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Roswitha hatte ihr Leben so schnell erledigt, dass sie schon in jungen Jahren an die Himmelspforte kam und ungeduldig klopfend um Einlass bat. Sie wollte sich schon über den schlampigen Portierdienst ärgern, als sie gemächliche Schritte sich nähern hörte – aber erstaunlicherweise nicht von innen, sondern von aussen. Rasch fuhr sie herum und sah eine lächelnde Frau auf sich zukommen, die einen merkwürdigen Umhang aus lauter Pflanzen trug. Als sie näherkam, sah Roswitha mit Befremden, dass sich unzählige kleine Lebewesen in dem Gewächsumhang bewegten. Misstrauisch fuhr sie die lächelnde Frau an: „Können SIE mich da bitte reinlassen? Ich warte schon ewig!“ Die Frau hörte nicht auf zu lächeln und lud das ruhelose Wiesel mit einer freundlichen Geste ein, ihr zu folgen. Sie machte aber keine Anstalten, das grosse Himmelstor zu öffnen, sondern ging mit lautlosen Schritten zu einem hellen Wintergarten, in dem es von Pflanzen nur so wimmelte. Roswitha sah hunderte von Blumen, die sich öffneten und einen ihr unbekannten Duft verströmten, als sie mit der merkwürdigen Frau eintrat. Nervös trippelte Roswitha herum und fragte, wozu das alles gut sei und was jetzt laufe. Die lächelnde Frau bedeutete ihr, sich hinzusetzen und zeigte auf eine weisse Fläche mitten in den Pflanzen, auf der ein Film zu laufen begann. Aber eigentlich war es gar kein Film, sondern eher ein Theaterstück, auf jeden Fall wirkte das Geschehen dreidimensional und irgendwie ‚echt‘. Gespielt wurde die Geburt eines Wiesels – und bei näherem Hinsehen erkannte Roswitha, dass die Gebärende ihre eigene Mutter war. Schwupps – schon lag das blitzgeborene weisse Wieselbaby auf dem sorgsam mit Blättern ausgelegten Höhlenboden – nochmals Schwupps – und schon rappelte sich das kleine Wieselchen auf die Beine und begann herum zu stolpern. Roswitha strahlte stolz und sagte hastig zur lächelnden Frau: „Sehen Sie, ich war schon immer die Schnellste, darum bin ich auch schon hier!“

