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Nie war es leichter, sich als Angehöriger der intellektuellen Unterschicht zu outen. Es reicht, die Welt moralisch binär in die absolut Guten und die absolut Bösen aufzuteilen, sich lauthals und demonstrativ auf die Seite der absolut Guten zu stellen und mit der Meute mitzuheulen gegen die absolut Bösen. Das ist besonders schön und wohlfeil, wenn es a) nichts kostet, b) ungefährlich ist, weil die absolut Bösen weit weg sind und c) weil es ein sonnenwarmes Herdengefühl gibt. Dieses Dazugehören, Solidarität demonstrieren, ohne einen einzigen Finger krumm zu machen, einen einzigen Rappen zu spendieren, was für ein seliges Gefühl, für das man sich auch nicht schämen muss. ‘Selig sind, die da geistlich arm sind’, hilft die Bibel tröstend den Dummies (Matthäus 5.3). – Diese Vereinfachung der komplexen Welt auf Binarität, Polarität, Schwarz-Weiss, Gut-Böse ist das Markenzeichen der ‘Einfachen im Geiste’, seit es Menschen gibt. Und regelmässig sind es emotionalisierte Massen, die davon befallen werden. Das aktuelle Geheul erinnert an das «Kreuzige ihn!», vom selben Volk geschrien, das den zu Kreuzigenden kurz zuvor noch mit Hosianna-Rufen feierte. Es erinnert an das reichsweite Geschrei gegen die Juden, das bis heute nicht verstummt ist und bei deren Vernichtung Millionen mitmachten. Es erinnert an das wohl dümmste «JA!», das je geschrien wurde, als Goebbels am 18. Februar 1943, als die deutsche Niederlage schon absehbar war, in seiner Sportpalastrede die Massen fragte: «Wollt ihr den totalen Krieg?» Dass Diktaturen wie die DDR oder Nordkorea die Bürger, die das Land verlassen wollen, als ‘Republikflüchtlinge’ erschiessen liess und lässt, ist das eine, aber dass sich massenweise Menschen finden, die die Mitbürger verraten und erschiessen, zeigt die Verbreitung dieser binären Sichtweise auf die Welt, wie sie die Dummies auszeichnet. Interessant ist, wie sich diese so einfach erkennbare Dummheit heute in höchste Ämter und durch die meisten Medien frisst. Unter allen möglichen ideologischen Etiketten wie Sprachzensur, political correctness, wokeness, cancel culture, no-platforming, ‘Antifa’, BLM, Genderaktivismus, Klimabewegtheit und natürlich die soeben durchlebte Hysterie rund um die Impferei zeigt sich immer wieder dasselbe Muster: es gibt nur eine richtige Meinung, die absolute Gültigkeit beansprucht. Alles andere ist absolut böse und falsch und muss ausradiert, weggemacht werden. Natürlich war die Aufklärung mit ihrer Differenzierung, dem Hinterfragen, der Debatte immer schon eine Überforderung der Dummies, aber dass sie so nachhaltig über Bord geworfen wird, mag doch erstaunen. Zurzeit wimmelt es von Dummies, die sich mit grossen Sprüchen in die Brust werfen und ihr Urteil über die schwarz-weisse Welt auf allen Kanälen von sich geben. Natürlich gibt das auch viel Anlass zum Schmunzeln, wenn die linken Armeeabschaffer jetzt plötzlich mit viel Pathos sofortige Aufrüstung verlangen, um die bösen Russen – sie sind ab sofort alle nur noch und ausschliesslich Boten der Hölle – in die Schranken zu weisen. Etwas weniger lustig ist es für Russen, die im Westen leben, als Künstler, Sportler, Unternehmer – sie kriegen jetzt das «Kreuziget sie!» des Mobs zu hören und werden beschimpft, mit Sippenhaftung belegt und ausgegrenzt. Unlustig finde ich auch, dass die Weicheier im Bundesrat die Neutralität aufgeben, um mitheulen zu dürfen, um sich nicht etwa allein zu fühlen im Konzert der Empörten. Denn Neutralität, nicht Partei ergreifen, dazwischen stehen und Vermittlungsdienste anzubieten, bräuchte Mut – ein Wort, das Dummies nicht einmal im passiven Wortschatz haben.

