‘Einsatz’ kommt. Zusammen mit –>Muster 4 wird das Bild noch deutlicher.
Mitwelt: Wir wissen noch viel zu wenig über das Innenleben der Tiere und Pflanze, ja überhaupt aller von uns wahrgenommenen Entitäten, um diese Frage zu beantworten. In der Fauna behelfen sich viele mit Termini wie ‘Trieb’ oder ‘Instinkt’ oder ‘Programmierung’, aber die Feldforschung zeigt, dass v.a. höhere Säugetiere über ein hohes Mass an Intelligenz und Emotionalität verfügen und sie sehr oft höchst vernünftige, auf rationalen Abwägungen beruhende Entscheidungen treffen, die durchaus auf ein Primat der Ratio über die Emotio schliessen lassen. Aber die wissenschaftlichen Grundlagen sind noch sehr bescheiden. Immerhin zeigen Studien, dass auch Pflanzen, ja sogar einzelne Zellen über Intelligenz verfügen, indem sie sich veränderten Umständen und Herausforderungen anpassen. Aber das Gegenargument, dass es sich dabei nur um ‘genetische Programmierung’ auch für nicht vorgesehene Situationen handle, kann noch nicht überzeugend entkräftet werden.
4. GIER – DAS UNSTILLBARE VERLANGEN NACH MEHR
Die Unersättlichkeit, möglichst alles von allem für sich zu haben, auch wenn man sich dabei sofort in unauflösbare Widersprüche verstrickt, weil man nicht gleichzeitig alles Fressbare in sich hineinstopfen und das Maximum an Schönheit, Sportlichkeit oder Eleganz auf sich vereinen kann.
Gier ist oft mit Dummheit verknüpft, wobei ich unter ‘Dummheit’ keineswegs Erfolglosigkeit verstehe, sonderen eine Form der Benebelung des ‘gesunden Menschenverstandes’, die zu einer meist gnadenlosen und gewaltbereiten Fokussierung auf das Objekt der Gier führt. Wenn das Objekt Geld oder Macht ist, kann die Gier durchaus mit ökonomischem oder politischem Erfolg einhergehen. Trotzdem bezeichne ich auch Figuren wie Hitler, Stalin, Mao, Pol Pot, Putin und andere mit ihrer Gier reich und mächtig gewordene Diktatoren als dumm, ‘menschlich dumm’. Die analoge Verknüpfung zeigt sich meist in der Parallelität der Entwicklung: Gier und Dummheit wachsen meist direkt proportional. Die konditionale Verknüpfung wäre: ‘immer wenn Gier, dann Dummheit’, bikonditional würde es auch umgekehrt gelten. Ich bin aber überzeugt, dass es Dummheit im Sinne von ‘Verstandesarmut’ auch ohne Gier gibt. Kausal wäre: ‘Gier ist Causa für Dummheit, Gier ist der Grund, Dummheit die Wirkung. Auch diese Verknüpfung treffen wir häufig an, aber sie ist m.E. nicht zwingend. Gier kann auch Antrieb sein, sämtliche rationalen und physischen Fähigkeiten zu aktivieren und zu fokussieren, um im erstrebten Mass an das Objekt der Gier zu gelangen. Man denke nur an die zum Teil hochdifferenzierten und effizienten, ‘klug’ gemachten und geölten Vertriebsstrukturen im Drogen-, Waffen- und Menschenhandel. Meine These ist allerdings, dass die schlauen Manager dieser Organisationen in der Regel nicht gierig nach den Produkten sind, die sie vertreiben, sondern primär nach dem Gewinn, den der Handel einbringt.
