Share this post on:

Mein alter Freund Max, im letzten Jahrhundert eine rasende Wildsau auf den fürchterlichsten Geländestrecken der Welt, hat mir gerade sein Herz ausgeschüttet. Der arme alte Stinkstiefel ist angesichts des Näherkommens seines Verwesungstermins mit seinem Zossen in einem sogenannten ‘Tussi-Stall’ gelandet. Fast flächendeckend sportferne Weibsbilder, unbelastet von jeglicher Reitausbildung, so klagt er, und fast alle mit fetten, faulen, sportfernen Schwerblütern, wobei, das räumt er dann doch ein, die Hü’s ja nix dafür könnten, dass die Tussen sie fett und faul werden lassen. Aber er hat auch Erkenntnisse gewonnen, sagt er. So habe er den Begriff ‘Freizeitreiter’ nie ganz verstanden bisher. Denn die Sportreiter, die nicht gerade Vollprofis seien, betrieben doch ihren Sport auch in der Freizeit? Jetzt habe er endlich begriffen, dass sich ‘Freizeit’ auf die Pferde beziehe: die hätten eigentlich immer frei. Also nicht so ‘frei’ wie die australischen Wildpferde, sondern ‘frei vom Gerittenwerden’. Und wenn man die Tussis so anschaue, behauptet Max, müsse man sogar sagen, dass das Nichtreiten durchaus zum Tierwohl beitrage. Normalerweise würden die Weiber kommen, rauchen, plappern, trinken, plappern, rauchen, plappern, fu/üttern (sich und ihre Zossen), plappern, rauchen, während ihre Hü’s auf dem Horsewalker ihre endlosen Runden drehen oder auf dem praktischen Laufband an Ort vor sich hinstapfen würden. Gerade für 20-jährige Schwer- und Kaltblüter sicher ein grosses Erlebnis – und zur Freude aller ohne Reitergewicht. Wenn sich dann doch mal eine der Damen rauchend in den Sattel hieve, dann wähne er sich regelmässig in einem Film, der in Slowmotion ablaufe: die Schrittfolge entspreche in etwa der Ziehkadenz am Glimmstengel. Nachdem er sich gleich vom ersten Tag an unbeliebt gemacht habe, indem er einige der Weiber fragte, warum sie sich denn überhaupt einen Equiden halten würden, wenn sie ja gar nichts machten mit ihm oder ihm vornehmlich störenden Fleischtransport aufhalsten, und warum sie sich nicht einen kostengünstigen Goldfisch im Glas oder eine Kleinschildkröte in der Pappschachtel halten würden, sei er mit dem Bannstrahl der ganzen Genderkirche exkommuniziert worden und werde nun auch nicht mehr zu den täglichen Plaudertreffen und zum ‘Stall-Tschätt’ geladen, nicht einmal bei hohen Anlässen wie den vielen Geburtstagen von Fraulis, Rosslis, Hundlis und Kindlis. Ja die Kindlis seien auch meist dabei und es entbehre nicht einer gewissen Hand- und Fusswerkskunst, wenn die zwar nie stillen, aber womöglich noch stillenden Jungmütter mit einer Hand am geländetauglichen Kinderwagen mit Überrollbügel, mit der anderen Hand am mückennetzbewehrten Schwerblüter zwischen den Infrastrukturelementen herumwalkürten, gern gleichzeitig die beeindruckend geschnitzten Fastganzkörper-Tätuus präsentierend. Max überlegt sich, ob er sich nicht auch irgendwas Wokes über seine ärgerliche kleine Krampfader am linken Unterschenkel stechen lassen soll, vielleicht einen Mohrenkopf oder das Wappen von Avenches oder sonstwas sehr Schwarzes, das man heute nicht mehr beim Namen nennen dürfe. Dann könnte er vielleicht auch mal wieder in Shorts in den Stall kommen, wie das fast alle täten, ja, wofür Reitklamotten, wenn man eh kaum draufsitzt. Die Sozialkompetenteste der Stallinsassinnen, eine pensionierte Psychiatrieschwester, habe sich seiner endlich erbarmt und ihm erklärt, dass es hier gar nicht um die Pferde und auch nicht ums Reiten gehen, sondern um einen Fluchtort für verhärmte, verletzte, verstossene, ungerecht behandelte, missbrauchte, geschundene, missachtete, verlassene, mit zu wenig Abfindung bedachte Frauen, die aber einen Grund bräuchten, um ihre häufigen und langen Abwesenheiten von Heim, Herd und Arbeitsplatz zu rechtfertigen – und ein eigenes Pferd sei nun mal ein hieb- und stichfestes Alibi. Dies sei – so hämmerte sie dem auf der Leitung stehenden Max ein – zwar kein Frauenhaus, aber ein Frauenstall und deshalb sei er so fehl am Platz hier wie eine Made im Speck, wie ein Elefant im Porzellanladen, wie ein Kamel im Nadelöhr, wie ein Nichtdeutscher auf Mallorca, wie ein Südkoreaner in Nordkorea, wie ein alter, weisser Hetero an der Pride, wie Cédric Wermuth unter Arbeitern, wie ein Taubstummer im Opernchor, ein schwuler Pazifist im Kalifat – ob er es denn eeeendlich schnalle?

Seither habe ich von Max nichts mehr gehört, ausser einer Vermisstmeldung am Radio: «Um schonendes Anhalten wird gebeten. Der Entlaufene könnte verwirrt und bewaffnet sein.»

Share this post on:

One Comment

  1. Avatar marpa

    Ute

    Ich muss lachen und genieße meinen Luxus,die Pferde am Haus zu haben.
    Der Besuch hat mir gefallen.Ein wenig neidisch war ich auf die blitzblank geputzten Boxen und als ich die Spinnweben in meinem Stall gesehen habe,als ich wieder zuHause war, dachte ich, so ein wenig mehr Tussi könnte mir nicht schaden.Ich durfte auch die Konstruktion des Windschutznetzes fotografieren. Schweiz eben. Solide und hochwertig. Tolle verglaste Fenster, das Laufband, ich weiß was so eines hier kostet,und und und.
    Ich gebe zu, es hat mir als Gast nicht zugestanden etwas zu sagen, die Damen oder jungen Frauen waren sehr freundlich zu mir, aber die rauchende junge Frau, im Stall,angelehnt an die Boxenwand, hat mich erstaunt.
    Ein Tor mit Windschutznetz werden wir kaufen, aber eine ganze Stallwand wie in diesem Stall, toller Luxus, es ist ihnen zu gönnen, wir nehmen die einfache Version.
    Jeder muss sehen,wie er seinen Lebensunterhalt verdient. Ich denke,die Stallinhaber haben ihr Altgebäude optimal gestaltet. Luftig und hell. Weiden für die Pferde, auch sehr schön.
    Trotzdem, mein Luxus liegt im eigenen Stall.
    Falls ich diesen verlassen sollte,auch wieder als Selbstversorgerin. So als alte Schachtel bin ich vielleicht nicht kompatibel.

Comments are closed.