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‘Vemenschlichung nennen wir es, wenn menschliche Gefühle und Bedürfnisse auf Tiere übertragen werden’, schreibt die Kavallo-Chefredaktorin in ihrem Editorial der Ausgabe 5/22. Mit dieser Definition sind wohl 99% der Tierfreunde und Tierhalter nicht einverstanden. Das Bedürfnis nach Nahrung, nach Schutz vor den Unbilden der Witterung, nach Geborgenheit, Zuwendung, nach sinnvoller Arbeit, nach ‘artgemässer Haltung’, nach Knuddeln und Kuscheln, nach Spiel und Spass, nach ‘Lob der Schöpfung’, z.B. durch Musik, Gesang oder Wolfsgeheul, die Liste von Bedürfnissen, die wir Menschen mit den meisten Tieren – und ganz sicher mit den Hunden, von denen im Editorial die Rede ist – , gemeinsam haben, liesse sich beliebig verlängern. Natürlich gibt es auch menschliche Bedürfnisse, die in der Tierwelt kaum oder gar nicht vorkommen, so z.B. das Bedürfnis, andere zu betrügen, zu heucheln, zu quälen, sie ohne Not und auch innerhalb derselben Art gegenseitig umzubringen und den eigenen Lebensraum zu vergiften, zu verbrennen, zu vernichten, das Bedürfnis, aufgrund von unterschiedlicher Herkunft, Haut- bzw. Fell- oder Gefiederfarber einander die Köpfe abzuschlagen – auch diese Liste der dem Menschen vorbehaltenen ‘Bedürfnisse’ liesse sich bestimmt verlängern. Also muss man genauer hinschauen.

Bei den menschlichen Gefühlen gibt es auch viele, die wir gemeinsam haben mit den Tieren. Allen voran Zuwendung, Liebe, Treue, Vertrauen, Abenteuerlust, Spielfreude, aber auch Misstrauen, Neid, Eifersucht, Angst, Abwehrbereitschaft. Und es gibt natürlich Gefühle, die bislang nur beim Menschen beobachtet wurden: Hass, Fanatismus, Fremdschämen, Masochismus, Pathos, moralisches Überlegenheitsgefühl, Verachtung, Verbitterung. Auch diese Liste ist unvollständig, aber es geht hier nur darum, zu zeigen, wie undifferenziert die eingangs zitierte Definition der ‘Vermenschlichung’ ist, und sie durch eine bessere zu ersetzen oder – mein Vorschlag – das Wort zu den historischen Begriffen ins Archiv zu verschieben und nicht mehr zu benutzen. Denn es stammt aus einer Zeit, als die Welt zweigeteilt wahrgenommen wurde: Auf der einen, der oberen Seite der ‘nach dem Bilde Gottes’ geschaffene Mensch, der über allem  thront und herrscht – und drunter die Restwelt, Fauna, Flora, das Mineralreich, Berge, Meere, Luft, Planeten und Galaxien. Und die Zweiteilung war klar hierarchisch: oben der Mensch, unten die Restwelt, die es dann irgendwann wenigstens zur ‘Umwelt’ schaffte, also zum ‘Drumherum’ um den Menschen, aus dem er sich nährte und bediente. Die Sorge um diese ‘Umwelt’ bestand dann geraume Zeit nur darin, sich den Selbstbedienungladen ‘Restwelt’ weiterhin langfristig nutzbringend zu erhalten. – Diese intellektuell ziemlich bescheidene Haltung wurde eigentlich bereits von Darwin in Frage gestellt, der zeigte, dass der Unterschied zwischen Mensch und Restwelt, insbesondere zwischen Mensch und Säugetier keineswegs gross, grundsätzlich oder gar unüberwindbar ist, sondern dass im Gegenteil nahe und nächste Verwandtschaften bestehen. Die moderne Verhaltensbiologie, die Ethologie und weitere verwandte Wissenschaftszweige bringen jeden Tag neue Erkenntnisse, die zeigen, wie viele Tiere nicht nur über Gefühle wie Freude und Schmerzempfinden, über erstaunliche Intelligenz, sondern auch über ein Ich-Bewusstsein, über analytisches Denkvermögen, über Kombinatorik und grosse Lern- und Lehrfähigkeiten verfügen. Noch viel bedrohlicher für die Anhänger des alten Weltbildes sind Experimente aus der Biologie, die eine erstaunlich hohe Intelligenz bereits auf dem Niveau einzelner Zellen belegen. Dann könnte es sogar sein, dass das ‘Ganze’, der Mensch, zumindest intellektuell oft weniger ist als die Summe seiner Teile, der Zellen.

Bei immer mehr Menschen kippt nun langsam diese überholte Vorstellung einer Hierarchie mit dem Menschen ganz oben und nähert sich einer Einstellung, bei der wir uns als Teil und auf Augenhöhe mit einer reichen Mit-Welt wahrnehmen. Der Versuch, unsere Nase bzw. das Decodieren von Gerüchen mithilfe von Maschinen zu verfeinern, wäre dann aus Sicht der Hunde eine unzulässige ‘Verhundlichung’, die sich der Mensch anmasst, die Flugzeugfliegerei eine ‘Vervogeligung’ und die U-Boote eine ‘Verfischlichung’. Spülen wir doch diese pauschalisierenden Begriffe, die nicht mehr in eine Mit-Welt-Sicht passen und versuchen, einfach im Einzelfall herauszufinden, ob wir gerade eine Parallele zwischen einem bestimmten Einzeltier und uns entdeckt, ob wir sogar ein Bedürfnis gefunden haben, das viele Menschen mit vielen Hunden gemein haben, oder ein Gefühl, das viele Menschen mit vielen Säugetieren teilen. Denn auch die Differenzierung zwischen den Vertretern einer Gattung gehört dazu: Hunde und Pferde unterscheiden sich untereinander ähnlich stark wie wir Menschen – und es mag hart klingen, aber es gibt viele Krähen, die einen Grossteil menschlicher Dummies haushoch schlagen in Experimenten, die Intelligenz oder Geschicklichkeit erfordern.

