Felix Vogg, du hast gerade die renommierte 5*-Prüfung von Luhmühlen gewonnen, dies bei respektabler Konkurrenz. Das ist grossartig, aber doch auch nicht ganz unerwartet, zumindest für mich. Du spielst seit vielen Jahren ganz vorne mit, warst bereits einmal Weltcupsieger, warst vorne klassiert in der 5* in Kentucky und hast mehrere 4* gewonnen, die letzte vor ein paar Wochen. Und du bist regelmässig in allen drei Disziplinen top. Der 5*-Exploit ist für mich die logische Folge und – jetzt lehne ich mich mal etwas aus dem Fenster – ich bin überzeugt, es wird nicht der letzte sein. – Wie siehst du das?
Lange habe ich es gar nicht versucht. Ich hatte meist nur ein Pferd auf Top-Level und musste es für die Championate bereithalten. Wenn man 5* reiten will, braucht man mehr als ein Top-Pferd. Eine 5* nimmt auch viel raus aus dem Pferd, physisch und mental. Dann ist es auch eine Frage des Pferdetyps. Man kann nicht mit jedem Pferd 5* gehen. Auch reiterseits braucht es genügend Erfahrung auf 4*-Level. Man muss sich sicher fühlen, bevor man den Schritt in die schwierigste Stufe macht.
Zurzeit habe ich das Glück, mit Cartania ein zweites 5*-bereites Pferd zu haben. Aber zurzeit ist der Plan, dass ich sie für die WM in Rom vorbereite. Zuerst darf sie jetzt aber nach Aachen und beide dann vielleicht noch Le Pin, wo wir ein ähnlich hügeliges Terrain haben wie in Pratoni. Ob dann Colero noch Pau geht, ist völlig offen. Ich habe manchmal etwas Mühe mit gewissen Kursen in Frankreich. Natürlich darf man schwer bauen, aber die Aufgaben sollten für die Pferde möglichst immer lesbar, verstehbar sein.
Wann und wie oft gehst du auf welchem Level an den Start?
Lieber zurückhaltend mit der Anzahl Starts und nur auf einer Stufe, für die ich so gut vorbereitet bin, dass ich in die Top Ten reiten kann. Natürlich klappt das nicht immer, aber wenn ich nur gerade knapp soweit bin, dass ich vielleicht und mit viel Glück die Prüfung beenden kann, dann warte ich lieber zu und arbeite weiter, bis ich in allen drei Disziplinen soweit bin. Für mich ist es auch eine Frage der Fairness, die Pferde nicht alle zwei Wochen über grosse Kurse zu jagen. Auch wenn sie leistungsbereit und fit sind, nimmt das doch einiges raus und braucht Verarbeitungs- und Erholungszeit. Ich habe nicht so viele Pferde und will ihnen Sorge tragen.
Reizen dich die grossen Klassiker in England wie Badminton und Burghley?
Wenn alles rund läuft, kann Cartania nächstes Jahr wahrscheinlich entweder Badminton oder Burghley laufen. Aber es sind schon sehr spezielle Prüfungen, bei denen es auch immer wieder zu unerwarteten Siegern kommt.
Ist die tolle Schimmelstute Cayenne wieder fit?
Cayenne ist wieder in der Arbeit, aber sie muss dieses Jahr keine Prüfung mehr laufen und darf über den Winter nochmals auf die Weide. Ich hoffe, dass sie nächstes Jahr wieder dabei ist.
Wie sieht es mit weiteren Nachwuchspferden aus?
Dao l’Ocean muss auf 2*-Stufe noch etwas Routine sammeln. Er hat – wie viele andere junge Pferde – wegen Corona einiges verpasst. Dann habe ich noch drei vielversprechende 6-Jährige in Arbeit, Kilcooley Kalbarri, die Stute Zucker aus der Zucht von Marina Köhnke und den Iren Dumhanny Beach.
Dann ist da noch die faszinierende Frieda (Casalito x Heraldik), die aber bereits 9 ist. Sie ist hochtalentiert und hat alles drin, aber sie hatte grosse Angst vor anderen Pferden auf demselben Platz und ist jetzt vorübergehend in einer Schulung, wo sie lernt, damit umzugehen. Onfire hatte das auch, aber in den USA hatten wir viel grössere Abreitplätze, da wurde es nicht so akut.
Ich habe dich bereits als Ponyreiter bewundert. Schon damals hattest du ein erstaunliches Zeitgefühl, kamst oft auf die Sekunde genau in der Idealzeit ins Ziel. Woher hast du das? Antrainiert oder in die Wiege gelegt? Die Zeit ist ein entscheidender Erfolgsfaktor im Gelände. Etwas, was die anderen Schweizer eigentlich erst mit Andrew Nicholson gecheckt und verinnerlicht haben.
