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 Vorbemerkung

Nicht nur, aber auch im Pferdesport wird immer wieder wild nach Sicherheit geschrieen, meist von gebrechlichen Tattergreisen oder hypersensiblen Muttis, die sich entweder nicht an die eigenen Jugendtaten erinnern können, weil die Demenz schon im Vormarsch ist oder weil da tatsächlich gar nichts ist, woran sie sich erinnern könnten, da sie schon als ängstliche Langweiler und Stubenhocker aufgewachsen sind. Selbstverständlich ist das Geschrei immer gut gemeint. Aber oft ist das Gegenteil von ‚gut‘ gar nicht ’schlecht‘, sondern ‚gut gemeint‘. Wenn bürokratische Apparatschiks in klimatisierten Räumen am 13. Monatslohn lutschend herausfinden, dass der Schutz der Wohnbevölkerung vor so was Ekelhaftem wie Pferdedung und so was Ohrenbetäubendem wie einem Wiehern am besten gewährleistet wäre, wenn man die ganzen Pferdeanlagen ins Industriegebiet auslagert, so ist auch das womöglich ‚gut gemeint‘ und im Namen der Sicherheit. Wo kämen wir denn hin, wenn da sich da spielende Kinder infizieren könnten beim Kontakt mit den braunglänzenden Äpfeln. Dann doch lieber eine schöne Prise Diesel, bevor man sich vom Lastwägelchen platt walzen lässt. Weder die Apparatschiks noch die Tattergreise lassen es aber beim Schutz ihrer selbst und ihresgleichen bewenden. Nein, die unvernünftige Jugend soll vor sich selbst geschützt werden, mit Gesetzen, Vorschriften, Obligatorien, Einschränkungen – und mit ‚political correctness‘ in der Sprache, in den Medien, überall, um jeden Preis. Ähnlich wie beim deutsch-liechtensteinischen Steuer-Theater ist jedes Mittel recht, um zum Erfolg zu gelangen, auch Petzen, andere Anschwärzen in Leserbriefen und Redaktionskommissionen. Beim Reitsport ist es besonders grotesk: bald werden wohl auch Voltigiererinnen, Dressur- und Westernreiter Vollhelme und Airbag-Schutzwesten tragen müssen. Und wehe ein Apparatschik reist nach Spanien und sieht dort die Picadores mit ihren Pferden, die vor den Stierhörnern mit grossen Bastmatten geschützt sind – es wird garantiert obligatorisch für jeden Fribi, der im hinteren Chlapfbodenalptal die Milchtause zur Hütte bringt.
Die in Helvetien besonders grassierende manische Sicherheitsversessenheit bewog mich, etwas grundsätzlicher über das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit nachzudenken.

Ein Volk von Angsthasen…

Die Schweizer gelten heute als das ängstlichste Volk der Welt. Nirgends wird mehr Geld für Versicherungen, Sicherheitsanlagen, Schutzbauten, Alarmanlagen, Schlösser ausgegeben. Nirgends ist Sicherheit ein so omnipräsentes Thema wie in der Schweiz. Kein Politiker, der nicht sein Geschäft mit der Angst in Schwung brächte, indem er von Sicherheitsdefiziten, Sicherheitsrisiken und Sicherheitsgarantien lallte. Politik, Wirtschaft, Medien – ja die ganze Gesellschaft tanzt die ganze Zeit um das goldene Kalb der Sicherheit. Am absurdesten wird es dort, wo Sicherheit in einem Atemzug mit Freiheit genannt wird, so wie wenn beides im Multipack zu haben wäre. Dabei handelt es sich um veritable Gegensätze: je mehr Sicherheit, desto weniger Freiheit – und umgekehrt. Denn Sicherheit bedeutet immer Einschränkung der Freiheit, sei es die Freiheit der Bewegung, des Austauschs, der Spontaneität, des Handelns, des Denkens, des Seins.

Sicherheit?

Sicherheit heisst Mauern, Schlösser, Riegel, Alarm, Regeln, Schranken, Verbote, Verschlossenheit aussen und innen, Einschränkungen des Handelns und Denkens, absolut gesetzte Normen und ‚Wahrheiten‘, Besetzung des Diskurses, Fremdbestimmung in allen Facetten, Egalitarismus, Versicherung gegen alles, was irgendwie überraschend sein könnte, Erstickung des Abenteuers, Kanalisierung, Verflachung des Lebens.

Freiheit?

Freiheit hingegen heisst Abenteuer, Unsicherheit, Überraschung, Unwägbarkeit, Spannung, Reiz, Offenheit, Risiko, Autonomie des Denkens und Handelns, Selbstbestimmung der Wahrnehmung und ihrer Interpretation, der Identitätsbestimmung, des Diskurses, der Werte und Ziele – natürlich alles unter Inkaufnahme des Scheiterns.

Aus Sicht des Freiheitlich-Autonomen geht es darum, als Individuum und als Kollektiv die uns gemässe Balance zwischen Freiheit und Sicherheit, zwischen Chaos und Überregelung, zwischen Nichts-Planen und Alles-Planen, zwischen Faustrecht und Diktatur, zwischen maximaler Eigenverantwortung im Nachtwächterstaat und totaler Verantwortungslosigkeit im sozialistischen Fürsorgestaat zu finden. Der freiheitsliebende Mensch will auch diese Entscheidung so weit wie möglich selbst treffen oder zumindest so stark wie möglich beeinflussen, wenn es um die Balance des Kollektivs geht. Der Sicherheits-Freak hat grundsätzlich Angst, auch vor Entscheidungen. Er überlässt sie – aus Sicherheitsgründen natürlich – am liebsten den Experten, den Sicherheitsexperten. Sie sollen am besten gleich für alle bestimmen, wie viel Sicherheit obligatorisch sein soll. Es darf nicht verwundern, wenn die Entscheidung der Sicherheitsexperten auf eine Maximierung der Sicherheit bei gleichzeitiger Minimierung der Freiheit hinausläuft.