Tja, was ist zu tun? Ich empfehle den Nicht-Dummies, nicht mitzuheulen, sich nicht auf die binäre Ebene hinunterziehen zu lassen. Nicht nur beim Thema Ukraine, sondern überall. Ich empfehle, sich so umfassend wie möglich zu informieren, die Debatte zu suchen und Erkenntnisse zu sammeln – unter Nicht-Dummies, die man sofort daran erkennt, dass sie überhaupt zuhören, nüchtern, sachlich, emotionsfrei in die Debatte einsteigen und Argumente einbringen, die wiederum hinterfragt werden dürfen. Ich pflege die Emotionalisierten, die sich empört, entrüstet, entsetzt, betroffen, beleidigt, wütend, hasserfüllt Gebenden zu umgehen wie frisch gegüllte Felder, die ich zwar wahrnehme, aber in die ich mich nicht hineinsetze. Aber ich tue dies mit Schmunzeln, denn irgendwo muss die Gülle ja ausgebracht werden. – Zugegeben, der Vergleich hinkt ein wenig, denn Gülle ist ja nützlicher Dünger, was man von emotionalisierten Massen kaum sagen kann 😊.  

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6 Comments

  1. Avatar marpa

    Guido Tognoni

    Alles gut und recht und einigermassen subtil. Aber die Lage braucht keine feinfühlige Differenzierung von Grautönen. Ueber die Aktion dieses Kriegsverbrechers kann es keine zwei Meinungen geben. Wenn Du das nicht einsiehst, zähle ich mich gerne zu den Dummköpfen. Und der Bundesrat soll lieber Putin gegen sich haben (falls er überhaupt Kenntnisse von unseren Bekenntnissen nimmt) als die gesamte übrige Welt mit Ausnahme Lukaschenkos. Dass nun einige Russen zumindest kurzfristig einige Privilegien verlieren, ist der kleinere Kollateralschaden als die Zerstörung von unschuldigen Menschenleben und der Einfall in ein Nachbarland durch einen komplexbeladenen Diktator.

    • Avatar marpa

      Danke für dein Feedback, lieber Guido. Von ‚feinfühlig‘ war bei mir allerdings nie die Rede. Debatten haben m.E. nicht ‚fein‘ und schon gar nicht ‚fühlig‘ zu sein. Im Gegenteil: ich empfehle emotionslos, locker, offen, aufgeklärt, mit grösstmöglicher Meinungsfreiheit zu differenzieren. Sobald sich die Ratio einschaltet – bei jedem Thema – gibt es Grautöne, Dilemmata, Widersprüche und ‚Sowohl-als-auch‘-Argumente. Wenn die Ratio von Emotio übertüncht ist, gibt es diese Schwarz-Weiss-Fälle, wie du sie offenbar gerade erlebst. Das ist dir unbenommen, aber Gefühle gehören für mich in die Privatsphäre und sind nicht debattentauglich. Das kann durchaus ‚herzig‘ sein, z.B. wenn wir beide uns outen und ‚we love sports‘ aufs T-Shirt schreiben, aber eine erkenntnisfördernde Debatte ergibt sich kaum daraus.

  2. Avatar marpa

    ute

    Ich muss schmunzeln, Unterschicht, Oberschicht, wie schön sich selbst so ganz emotionslos der Oberschicht zuzurechnen.
    Ich bin zwar der Meinung es ist nicht friedensstiftend die Zugehörigen einer Nation in Sippenhaft zu nehmen um sich selbst auf die vermeintliche Gutmenschbrust klopfen zu können, gefahrlos und ohne das Lob der anderen Gutmenschen erwartend. Aber sonst?

    • Avatar marpa

      Ja, das Wort ‚Schicht‘ wird in den meisten Anwendungen auf Status, Geld, Macht bezogen und mag hier etwas gar arrogant wirken. Ich bezog es aber auf den Intellekt und da kann es durchaus hilfreich sein, wenn man sich etwas orientieren kann. Netter wäre gewesen, die Vertikale wegzulassen und nur Wegweiser auf der Horizontalen aufzustellen, also: Hier geht’s lang zu den emotionsschwangeren Binären, die genau besehen nicht einmal zwei, sondern nur eine einzige Sicht gelten lassen, eine Welt, die auf die Vernichtung aller Abweichler zielt. Und hier, bei diesem Wegweiser geht’s mehr in Richtung der debattierfreudigen, differenzierenden Alles-Hinterfragern, bei denen unendlich viele Schattierungen möglich, ja gewünscht sind, da so ein kreativer Erkenntnisprozess stattfinden kann. – Wie gerade jetzt: dank deinem Einwand werde ich das vertikal wertende Ober- und Unter- künftig durch horizontale Bilder ersetzen 🙂

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