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“Herr Luchser, ich mache eine Studie im Auftrag meiner Hochschule zur Bestätigung einer Einsteinschen These und Sie zählen zu den Auserwählten, die ein KI-Algorithmus für eine Teilnahme selektioniert hat. Laut meinen Unterlagen sind Sie wohlgebettet im kantonalen Veterinäramt besoldet und geben seit Jahr und Tag immer wieder dieselben Kurse für Menschen, die in Helvetien mit Pferden rumfahren wollen. Sind Ihre Kurse so schlecht oder die Leute so dumm, dass auch die erfahrensten Transporteure diese Kurse alle zwei Jahre wiederholen müssen? Oder sind die offenbar ständig spriessenden neuen Verbote und Gebote rund um den Pferdetransport nirgends online greifbar, sodass die Leute zu Ihnen in Ihre teuren Kurse pilgern müssen? Oder geht es vielleicht einfach darum, dass Sie nichts anderes können, und die Kurse sind eigentlich für Sie da und gar nicht für die Teilnehmer?”

Tills grösstes Problem war, sein freches Lachen zu unterdrücken, als er sah, wie der zuerst verwirrt-dümmliche Gesichtsausdruck Luchsers langsam mit dem Einsickern des Gesagten rot anschwoll und einen wütenden Zug annahm, als es aus ihm herausbrach: “Ich führe nur Weisungen aus, die auf klaren gesetzlichen Grundlagen beruhen!” – “Und das tun Sie auch, wenn diese Weisungen strohdumm sind und nur geschaffen wurden, um überflüssige Beamte zu beschäftigen?”, stichelte Till weiter. – Luchser schlug zu, verpasste aber das Ton und Bild aufnehmende Handy Tills, der schmunzelnd anfügte: “Sicher gibt es für Ihr Dreinschlag-Argument auch gesetzliche Grundlagen? Handeln Sie gerade aus Notwehr, StGB Artikel 15? Oder könnte es sein, dass wir hier gerade der unendlichen Dummheit auf der Spur sind?” Bevor Luchser nach Waffen greifen konnte oder vor Wut zu kollabieren drohte, fotografierte Till nochmals das verzerrte Gesicht des Beamten und zog sich lächelnd zurück, sich fröhlich mit den Worten verabschiedend: “Vielen Dank, Herr Luchser, auch im Namen Einsteins. Sie haben seine These brillant bestätigt.”

   Sein neues Forschungsprojekt machte ihm einfach zu viel Spass. Ziel seiner Studie war, eine berühmte These des Physiknobelpreisträgers Albert Einstein in einem gesonderten, überblickbaren Bereich zu bestätigen oder zu widerlegen. Einstein behauptete einmal, zwei Dinge seien unendlich gross, das Universum und die menschliche Dummheit. Beim Universum sei er sich aber nicht ganz sicher. Till lachte sich futsch, und als er sich das nächste Mal beim Versuch, einen Nagel einzuschlagen, auf den Daumen schlug, hatte er bereits einen ersten Beleg für Einsteins These: auch seine eigene Dummheit schien uferlos zu sein.

   Wohlweislich wählte er dann natürlich für seine Studie als ‘gesonderten Bereich’ nicht etwa das handwerkliche Geschick beim Heimwerken, sondern die helvetische Pferdeszene mitsamt ihren Feinden, den regulierungswütigen Staatsdienern im BA für Landwirtschaft, bei den muffigen Tierlizählern von Agate,  all den grauslichen kantonalen Veterinärämtern, über den dank seiner Monopolstellung auch wie ein Bundesamt dahindümpelnden Reitsportverband bis zu den fanatischen Tierschützern. Er ahnte schon im Voraus, dass er reiche Beute einfahren würde.

Frohgemut trällernd machte er sich auf den Weg zu seiner nächsten Studienteilnehmerin, Frau Hagenbüchle, Besitzerin eines Pensions- und Handelsstalls in Stadtnähe. Till hielt vor einer herausgeputzten Anlage mit weissen Weidezäunen, einem geranienreichen Wohnhaus, einer grossen Halle aus hellem Holz und einem perfekt geeggten Sandplatz mit nigelnagelneuen Sprüngen drauf. Er parkierte auf dem markierten Gästeparkplatz und checkte vor dem Aussteigen noch schnell seine Schuhe. Nicht dass er noch Dreckkrümel von zuhause in dieses ‘Schöner wohnen’-Umfeld einschleppte. Im Stall waren mehrere eifrige Helfer am Fegen des sowieso schon blitzsauberen Stallgangs – man hätte das Frühstück vom Boden auflecken können. Rasch äugte Till in die erste Box hinein: die wenigen Strohhalme konnte ein ‘Erst-Chegeler’ an der linken Hand abzählen, dafür einiges an Bollenhaufen – und eine Urinpfütze, die dank des perfekt wasserdichten Gummiuntergrunds nicht ablaufen konnte. Bevor Till seine schelmische Freude über den eklatanten Widerspruch zwischen Schein und Sein verbergen konnte, kam ihm eine elegant gekleidete Dame mit tiefem Ausschnitt und perfektem Verkäuferlächeln entgegen. Sie lud ihn ins ‘Reiterstübli’ zum Kaffee ein und reagierte etwas genervt, als er es vorzog, im Stall zu bleiben und ihr versicherte, seine Befragung brauche nur ganz wenig Zeit.