Mitwelt: Fressgier ist durchaus beobachtbar in der Fauna, aber nie so wie beim Menschen. Die Tiere verhalten sich in freier Natur situationsadäquat. Sie wissen, dass Fettleibigigkeit die Überlebenschancen stark mindert. Auch die Gier nach riesigen Revieren findet ihre Grenze an der Kontrollierbarkeit des Reviers. Auch das Mass der Ansammlung von Vorräten, wie ihn z.B. Eichhörnchen anlegen, hat Grenzen: wenn sie zuviele Vorräte in einer zu grossen Region verstecken, besteht die Gefahr, dass sie das Gesammelte nicht mehr finden – etwas, was giergeprägten menschlichen Sammlern dauernd passiert.
5. MANIPULIERBARKEIT
Homo 1.0 ist leicht manipulierbar, führbar, unabhängig vom Bildungsstand ist er in der Regel käuflich und die meisten Exemplare sind deutlich dem Gesetz der Entropie unterworfen und streben wie alle Materie nach dem Energieminimum.
Dieses Merkmal von Homo 1.0, das in der bisherigen Menschheitsgeschichte immer wieder zu unvorstellbaren Gräueln geführt hat, kann man auch als Vorzug interpretieren, z.B. dann, wenn der Manipulator ein bereits etwas weiter Richtung Homo 2.0 entwickeltes Exemplar ist. Wenn z.B. ein Komponist, Dirigent, Song-Writer zuerst einmal die Ausführenden so weit ‘manipuliert’, dass ein Orchesterklang, ein Chorklang oder sonst ein musikalisches Werk entsteht, mit dem die Zuhörenden begeistert und damit auch in gewisser Weise manipuliert, in positive ‘Vibes’ versetzt werden, oder wenn ein Helfenwollender eine Gruppe um sich schart bzw. sie manipuliert, um mit ihm sein Hilfsprojekt zu realisieren, so kann man dieses Gemeinschaftserlebnis und dessen Auswirkungen durchaus als ‘Vorzug’ bezeichnen, der sich die leichte Führbarkeit des Homo 1.0 zunutze macht.
Mitwelt: Dass der Mensch Tiere und Pflanzen und auch alle übrigen Entitäten bis zur Selbstzerstörung manipuliert, ist unbestritten. Inwieweit z.B. Anführer in der Tierwelt ihre Herden, Rudel, Schwärme zu manipulieren vermögen, ist noch viel zu wenig untersucht. Es ist durchaus denkbar, aber es stellt sich die Frage nach der Motivation, die beim Menschen offensichtlich ist.
6. ICH BIN NICHT SO WIE ‘DIE’!
Homo 1.0 definiert sich sowohl als Einzelwesen wie in den Kollektiven, denen er sich zugehörig fühlt, nach aussen, nicht nach innen. Er findet seine Identität bzw. die seiner Gruppe in der Absonderung von den ‘andern’.
Homo 1.0 wird nicht müde, seinem Umfeld zu erläutern, mit wem er nichts gemein haben will, wie sehr anders er doch sei als dieser oder jener. Er definiert sich nicht mit seiner Einzigartigkeit, sondern im Anderssein als die andern. Desgleichen und noch viel deutlicher im Kollektiv: er bzw. die Gruppe betont nicht nach innen gewandt die beglückenden Vorzüge des eigenen Kollektivs, sondern die verabscheuungswürdige Andersartigkeit der andern, die nicht zu seiner Gruppe gehören. Die einfachsten Beispiele liefern uns Religionen und Ideologien. Die gleichen Religionen, die zu ihrer Einzigartigkeit Gnade, Toleranz, Nächstenliebe zählen, definieren sich nach aussen primär in der Ablehnung der andern, die ausradiert, niedergemacht, mit Bann belegt, hingerichtet werden müssen. Dass dasselbe Muster sich dann auch ‘religionsintern’ zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Schiiten und Salafiten und vielen anderen Gruppierungen in allen Religionen der Welt zeigt, kann nicht mehr erstaunen. Genauso ist es mit Ideologien wie dem Sozialismus oder Marxismus, aber auch aktuell mit Gruppierungen wie den Klima-Aktivisten, den Impfturbos, den Woken, Identitären, Genderhysterikern, Sprachsäubereren, Fremdschämern, Rassisten und ‘politisch Korrekten’: es geht nie um ihr Glück in ihrer Gruppe, um das, was sie im Innern als Kollektiv ausmacht, sondern regelmässig um den Kampf gegen die ‘andern’, diejenigen draussen, ausserhalb ihrer Gruppe.