Mich hat es immer fasziniert, wenn Reiter die Zeit im Griff hatten, darum versuchte ich es zu kopieren. ‘Im Griff’ heisst, weder zu schnell, noch zu langsam zu reiten. Für mich ist es unverständlich, 10 Sekunden zu schnell zu reiten. Im Training reite ich natürlich langsamer und Dirk Schrade versuchte einmal, mir das ‘in-die-Zeit-Reiten’ sogar am Turnier abzugewöhnen. Er findet es besser, wenn man es zuerst ruhig angeht auch in der Prüfung. Aber letztlich geht es immer wieder darum, den richtigen Grundrhythmus zu finden, von dem aus man dann je nach zu reitender Aufgabe die Galoppsprünge verlängert, z.B. für eine weite Distanz, oder sie verkürzt, z.B. bei anspruchsvollen Wendungen oder terrainmässigen Schwierigkeiten wie beim klassischen Coffin – nur um dann so schnell wie möglich wieder den Grundthythmus zu entwickeln. Wenn man das immer wieder bewusst trainiert, kommt man auch nach dem Start viel schneller in diesen Grundrhythmus, und nicht erst nach mehreren ‘Einlauf-Sprüngen’.
Lange ritten deine beiden Brüder auch in internationalen Prüfungen. Aber keiner tat es mit soviel Biss, Ernsthaftigkeit und Durchhaltevermögen. Hat dich die familieninterne Konkurrenz motiviert?
Es hätte mich gefreut, wenn man sich in der Familie gegenseitig mehr über die Erfolge der andern gefreut hätte. Egal welches Familienmitglied etwas gewinnt, es ist doch ein Erfolg für uns alle und man gönnt es jedem gleich. Die Reiterei war der einzige Bereich, in dem ich einigermassen respektiert wurde. Es wurden aber auch immer schon höhere Anforderungen an mich gestellt. Einmal ritten wir alle drei in derselben Prüfung. Christian wurde etwa 20ster, Ben 10ter, beide wurden frenetisch gefeiert. Ich wurde 5ter und man fragte besorgt: «Was war denn los?» Ich musste also immer schon besser sein als die andern, um mir etwas Anerkennung zu verdienen. Mir wäre es natürlich lieber gewesen, wenn man mir meine Reiterei etwas mehr gegönnt hätte. Aber gut möglich, dass diese höheren Anforderungen, die an mich gestellt wurden, mich auch angetrieben haben, noch härter zu arbeiten.
Wie gehst du mit Druck um? Der Druck im Parcours in Luhmühlen war doch gewaltig? Hast du Techniken oder Tricks – oder bist du wirklich so cool, dass du das einfach so reitest wie einen Parcours zuhause? So sah es nämlich aus.
Bei Reitern wie Oliver Townend, der manchmal 36 Pferde am Tag reitet, ist es fast schon Alltag, eine 5* zu reiten. Bei mir ist es etwas Besonderes. Also war ich schon vor dem abschliessenden Springen sehr glücklich über den Prüfungsverlauf und hätte es gut akzeptieren können, wenn ich auch nur 5. geworden wäre. Der Druck war am Vortag eigentlich grösser: Ich wusste, dass ich Null reiten musste im Gelände, wenn ich vorne dabei bleiben wollte. Als dies gelungen war, war auch der Druck etwas weg. Vor dem Springen ist es auch wichtig für mich, dass ich mich ganz auf die Aufgabe konzentrieren kann und nicht mehr viele Impulse von aussen verarbeiten muss. Diesmal gelang es gut, auch all die gutgemeinten Ratschläge zu ignorieren und mich auf den Job zu fokussieren. Ich beobachtete, wie andere sprangen, sah die Fehlerquellen und konnte meinen Plan abstimmen. Und ein gewisses Mass an Druck finde ich sogar gut. Er hilft mir, mich zusammen zu reissen und zu versuchen, das Beste abzuliefern, was mir gerade möglich ist.
Rein anforderungsmässig ist 5* Luhmühlen natürlich anspruchsvoller und der Sieg damit bedeutender als die WM in Pratoni, die ja wie die meisten Championate wahrscheinlich eher freundlich gebaut sein wird, damit auch Reiter aus weniger bekannten CC-Nationen drüberkommen. Aber für die breite Öffentlichkeit ist eine WM natürlich viel wichtiger und ein gutes Abschneiden ruhmreicher. Wie schätzt du die Chancen der Schweiz ein, sowohl für die Einzel- wie die Teamwertung?