Differenziert den konkreten Einzelfall anschauen: ist es sinnvoll, ein Pferd einzudecken in der kalten Jahreszeit, einem Hund ein Mäntelchen anzuziehen? Um diese Frage zu beantworten, hilft Geschwurbel von ‘Vermenschlichung’ oder ‘artgerechter Haltung’ nicht. Ein geschorenes Rennpferd, Sportpferd im Einsatz? Unbedingt, würde ich sagen. Einen Nackthund bei Minustemperaturen? Da neige ich auch zu ‘unbedingt’. Ein Pferd auf der Winterweide, das Zeit hatte, Unterwolle zu bilden? Ein Shetty? Nicht nötig, ausser vielleicht, wenn das Pferd sehr alt und bereits etwas geschwächt ist. Ein Bernhardiner mit Hundehütte? Wohl kaum. Haben Hunde Angst vor Feuerwerk? Der eine schon, der andere nicht. Wenn ich meinen beiden Hunden weitgehende Angstfreiheit zubillige, so aufgrund der bislang gemachten Erfahrungen und mit der Offenheit, dass doch mal ein Drache angeflogen kommt, vor dem sie sich fürchten. ‘Vermenschliche’ ich sie? Ich denke nicht. Dumm wäre nur zu glauben, alle Hunde seien angstfrei. Ein Blick auf den lieben Nachbarhund, der sich am 1. August und an Silvester in die hinterste Ecke verkriecht, zeigt, dass es soviele Unterschiede bei der Hundeangst gibt wie bei uns. Mein kleiner Jack Russell rast in jede Kuhweide und will die grossen Kühe rumjagen – ‘vermenschliche’ ich ihn, wenn ich bei ihm eine gute Portion Grössenwahn zu erkennen glaube?

Fazit: Wenn wir genau hinsehen, können wir uns die ganze ideologiegetränkte Debatte um die ‘Vermenschlichung’ sparen. Es wird dann auch ungemein viel spannender. Werft doch mal ein paar Baumnüsse auf die Strasse und schaut, was die Krähen damit machen, und überlegt, ob ihr selbst auf diese Idee gekommen wärt – nur so von wegen Intelligenz. Es könnte sein, dass die schwarzen Vögel euch die Anmassung einer ‘Verkrählichung’ vorwerfen. Auflösung im nächsten Heft 😊.

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2 Comments

  1. Avatar marpa

    Ute

    Ich stimme zu und widerspreche doch.
    Die von Menschen gemachten Kriterien zur Intelligenzmessung, oder überhaupt zur Messung von wie auch immer gearteten Fähigkeiten von Nicht Menschen, werden immer Stückwerk sein und deshalb auch ein Beweis menschlicher Hybris, weil der Mensch nicht das Maß sein kann.
    Das schreibe ich als Naturwissenschaftlerin. Nicht als Fundamentalistin.
    Wer naturwissenschaftlich gearbeitet hat, nun verwende ich den Begriff Offenheit vom nächsten Beitrag,wird,wenn er ehrlich ist, die Begrenztheit,auch bestens ausgearbeiteter Versuchsanstellungen offen zugeben.
    Ich bin der Meinung,es ist sinnvoll , sich dessen bewusst zu sein, das Tiere Fähigkeiten haben die den Menschen entweder versagt sind , oder die sie verloren haben.

    • Avatar marpa

      So sollte es in keiner Weise rüberkommen. Ich habe noch nie einen absoluten Wahrheitsanspruch reklamiert, so auch nicht für die Studien zur Intelligenz von Tieren, Pflanzen, Zellen, weder in diesem Text noch sonst wo. Natürlich sind die relativ und menschengemacht. Ich dachte, dies sei selbstverständlich. Vor allem entwertet der Einwand ja den Hauptfokus des Textes nicht: die Einladung, die Weltsicht mal versuchsweise um 90 Grad zu kippen und die Mitwelt in ihrer ganzen Vielfalt auf Augenhöhe zu betrachten. Aber durchaus interessant ist die These, dass wir möglicherweise einige Fähigkeiten und Kenntnisse verloren haben, über die Menschen in früheren Zeitaltern noch verfügt haben und über die viele Tiere heute noch verfügen. Ich habe schon oft darüber geschrieben, z.B. über die Erkenntnis, dass alles mit allem verbunden ist, oder dass Verlust ein unverzichtbares und auch wichtiges Korrelat, ja ein zwingendes Merkmal des Lebens ist und auf diesem Hintergrund sowohl die manische Verlustvermeidung wie die verzweifelte Lebensverlängerung-um-jeden-Preis der Menschen nicht der Lächerlichkeit entbehren. Wer die Ohren spitzt, kann vielleicht die nichtmenschliche Mitwelt darüber kichern hören.

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