Damit ist auch der Weg Richtung ‘Homo 2.0’ angedeutet: Definition von sich selbst und seinen Gruppen nach innen, Fokussierung auf die Optimierung seiner Einzigartigkeit, der Einzigartigkeit seiner Gruppe.
Mitwelt: Für dieses Merkmal gibt es durchaus Beispiele aus der Tierwelt. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Subspecies, die äusserlich, am Verhalten oder an der Kommunikation (Ost- und Westbienen!) erkennbar ist, kann durchaus wesentlicher Faktor der Identitätsfindung und Selbstverortung sein. Wie weit sich die ‘Völker’, Subspecies, aber auch die Individuen sich zusätzlich ebenfalls nach innen als zusammengehörig und einzigartig definieren, ist noch zu wenig erforscht.
7. AUFPLUSTERUNG
Ein suchtartiges Bedürfnis nach Bedeutung, Anerkennung, Ruhm, Zuwendung und Applaus.
Das Bedeutungsbedürfnis steht zwar im Widerspruch zu Muster 1, also der individuellen Feigheit und dem Trieb, sich im Kollektiv zu verstecken, aber es ist trotzdem so stark, dass vielen Vertretern der ‘Species Homo 1.0’ jedes Mittel Recht ist, um es zu befriedigen. Zu diesen ‘Mitteln’ gehört natürlich vor allem Muster 2, primum nocere. Das Bedeutungsbedürfnis impliziert Muster 3, wird also primär emotional unterfüttert. Aber es kann durchaus auch dazu führen, dass oberflächlich Muster 2, primum nocere, in den Hintergrund tritt, wenn z.B. die Möglichkeit besteht, irgendwo in der Heiler- oder Helferbranche das Bedeutungsbedürfnis zu befriedigen.
Mitwelt: Nicht nur der Pfau, der Gockel und viele andere männliche Tiere plustern sich auf – der Begriff basiert ja auf einem Bild aus der Vogelwelt und meint dort das Aufrichten des Gefieders. Aber in letzterem Fall geht es um Kälteschutz. Beim Pfau und seinen Kollegen geht es allerdings um etwas, was auch hinter einem Grossteil menschlicher Aufplusterei steckt: darum, die Aufmerksamkeit der Weibchen zu ergattern.
8. FLUCHT VOR DER VERANTWORTUNG
Verantwortung bedeutet immer Risiko. Homo 1.0 ist angstgeprägt, feige und dem Gesetz der Entropie verpflichtet. Er scheut Eigenverantwortung wie der Teufel das Weihwasser.
Verantwortung ist zudem anstrengend auf allen Ebenen: physisch, psychisch, mental, aber auch im sozialen Kontext. Homo 1.0 verwechselt Verantwortung gern mit Schuld, dabei ist auch Schuld ein relativer Begriff, der nur Sinn macht innerhalb von Modellen wie z.B. Rechtsordnungen, Ideologien, Religionen, die aber «Schuld» derart widersprüchlich festlegen, dass es gar nicht möglich ist, schuldfrei zu bleiben. Wer eigenverantwortlich handelt, mag also aus der Sicht irgendwelcher Modelle Schuld auf sich laden und wird, wenn er in einem entsprechenden Modell agiert, auch zur Verantwortung gezogen. Aber es gehört zu seiner ureigenen Risikoabwägung, wo er leben, agieren kann und will und wo er welches Mass an Verantwortung tragen und leben will. Eigenverantwortung bedeutet Selbstbestimmung – und genau die fehlt Homo 1.0, was ihn lebenslänglich zu einem «betreut lebenden Heiminsassen» macht. Er ist in allem, nicht nur im Handeln, sondern auch im Fühlen, Denken, Reden, Schreiben, fremdbestimmt, gelenkt, betreut.