Die WM auf direktem Weg kann durchaus schwer sein. Die letzten beiden waren es. Der Unterschied zur 5*-Prüfung ist, dass du in der 5* keine Alternativen hast. Wenn du irgendwo anstehst, scheidest du aus. Bei einer WM hast du Alternativen für die schwächeren Paare. Die diesjährige WM in Pratoni wird vom Geländeprofil her sehr anspruchsvoll werden, was auch wieder gut ist und die Chance erhöht, dass sie nicht im Dressurviereck entschieden wird. Die Schweiz hat durchaus eine Chance auf eine gute Team-Klassierung, wenn im Vorfeld und an der Prüfung die richtigen Management-Entscheide getroffen werden. Welches Paar reitet welche Prüfung wie schnell in der Vorbereitungszeit, wer wird aufgrund welcher Leistungen selektioniert, welche Reihenfolge innerhalb des Teams verspricht am meisten Erfolg. Top-Manager wie Chris Bartle und Hans Melzer haben über viele Jahre gezeigt, wie delikat, anspruchsvoll und oft matchentscheidend solche Entscheide sein können.
Worauf schaust du, wenn du junge Pferde aussuchst? Was ist dir am wichtigsten?
Ich hatte schon immer die unselige Eigenschaft, mir immer die schwierigsten Pferde auszusuchen. Offenbar brauche ich diese Herausforderung. Vielleicht will ich etwas fertig bringen, was andere bislang nicht geschafft haben?
Der australische Eventreiter Paul Tapner erkundigte sich nach mit bei Kevin McNab, weil er fand, ich könne die vermeintlich unhaltbare Cartania bestimmt nicht reiten. Kevin verkaufte sie mir dann doch und ich ritt sie provokativ das erste halbe Jahr nur auf Wassertrense – und es ging. Cayenne kaufte ich von einer Finnin, die immer ausschied mir ihr. Ich ritt sie gleich 4* und gewann. Wenn Hansueli Schmutz und meine Mama jeweils von einer Einkaufstour aus Irland etwas anschleppten, waren es auch meist eher schwierige Pferde. So wurde es fast schon zur Gewohnheit.
Aber wenn ich selber auslesen kann, dann richte ich das Augenmerk auf Stabilität und Zähigkeit im Körper und Geist. Ich achte darauf, ob sie arbeitsfreudig sind und auch akzeptieren, dass man manchmal etwas mehr, länger, intensiver arbeiten muss. Klar müssen sie gut springen, aber nicht übervorsichtig.Vom Alter her habe ich am liebsten 5- oder sogar 6-Jährige, also nicht rohe, ungerittene Pferde. Ich will sie schon bei der ersten Begegnung reiten können. Der Vollblutanteil ist meines Erachtens nicht allein entscheidend, wichtiger ist die rasche Regeneration vom Crosstag zum Springtag. Natürlich beachte ich den Blutanteil, aber Blut ist nicht gleich Blut. Ich achte auf Blut aus alten, bewährten Linien, das Zähigkeit, Ausdauer, Gesunderhaltung verspricht. Wenn wir moderne Top-Pferde anschauen wie Tom McEwens Toledo oder Laura Collets London, dann sind es toll bemuskelte Kraftmaschinen mit um die 50% Vollblutanteil. Colero hat mit seinen 41.6% vielleicht fast etwas wenig im Vergleich zu Turbo-Frieda mit 58%. Cartania wirkt sehr ‘blütig’ mit ihren 45%. Natürlich können 10% mehr oder weniger sehr viel ausmachen. Aber der internationale Vergleich zeigt: die besten heutigen Vielseitigkeitspferde sind meist so rund um 50% Vollblutanteil. Nicht alle Zuchtländer haben das so gut begriffen wie die Franzosen. Mit ihrem Mix von Selle français und Angloaraber bringen sie immer wieder herausragende Pferde in den Sport.
CC-Profis können nicht von den Preisgeldern leben, und die meisten haben noch weitere ökonomische ‘Standbeine’ je nach Infrastruktur: Einsteller, Unterricht, Pferdehandel. Und die meisten machen etwas davon am liebsten. Wie ist das bei dir?
Ich gab sehr viel Unterricht noch vor Tokio, habe mich anschliessend aber etwas zurückgezogen. Hauptziel für jeden Profi ist natürlich das Ausbilden und Vorstellen der Pferde im Sport. Das geht aber nur mit guten Pferdebesitzern, die mir glücklicherweise ermöglichen, mich hauptsächlich auf das Ausbilden und Reiten zu konzentrieren. Ich unterrichte durchaus gern, wenn die Schüler echtes Interesse zeigen und besser werden wollen. Pferdehandel hingegen fällt mir eher schwer. Wenn man davon leben will, ist die Gefahr gross, dass man Mängel kleinredet oder vertuscht. Das kann und mag ich nicht. Aber Pferde vermitteln, einen begabten Reiter mit dem passenden Pferd verkuppeln, das macht durchaus Spass.
Felix, herzlichen Dank für das Gespräch – und good luck bei all den Highlights, die noch kommen
Ute
Sehr schönes Portrait.
Ich wünsche weiterhin viel Erfolg und auch das Glück ohne Verletzung von Pferd und Mensch den Weg weiter zu reiten.