   “Frau Hagenbüchle, bei Ihnen ist alles reich, grosszügig und blitzblank für die Menschen, aber die Pferde haben fast keine Einstreu und stehen im Mist? Ist Ihnen das Menschenwohl so viel wichtiger als das Pferdewohl? Ist Ihnen der äussere Schein wichtiger ist als das, was die Pferde in ihren stinkigen Boxen einatmen und in den Hufen kleben haben?” – Frau Hagenbüchle zog die Augenbraue hoch und versetzte mit einem leichten Schuss Verachtung in der Stimme: “Herr Ulenspiegel, Sie wissen, man hat nie eine zweite Chance, einen ersten Eindruck zu machen. Sie haben den Ihrigen bereits vermasselt.“ – Till lächelte: “Würden Sie eine Nacht in einer Ihrer Pferdeboxen verbringen, Frau Hagenbüchle? Ohne dass jemand unter Ihnen liegt?” – “Jetzt reichts. Verlassen Sie sofort meine Anlage.” – “Mit grösstem Vergnügen, und vielen Dank, Frau Hagenbüchle. Auch Sie haben Einsteins These von der Unendlichkeit menschlicher Dummheit aufs Schönste, ja aufs Duftreichste bestätigt!”

Bei der Fahrt zu seinem nächsten Opfer zitierte Till munter seinen geliebten Wilhelm Busch: “Dieses war der zweite Streich – und der dritte folgt sogleich!” Er freute sich auf den Schaumschläger, der käumlich Einsteins Behauptung widerlegen würde, verlangte aber dennoch von sich, die Möglichkeit offen zu lassen, dass sich der eitle Selbstdarsteller wider Erwarten klug benehmen könnte. – Und da kam er schon angerollt, nein, er trat auf: mit auf Hochglanz poliertem Schuhwerk und wehenden Rockschössen – ganz der wichtige Mann, der sich zwischen zwei Terminen Zeit nahm für einen kleinen Jungforscher aus einfacheren Schichten.

   “Herr Knüll, Sie haben bislang eigentlich nur das Geld der Pferdesportler verpulvert für eine völlig unnötige Fassadenrenovation des Pferdesportverbandes mit neuem teurem Logo und all den Folgekosten. Dazu ein bisschen Zentralisierung der Struktur, also genau das Gegenteil dessen, was sich die zutiefst föderal organisierten Schweizer Pferdesportler wünschen. Und jetzt brauchen Sie mehr Geld um all den unnötigen Kram zu berappen. Geld, das Sie wieder den Sporttreibenden abluchsen. Ist die FEI ihr Vorbild, die keine Veranstalter für Championate mehr findet, weil sie die nicht unterstützt, sondern von ihnen üble sechsstellige Beträge verlangt, dass sie ein Championat austragen dürfen? Könnte man sagen, das war bislang alles nur Müll, Herr Knüll?” Knüll zeigte seine sehr weissen Zähne und blieb gefasst. Er war als Politiker schon übler von den Medien durch den Kakao gezogen worden und wusste, dass er nicht die hellste Kerze auf dem Kuchen war. Trotzdem oder gerade deswegen war er stolz, es so weit gebracht zu haben. Er hatte sich auch sein Vokabular etwas aufgestockt mit ein paar wohlklingenden Begriffen aus der Welt von Kampf und Krieg, obwohl er weder von Militär noch von Unternehmensführung die leiseste Ahnung hatte. “Versuchen Sie strategisch und langfristig zu denken. Mit dem neuen Namen haben wir das Reizwort ‘Pferdesport’, das der Tierschutz-Lobby sauer aufstösst, nicht mehr im Namen – und wir umfassen alle, die irgendwo mit Pferden zu tun haben. Und mit dem Abschied vom Kürzel SVPS verabschieden wir uns auch definitiv von der Nähe zur SVP.” – “Die grosse Strategie ist also ein siegreicher Rückzug aus Angst vor Kritikern und ein fauler Versuch, jedem, der irgendwo ein Eseli im Garten hat, dreinzureden und v.a. Geld abzuknöpfen?” – “Sie haben noch nicht begriffen, dass es heute darum geht, etwas mehr Diktatur zu wagen, auch und gerade rund ums Pferd.”

Till war begeistert! Natürlich hatte auch dieser Teilnehmer die Einsteinsche These bestätigt, aber er hatte einer zusätzlichen Erkenntnis zum Durchbruch verholfen: Dummheit, auch unendliche, war keineswegs gleichbedeutend mit Erfolglosigkeit. Knüll war ja keineswegs erfolglos. Vielleicht hatte es die Menschheit ja zur aktuell recht erdrückenden und unbestrittenen Vorherrschaft gebracht, nicht weil sie so klug, sondern weil sie so dumm war? Auch auf der Ebene des Individuums waren es doch gar nicht die Klugsten, sondern eher die vom anderen Ende der Skala, die an den Hebeln der Macht sassen, standen, lagen. Till wollte schon eine Aufzählung beginnen, in der es von Politikern wimmelte, erinnerte sich an die These eines kritischen Spötters, Politik sei eine Negativauswahl, also je inkompetenter und nutzloser einer sei, desto mehr ziehe es ihn in die Politik, merkte dann aber, dass es auch bei den erfolgreichsten Unternehmern durchaus Anzeichen grandioser oder eben Dummheit von Einsteinscher Unendlichkeit gab.

   Wäre ja gigantisch, wenn seine Studie nicht nur Einsteins These von deren Unendlichkeit bestätigen würde, sondern darüber hinaus zeigen könnte, dass Dummheit das entscheidende Wesensmerkmal der Spezies Mensch sei, sozusagen die differentia specifica., die ihn von allem anderen unterschied, was da kreucht und fleucht? Mit dem kurz aufflammenden Wahn, dass ihm für diese bahnbrechende Erkenntnis genauso wie Einstein ein Nobelpreis zustünde, wurde auch sein Geist von der unendlichen menschlichen Dummheit durchflutet.

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