Mitwelt: Verantwortungsscheu ist kaum dokumentiert in der Tierwelt. Umgekehrt ist die Wahrnehmung von Verantwortung im Kollektiv bei vielen Species belegt, nicht nur bei höheren Säugetieren, sondern auch bei Fischen, Vögeln, Insekten. Die verlässliche Übernahme von Rollen und Aufgaben mit der hilflosen Etikette ‘Instinkt’ oder ‘genetische Programmierung’ abzuqualifizieren, zeugt mehr vom dümmlichen, aber offenbar unausrettbaren Traum, in die vor-darwinsche Illusion des Menschen als ‘Krone der Schöpfung’ zurückzukehren, als von seriöser Wissenschaftlichkeit.
9. SICHERHEITSBEDÜRFNIS grösser FREIHEITSWILLE
Der Drang nach Sicherheit, Schutz, Betreuung und Orientierung ist bei Homo 1.0 markant deutlicher ausgeprägt als jeglicher Freiheitswille.
Unterordnung, Gehorsam, Misstrauen dem eigenen Denkvermögen, der eigenen Entscheidungskompetenz und der eigenverantwortlichen Handlungsfähigkeit gegenüber wird bereits dem Kleinkind, aber auch dem Heranwachsenden und dem zeitlebens unmündigen Insassen nachhaltig eingetrichtert. Bei vielen Vertretern der Species Homo 1.0 sind diese Eigenschaften allerdings so markant angelegt, dass sie freiwillig gelebt und geleistet werden.
Mitwelt: In der Tierwelt ist das Verhältnis zwischen Sicherheitsbedürfnis und Freiheitswille soweit wir es erforschen können situationsadäquat austariert. Erst bei den Haustieren, die durch Zucht, Haltung, Erziehung und Behandlung durch die Menschen verändert werden, finden sich ähnlich wie beim Menschen markant unterschiedliche Ausprägungen des Sicherheits- und Freiheitsbedürfnisses.
10. PRIMAT DER OPFERROLLE
Opfersein macht Spass, schafft Aufmerksamkeit, erzeugt Gratis-Zuwendung und ist – je nach Mass der Dekadenz von Zeitgeist und Kultur – sogar derart in Mode, dass das Mass des Opferseins zum Qualitätsmassstab wird, sowohl für Individuen wie für Kollektive: ‘je Opfer, desto toll’.
Der Opferstatus kann derart ‘in’ sein, dass viele Angehörige der Species Homo 1.0 ihn mit allen Mitteln und in möglichst vielen Bereichen und Lebenslagen künstlich herbeireden, herbeiführen, herbeizwingen. Im Opfer-Status sind fast alle anderen Muster vereint: Feigheit (1), Lust am Schädigen, denn die andern müssen sich ja um einen kümmern, müssen Aufwand betreiben, haben weniger Zeit und Mittel für sich oder andere und anderes (2),
Gefühlsprimat (3), Gier nach immer mehr Gratiszuwendung (4), Manipulierbarkeit: auch überzeugte Täter lassen sich gern zu Opfern stilisieren (5), Selbstdefinition nach aussen, gegen die bösen andern, die grausamen Täter (6), Aufplusterung: niemand zieht so leicht alle Aufmerksamkeit auf sich wie das arme Opfer (7), Flucht vor der Verantwortung: als Opfer ist man für rein gar nichts verantwortlich (8), jedes Opfer schreit geradezu nach Sicherheit, der Freiheitswille reduziert sich auf das Freisein von Verantwortung (9). Wenn wir Homo 1.0 auf einen einzigen Begriff reduzieren wollen, dann schlage ich «OPFER» vor.
