Seit frühester Kindheit führte er. Anfangs waren es seine Spielzeugautos, seine Stofftiere, dann seine Plastic-Traktoren mit Anhänger, die er führte, einwies, kontrollierte. Schon mit fünf begann es ihn aber zu stören, dass er seine Anweisungen an die toten Sachen selbst ausführen musste. Bald erkannte er den bedeutenden Unterschied zwischen führen und ausführen: führen roch nach Macht, ausführen nach Gehorsam. Es reichte ihm deshalb schon als Dreikäsehoch nicht mehr, etwas im Schilde zu führen, er wollte Dinge ausserhalb von sich selbst führen und sehen, wie sie aufgrund seiner Führungsimpulse agierten. Am deutlichsten wurde dieses befriedigende Erlebnis für ihn, wenn Dinge oder Wesen etwas taten, was sie ohne seinen Anstoss nie und nimmer getan hätten. Eine Zeitlang genügte ihm das Bersten eines Glases, einer Porzellantasse, das Platzen einer Milchtüte im Innenhof, das Zerschneiden von Kleidungsstücken oder Spielsachen anderer. Aber bald löste diese Art des Erfahrens von Kausalität mit sich als Ursache und deutlichen, direkten und von den betroffenen Dingen bestimmt nicht gewollten Wirkungen nicht mehr die Lust aus, die er suchte und die ihm die Gewissheit gab, ein wahrer Führer zu sein. Ihm fehlte die sichere Information, das klare Signal, dass die Dinge das, was sie aufgrund seiner Führung taten, auch wirklich nicht wollten. Wer sagte ihm denn, ob es dem Glas, der Milchtüte, den Kleidern, den Teddys nicht piepegal war, ob sie ‘ganz’ oder in Stücken waren? Deshalb kam er nicht umhin, seine Führungstätigkeit an lebendigen Wesen auszutesten, die sich klar und unmissverständlich gegen seine Aktionen zur Wehr setzen konnten. Er begann, Insekten, Schnecken, Würmer zu zerschneiden mit Mutters Küchenmesser, aber auch das empfand er bald als ‚halbbatzig‘, zumal er erfuhr, dass Würmer trotz Halbierung weiterleben konnten. Obwohl er beim Fischen akribisch vorging und rasch Erfolg hatte, war er enttäuscht, als er erstmals einen grösseren Fisch gegen die Bootswand schlug. Er schrie genau so wenig wie die Würmer und Schnecken! Und mit führen hatte das doch gar nicht viel zu tun? Er wollte ja andere anleiten, solche Dinge zu tun. Er wollte doppelte Unlust als Resultat seiner Führungstätigkeit erleben. Die Unlust dessen, den er anführte und der aufgrund seiner Anweisungen etwas tun musste, was er nicht wollte und was dem von der Tätigkeit des Angewiesenen Betroffenen möglichst viel Unlust bereiten sollte. Genau diese doppelte Unlust der anderen erzeugte seine Lust. Auch wenn er nie Sartre gelesen hatte – das war ja ein Franzos’! – ahnte er doch den tiefen Gehalt in dessen Erkenntnis: «Die Hölle, das sind die andern!» Nur dass es ihm in der Hölle durchaus gefiel, solange er der Führende war. Zudem wollte er nicht nur optische, sondern auch akustische, olfaktorische und taktile Lust am Führen erleben. Er begann damit, Mäuse zu fangen mit einer alten Käfigfalle, in der sie überlebten. Dann musste sein kleiner Bruder auf seine Anweisung hin die Mäuse ‘entleben’. Ihm gefiel das Wort viel besser als all die andern, plumperen, charmeloseren Bezeichnungen.
Später erweiterte er sowohl den Kreis der auf seine Anweisung hin Drittwesen Entlebenden wie den Kreis der Entlebten. Es gelang ihm von Mal zu Mal besser, als Führender aufzutreten und immer mehr kadavergehorsame, manipulierbare Weicheier um sich zu scharen, die sich seinen Befehlen fügten. Und so kam es, dass im Dorf laufend Katzen, kleine Hunde, Kaninchen, Meerschweinchen, Kanarienvögel, Papageien und andere Tiere verschwanden. Er belegte Jungschützenkurse und entpuppte sich genauso als Naturtalent wie bei der Handhabung von Messern, beides Kompetenzen, die er als Führender seinen Jüngern und Adlaten weitervermittelte. Die Weicheier kamen langsam auf den Geschmack, entdeckten die Lust am Entleben Dritter. Für die Funktionalität des Systems war das ein Vorteil, aber dem Führenden entschwand damit mehr und mehr die Lust, andere zu zwingen, etwas zu tun, was sie nicht gern taten, was ihnen zuwider war. Also musste er zwangsläufig eine Stufe höher schalten. Die Geführten mussten die Dritten foltern, quälen, leiden lassen, bevor sie sie entlebten. Als ihnen auch dies zu gefallen begann, machte der Führende endlich den Sprung und wählte Menschen als Dritte. Jetzt spürte er wieder Widerstand, Ekel, ja Abscheu, wenigstens bei einem Teil der Befehlsempfänger, von denen sich aber doch keiner getraute, sich seiner Führung zu widersetzen. Genau diese Unlust der Geführten schenkte ihm wieder die doppelte Lust, die er nicht nur begehrte und liebte, sondern mehr und mehr unverzichtbar brauchte.
Als die Lust wie alle Lüste durch die Häufigkeit ihrer Befriedigung, die Saturiertheit und Routine abzuklingen drohte, blieb ihm nur noch die quantitative Steigerung: Tausende von Geführten, die Tausende von Drittmenschen entlebten auf seine Anweisung hin und unter seiner Kontrolle. Was für ein beglückender Rausch! – Doch auch dies wurde irgendwann schal, ja langweilig. Er träumte davon, einen Meteor in einen Planeten hineinzusteuern, notfalls auch in den eigenen, auf dem er draufsass. Er brauchte gar nicht bewusst eine Risikoabwägung vorzunehmen, er spürte intuitiv, dass das Hochgefühl, das sich bei einer so gigantischen, durch ihn herbeigeführten Verknüpfung einer Ursache mit einer Wirkung einstellen würde, die Unlust über das eigene Ableben bei weitem übertreffen würde.
Doch die Meteoren zeigten sich bislang bockig. Der Führende saust noch immer durchs Universum und arbeitet an der Meteoriten-Fernsteuerung, überzeugt, dass ihm auch diese ultimative Führungstat eines Tages gelingen wird.