Die lächelnde Frau schaute ihr lange in die Augen, bis es Roswitha ungemütlich wurde, und fragte dann mit einer wunderbar warmen, für eine Frau recht tiefen Stimme: „Und wann hast du geliebt?“ – Roswitha überlegte nicht lange und sprudelte los: „Ach ich liebte es immer schnell zu sein, zuerst fertig zu sein, beim Spiel zu gewinnen, obenauf zu schwingen, schlauer zu sein als die andern; wenn es irgendwo irgendetwas zu holen gab, was mir nützte, so war ich stets die Schnellste und schnappte es mir!“ kicherte das Wiesel. – Nach einer fast unangenehm langen Pause wiederholte die lächelnde Frau ihre Frage, allerdings mit einer klitzekleinen Veränderung: „Und wen hast du geliebt?“ – Roswitha liess sich nicht verwirren und antwortete ohne Umschweife: „Alle! Also alle, die mir nützten, die mir etwas schenkten, die für mich irgendetwas machten, mir halfen – und das waren doch recht viele!“ – Die lächelnde Frau zeigte wieder zur Mitte des Raums, wo sich das Filmtheater fortsetzte. Man sah ein hübsches weisses Wiesel mit triumphierender Miene auf einem schwarzen Ziegenbock sitzen und ihn mit einem Stöcklein vorwärts treiben. Der Ziegenbock tat seinem Namen Ehre an und bockte herum, aber das Wiesel liess sich nicht abwerfen und schaffte es schliesslich mit ein paar gezielten Hieben, den frechen Ziegenbock in die Richtung zu lenken, die es ihm vorgab. Roswitha platzte fast vor Stolz bei diesen Bildern und sagte mehr zu sich als zur lächelnden Frau: „Ja das Reiten habe ich immer geliebt, besonders auf ungezogenen Böcken!“
Unbeirrt wiederholte die lächelnde Frau ihre Frage, wiederum mit einer kleinen neuen Nuance: „Und wie hast du geliebt?“ – Roswitha schüttelte den Kopf über die Begriffsstutzigkeit der Fragerin. „Aber das sieht man doch? Ich habe immer schnell gearbeitet, war im Stall stets die Schnellste mit Misten, Füttern, Putzen und Bewegen der Reitziegen, damit Zeit blieb für andere Dinge, die auch erledigt sein mussten und die ich auch möglichst schnell erledigte, damit ich wieder Zeit gewann für die Ziegenreiterei und so weiter…“
„Und was ist geworden aus deiner Liebe? Ist daraus Neues entstanden?“ fragte die immer noch lächelnde Frau. „Ich habe viel gewonnen, ich war zeitenweise das beste ziegenreitende Wiesel weit und breit; reiche Altwiesel gaben mir die besten Ziegen in Beritt – und einige von ihnen durften mit mir an richtig grossen Treffen von Ziegen aus aller Welt teilnehmen. Das war natürlich toll! – Aber Neues? Na ja, für kleine Wieselkinder hat schlicht die Zeit nicht gereicht!“ – „Die Zeit? Oder die Liebe?“ fragte die lächelnde Frau und zeigte nochmals auf die Bühne, wo sich eine Prozession von Tieren auf dem Weg zum Friedhof befand, wo ein alter Elch eine Trauerrede hielt auf das früh abgetretene Wiesel, die mit den Worten schloss: „Ihr fehlte die Liebe, um aus der Zeit Liebeszeit zu machen. Hoffen wir, dass sie sie jetzt gefunden hat.“
Als Roswitha das hörte, begann sie bitterlich zu schluchzen. Die lächelnde Frau legte ihr tröstend den Arm um die Schultern. „Aber ich wollte doch… ich musste stets… woher hätte ich denn die Zeit nehmen sollen?“, stotterte das Wiesel. – „Nicht die Zeit, die Liebe zählt. Zeit ist nur dazu da, damit sich in ihr Liebe entfalten kann. Geh nochmals hinunter auf die Erde und versuche zu lieben. Du hast alle Zeit der Welt dazu“, sagte die lächelnde Frau und verschwand so ruhig, wie sie gekommen war. Roswitha aber trocknete die Tränen, rappelte sich auf und machte sich trotzig auf den Rückweg: „Das haben wir gleich erledigt! Wäre ja gelacht, wenn ich da nicht die Schnellste wäre…“

Roswitha hatte ihr Leben so schnell erledigt, dass sie schon in jungen Jahren an die Himmelspforte kam und ungeduldig klopfend um Einlass bat. Sie wollte sich schon über den schlampigen Portierdienst ärgern, als sie gemächliche Schritte sich nähern hörte – aber erstaunlicherweise nicht von innen, sondern von aussen. Rasch fuhr sie herum und sah eine lächelnde Frau auf sich zukommen, die einen merkwürdigen Umhang aus lauter Pflanzen trug. Als sie näherkam, sah Roswitha mit Befremden, dass sich unzählige kleine Lebewesen in dem Gewächsumhang bewegten. Misstrauisch fuhr sie die lächelnde Frau an: „Können SIE mich da bitte reinlassen? Ich warte schon ewig!“ Die Frau hörte nicht auf zu lächeln und lud das ruhelose Wiesel mit einer freundlichen Geste ein, ihr zu folgen. Sie machte aber keine Anstalten, das grosse Himmelstor zu öffnen, sondern ging mit lautlosen Schritten zu einem hellen Wintergarten, in dem es von Pflanzen nur so wimmelte. Roswitha sah hunderte von Blumen, die sich öffneten und einen ihr unbekannten Duft verströmten, als sie mit der merkwürdigen Frau eintrat. Nervös trippelte Roswitha herum und fragte, wozu das alles gut sei und was jetzt laufe. Die lächelnde Frau bedeutete ihr, sich hinzusetzen und zeigte auf eine weisse Fläche mitten in den Pflanzen, auf der ein Film zu laufen begann. Aber eigentlich war es gar kein Film, sondern eher ein Theaterstück, auf jeden Fall wirkte das Geschehen dreidimensional und irgendwie ‚echt‘. Gespielt wurde die Geburt eines Wiesels – und bei näherem Hinsehen erkannte Roswitha, dass die Gebärende ihre eigene Mutter war. Schwupps – schon lag das blitzgeborene weisse Wieselbaby auf dem sorgsam mit Blättern ausgelegten Höhlenboden – nochmals Schwupps – und schon rappelte sich das kleine Wieselchen auf die Beine und begann herum zu stolpern. Roswitha strahlte stolz und sagte hastig zur lächelnden Frau: „Sehen Sie, ich war schon immer die Schnellste, darum bin ich auch schon hier!“

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