Mitwelt: In der Tierwelt macht freiwilliger Opferstatus keinen Sinn, da das Opfer nicht überlebt. Nachwuchs wird geschützt, aber nur auf dem Weg zur angestrebten Selbständigkeit. Auch Alte oder Kranke können für eine gewisse Zeit geschützt werden, aber kein Tier macht sich selbst freiwillig zum ‘Opfer’. Unterwürfigkeit einem Stärkeren im eigenen Kollektiv gegenüber bedeutet keineswegs, dass sich das sich unterwerfende Tier als Opfer geriert. Es ist erst die durchaus zivilisatorische menschliche Errungenschaft des Schutzes von Schwachen, Kranken, Alten, die in ihrer Übertreibung im sozialen Wohlfahrtsstaat den Opferstatus attraktiv und verlockend machte und zur Dysfunktionalität moderner Gesellschaften führte, in denen eine immer kleinere Anzahl von Tätigen eine immer grössere Anzahl von Untätigen oder ‘Opfern’ durchfüttern muss. Bei der exponentiell wachsenden Staatsquote wird gern vergessen, dass letztlich auch alle Staatsangestellten zu den Nicht-Produktiven zählen, die von den Produktiven am Leben erhalten werden müssen. Der Kollaps dieses Systems ist absehbar und, man verzeihe die flapsige Formulierung, so dumm ist kein Tier, sich aus so etwas einzulassen.
UND DER WEG ZU HOMO 2.0?
Auseinandersetzung mit den Homo1.0–Mustern und dann – step-by-step – situationsadäquat und unter Beachtung des Verhältnismässigkeitsprinzips den Versuch ihrer Überwindung starten, sowohl als Individuum wie in allen Kollektiven, in denen man aktiv mitspielt oder in die man ohne viel Dazutun hineingeraten ist.
Das erste wäre aufgrund obiger Zusammenführung der Merkmale im Opferstatus also der Abschied vom Opfersein. Das ist zumindest theoretisch ganz einfach und braucht keine fremde Hilfe. Klar, eine Familienregel wie die Folgende kann helfen: ´Alle Gefühle dürfen thematisiert – nicht hemmungslos ausgelebt – werden, ausser Selbstmitleid, ein derart langweiliges, unerspriessliches Gefühl, dass man nicht einmal darüber zu debattieren braucht.´ Wer mit einer derart einfachen Regel aufwächst, gewöhnt sich dieses lächerlichste aller Gefühle rasch ab. Und der Opferstatus ist nichts anderes als perpetuiertes Selbstmitleid. Der Abschied davon ist ein rein mentaler Akt, eine Abmachung mit sich selbst, die da lautet: du bist immer verantwortlicher Täter, nie Opfer. Alles, was dir zustösst, hast du durch dein Sosein evoziert, herbeigerufen, veranlasst. Es geschieht nichts, dem du nicht einen Sinn abtrotzen könntest und das nicht deine Erkenntnis und Entwicklung promovieren würde. – Ob das tatsächlich so ist, wissen wir natürlich nicht mit Sicherheit. Aber es ist eine geniale Methode, um vom Opferstatus loszukommen und gleichzeitig umfassende Verantwortung wahrzunehmen. Wir haben also mit Merkmal 10 auch gleich 8 im Visier. Diese Dauertäterrolle mit Maximalverantwortung braucht Mut, damit arbeiten wir an Merkmal 1. Es macht uns aber auch unabhängig vom Umfeld, gibt uns die Gestaltungsmacht als Dauertäter völlig in die eigenen Hände – damit kehrt sich das Merkmal Sicherheitsbedürfnis grösser Freiheitswille (9) um. Das Bedürfnis nach Aufplusterung (7), uns von anderen markant abzuheben (6), aber auch die Lust, andere zu schädigen (2) schrumpfen: wir müssen nicht andere runtermachen, um