Schutz vor sich selbst als Kriterium

Natürlich gibt es alle Abstufungen und Schattierungen zwischen den Extremen. Als Unterscheidungskriterium, zu welcher Sorte man sich selbst eher zählen soll, eignet sich das Thema ‚Schutz vor sich selbst‘. Wer dafür ist, dass die andern, der Verein, der Verband, der Staat, generell das Kollektiv ihm die Entscheidung abnehmen soll, wie weit er sich selbst schützen soll, gehört wohl eher zu denjenigen, die der Sicherheit eine hohe Priorität einräumen. Wer hingegen in jeder Lage darauf besteht, die Entscheidung für das Mass an Sicherheit selbst treffen zu wollen, gewichtet die Freiheit höher. Im durchorganisierten Sozialstaat ist die Pönalisierung des Eigenrisikos längst weit gediehen. Wer irgend etwas wagt, was nicht der allgemeinen Norm entspricht, wird bestraft mit der faulen Ausrede, das Kollektiv müsse ihn aus dem Sumpf ziehen, nach dem Absturz suchen, für teures Geld zusammenflicken. Dazu komme das schlechte Beispiel, mit dem er weniger Waghalsige verführe. Die Sicherheits-Freaks setzen alles daran, dass Normen erlassen werden, die jegliche Freiheit ersticken. Sie kaschieren ihre Angst, ihre Feigheit hinter der Sorge um das Gemeinwohl und das Bruttosozialprodukt. Der tiefere Beweggrund ist meistens Neid, Eifersucht, Missgunst und Selbsthass. Sie verachten sich tief im Innern selbst dafür, dass sie nicht mehr Mut haben, dass sie so angstvoll jede Minute ihres Lebens, jede Bewegung planen und absichern müssen, dass sie nur ruhig schlafen können, wenn sie mit Vermögen und sieben Säulen Altersvorsorge abgesichert in ihren dicken Mauern hinter Sicherheitsschlössern abgeschottet vor dem Puls des Lebens vor sich hindämmern, von der eigenen Fadheit gelangweilt, die andern damit langweilend. Sie wissen um ihre Blässe, um ihre Leblosigkeit – und können doch nichts ändern daran, weil es Mut braucht, irgend etwas zu ändern und genau das ihnen ja gerade fehlt: ein Teufelskreis der Mutlosigkeit. Das Einzige, was sie können, ist zu versuchen, den Freiheitlichen, den Autonomen ihr Glück zu vermiesen durch Zwänge, Obligatorien, Normen, Einschränkungen. Doch der Versuch ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, denn Freiheit ist wie Wasser, wie Luft, wie Liebe, sie durchdringt alles, findet jede Ritze, jede Lücke. Der Drang nach Freiheit und der Mut zum Abenteuer sind Archetypen des Lebens, die auch vom übelsten, überregeltsten Kollektiv nie ganz ausgerottet werden können.

Erziehung zum Ungehorsam?

Lassen wir also die Angstvollen, die frustrierten Überversicherten uns verpetzen, wir hätten irgend etwas Unsicheres, Abenteuerliches, die Gesundheit und das ewige Weiterleben bis zur Demenz Gefährdendes getan. Lassen wir sie Leserbriefe schreiben, wir hätten irgendwann auf dem Dreirad keinen Helm, beim Sägen keinen Gehörschutz, beim Holzspalten keine Stahlkappenschuhe, beim Sex kein Kondom, beim Vogelgrippe-Alarm keine Schutzmaske getragen. Spielen wir die Zerknirschten, die Reumütigen, um den Petzern wenigstens diese klitzekleine Befriedigung zu gewähren, denn was sie gar nicht ertragen würden, wäre unser gelassenes Lächeln, wenn sie uns an den Pranger stellen, so sie doch das Recht auf ihrer Seite wissen, wo sie doch mitgeholfen haben, die Freiräume immer mehr zu verkleinern, immer noch etwas einzuschränken, zu verbieten. Die Pferde in die Industriezone, die Reiter nur noch auf bestimmten Wegen und in obligatorischer Ausrüstung mit genormten Lämplein und Hupen nach Euro-Norm – sollen sie. Die äussere Freiheit, im Galopp irgendwo durch die Prärie zu sausen, werden sie uns so wenig nehmen können wie die innere Freiheit, auch den Bruch irgend einer als dumm erkannten Regel als Glück zu geniessen. Vielleicht kommt eine Zeit, wo die Erziehung sich vermehrt mit der Anleitung zum Ungehorsam beschäftigen muss als mit dem Gegenteil.

Wie war das gleich bei Tell?

Bei den alten Eidgenossen war das noch nicht nötig gewesen. Wären sie angstvolle Sicherheits-Freaks gewesen, gäbe es wohl heute keine Schweiz. Sie waren mutig, autonom, frech und bereit, gegen aufgezwungene Normen zu rebellieren – und das nicht nur mit der Feder. Und wie war das genau mit unserem Gründungsmythos, auf den wir so stolz sind? Trug der Walterli eigentlich einen Helm, als Vater Tell ihm den Apfel vom Kopf schoss? Das gab es doch zur guten alten Ritterzeit auch schon? Aber wahrscheinlich noch nicht obligatorisch.

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