selbst besser dazustehen. Wir haben es ja in den eigenen Händen, uns zu entwickeln. Wir sind permanent im rationalen Dialog mit uns selbst und interpretieren auch und gerade unsere auf Gefühlen basierenden Überzeugungen mit rationaler Schärfe, damit ist das Primat der Emotionen ebenfalls umschifft (3). Auch die Gier nach immer mehr (4) nimmt rapide ab. Wir haben im Gegenteil eher eine Überdosis von uns selbst als Dauer-Überall-Täter. Bleibt die Manipulierbarkeit (5): die einzige Gefahr diesbezüglich sind wir selbst, wenn wir beginnen, Ausnahmen zu machen und uns doch den einen oder anderen Bereich zuzugestehen, wo wir doch nun wirklich ganz grauslich unschuldig-arme Opfer seien – meist dort, wo es am anstrengendsten wäre oder am schmerzhaftesten, die Täterrolle und damit die Verantwortung zu übernehmen. In dem Moment, wo wir voller Selbstmitleid rufen «Aber dafür kann ich doch nun wirklich nix!» betreiben wir Selbstmanipulation. Aber auch das ist nur einer von vielen kleinen Widerhaken auf dem Weg zu Homo 2.0, der durchaus noch ein paar hunderttausend Jahre in Anspruch nehmen dürfte, bevor er nachhaltig und grossflächig 1.0 ersetzt. Die Hoffnung, dass es soweit kommt, nenne ich ‘nachhaltigen Optimismus’.
Luisman
Curt Doolittle ist ja der Ansicht, dass wir im Wesentlichen ‚Bots‘ sind, eine Art biochemischer Roboter, in dem das meiste unbewusst, quasi automatisch, nach einem gegebenen (genetischen) Programm ablaeuft. Und wenn wir unsere biochemischen Ablaeufe genau betrachten, dann sieht man das auch. So wie jedes Tier haben wir einen sehr flexiblen Metabolismus, der Hunger und Ueberfressen reguliert, so dass wir in beiden Situationen ueberleben. Doch die Natur hat ihre Grenzen, bei zu langem Hunger werden wir krank und sterben, bei dauerhaftem Ueberfressen genauso. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass es mit unserer Psychologie anders ist. Erst seit ca. 100 Jahren wurde das Wissen um die psychlogischen Vorgaenge systematisiert, und dann gleich genutzt (Bernais et. al., Stalin, Mao, Goebbels,…) um andere zu schaedigen.
Das erstaunliche ist nicht, dass wir alle Herdentiere oder tribale Tiere sind, sondern, dass es immer wieder Einzelne oder kleine Gruppen gibt, die nicht mitmachen. Immer entscheidet die Herde, ob die Aussenseiter nuetzlich oder schaedlich fuer sie sind, und allzu oft ist deren gefuehlsmaessige Entscheidung objektiv falsch. So wie bei Corona: Angst >> Wissenwollen.
So wie wir in einer fremden Sprache meist erst mal die Schimpfwoerter lernen, lernten wir in der Koerpermechanik erst mal wie man andere quaelt (Folter) und in der Psychomechanik, wie man andere ausnutzt und steuert (Google, facebook, etc.). Anstatt auf eine V2.0 von uns zu hoffen, plaediere ich, dieses unvollstaendige Wissen um uns so mit Gesetzen zu regeln, dass die negativen Aspekte nicht immer wieder zu Katastrophen fuehren. Evolution hat keine Richtung, aber wir koennen etwas Einfluss darauf ausueben.
marpa
Gut gebrüllt luisman. Also müssen wir als Aussenseiter immer wieder versuchen, der emotionalisierten Herde einen rationalen Schubs zu geben, auch wenn die Auswirkungen vielleicht erst ein paar tausend Jahre nach unserem Verwesungstermin spürbar werden 🙂