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Macht ist ein unabdingbares Korrelat zum ‘Auf-der-Welt-Sein’, ein Schöpfungsparameter zweiter Ordnung nach der obersten Ebene der zumindest nach dem Urknall[1] sich zeigenden unterscheidbaren Objekte, die in Raum und Zeit (bzw. in der Einsteinschen Raumzeit) mehr oder weniger konfliktreich aufeinandertrafen und -treffen, was zu Verknüpfungen wie Abstossung, Anziehung, Verschmelzung, Vernichtung et al. dieser zumindest teilweise über Bewusstsein ihrer Abgetrenntheit verfügenden unterscheidbaren Objekte und damit unvermeidbar zu Machtverhältnissen führte und führt. Sowohl die Abgetrenntheit wie die Unabdingbarkeit daraus resultierender Machtverhältnisse könnte sich durchaus als Illusion erweisen. Aber ich gehe im Folgenden einmal von diesem Modell aus.

Macht ist die bislang einzige mir bekannte Möglichkeit einer Entität, sich und als ‘Andere’ wahrgenommene Entitäten in ihrem Wahrnehmungsumfeld an-zu-greifen, zu er– greifen, sich daran zu ver-greifen, um sie zu be-greifen. Natürlich passt diese Analogie der Greifbewegung nur zu Entitäten, die greifen können, also speziell zu Tieren mit Zangen, Klauen, Pfoten, Händen. Beim Menschen erkennen wir die durch Greifen ausgeübte Macht bereits beim Säugling im Stubenwagen, dann bei den mit Erde, Sand, Würmern und Schnecken spielenden Kleinkindern, bei den ihre wachsende Macht an Kameraden, Geschwistern, Eltern, Lehrern austestenden heranwachsenden Kindern und Jugendlichen – und schliesslich bei den die Macht des Greifens und Begreifens überall, im Beherrschen des Ausbildungsstoffs, im Beruf, im Sport, im Hobby, in den Beziehungen zu Dingen, Pflanzen, Tieren, Menschen ausreizenden Erwachsenen. Zur Abrundung folgt am Schluss das Erlebnis des Machtverlusts im Alter, das vielen erst die gehabte Macht bewusst macht.

Wenn wir uns einmal mit der Tatsache abgefunden haben, dass Macht unentrinnbar und unvermeidbar zum Leben gehört, können wir sie etwas differenzierter anschauen, bevor wir einen Definitionsversuch wagen, was ja auch nicht mehr bedeutet, als die Grenzen des Phänomens und auch des Begriffs ‘Macht’ abzustecken.

Der deutsche Begriff ‘Macht’ kommt vom Verb ‘machen’. Sobald wir etwas machen, z.B. als Säugling in die Windeln, üben wir Macht aus – was jede Mutter (bislang allerdings noch nicht jeder Vater) bestätigen kann.  

Macht induziert eine Vertikale, ein hierarchisches Oben-Unten; oben die Macht innehabende, besitzende, ausübende Entität, unten der, die oder das von der Macht Erreichte, Berührte, Gestaltete.

Der Starke braucht die Vertikale nicht, braucht die Machtposition nicht. Er begegnet der Welt auf Augenhöhe, bereit, sich ansprechen zu lassen von ‚Welt‘, auf die Ansprache zu antworten. Seine Welt ist Mitwelt, nicht Umwelt. Er ist bereit für das Abenteuer der Begegnung mit Welt, die zu Spiel, Auseinandersetzung, Wettbewerb, Konflikt, Anstrengung, Vereinigung, zum Schaffen von Neuem, zum Erlangen von Erkenntnis, aber auch zu Verzicht, Verlust, Niederlage, Schmerz Tod führen kann und letztlich zum Tod, zum Ende des Spiels führen wird. Er kennt die Spielbedingungen und ist einverstanden mit ihnen. Er nimmt die Unsicherheit der Abfolge, der Art und Intensität der Begegnungen mit Welt in Kauf, weil er weiss, dass das Nicht-im-voraus-Wissen, das Nichtkennen des Spielverlaufs genuin und untrennbar zum Abenteuer gehört. Für ihn besteht der Kern des Spiels gerade in dieser Unkenntnis des Verlaufs und der Unwägbarkeit der Begegnungen. Er nimmt alle Herausforderungen, an. Läuft nicht weg, beschuldigt weder die Mitspieler noch lehnt er sich gegen die Spielregeln auf. Sicherstes Erkennungszeichen des Starken ist die Angstfreiheit und die Übernahme der vollen Verantwortung für alles, was ihm im Verlauf des Spiels begegnet. Weitere Erkennungszeichen des Starken sind Einverständnis mit sich und der Welt und Dankbarkeit für das Gesamtabenteuer ‚Leben‘, aber auch für alle damit verbundenen Begegnungen und Herausforderungen.

Der Schwache hingegen braucht diese vertikale Verortung. Er muss genau wissen, wo er in der Hierarchie steht, wo er kriechen und buckeln muss, wo er strampeln, nach unten treten kann. Der Schwache nimmt Hierarchien als gegeben an und versucht bestenfalls, etwas höher zu klettern, um das Verhältnis von Kriechen und Treten zugunsten des Tretens zu verschieben. Milliardenverluste, wirtschaftliche, politische Misserfolge, Korrumpierung ganzer Systeme, verlorene Schlachten und Kriege gehen auf die Myriaden von Schwachen zurück, denen das Gerangel um etwas mehr geliehene, gestohlene, gekaufte, nicht erarbeitete Macht wichtiger ist als ihre Tätigkeit, ihre Aufgabe, ihr Beruf. Verallgemeinerungen sind gefährlich, aber cum grano salis ist dieses Phänomen meines Wissens seit Jahrhunderten nirgends deutlicher auszumachen als im Hierarchiestaat Deutschland, und dies völlig unabhängig von der gerade benutzten Staatsform, auf allen Ebenen vom Kaiser/Führer/Kanzler bis zur kleinsten Behörden- oder Familienstruktur: überall Vertikale. Das mit Kadavergehorsam, Blockwartmentalität und Denunziantentum verknüpfte Leben in Hierarchien von Machtausübenden, die ihre Macht samt und sonders nicht erarbeitet haben, scheint in gewissen Kulturen stärker ausgeprägt zu sein als in anderen und zeigt sich in Deutschland auch in der Literatur und im Filmschaffen. Der Liberale hat meist wenig Verständnis für die in vertikalen Hierarchiemustern verstrickten Schwachen.

Unverdächtige Macht: die erarbeitete, erworbene  Macht über sich selbst

Wer eine Fremdsprache erlernt, bis er ihrer mächtig ist und sich mit Menschen gleicher Zunge ohne Übersetzungssoftware oder Dolmetscher unterhalten kann, hat konkrete Macht erworben, die ihn bevorteilt gegenüber demjenigen, der diese Fremdsprache nicht beherrscht. Wer seine Gefühle, seie Gier, seine Triebe zu beherrschen gelernt hat, hat ebenfalls Macht erworben: über Teile seines Ichs. Wer sich irgendwelche berufliche, handwerkliche, sportliche, künstlerische Fähigkeiten erworben, antrainiert, ausgebildet hat, verfügt über ebendiese erarbeitete Macht. Diese Formen der Macht sind nicht nur unverdächtig, sondern in höchstem Masse anstrebenswert und werden in einem gesunden Edukationsmodell optimiert und maximiert.

Verdächtige Macht: die geliehene, angemasste Macht über andere, anderes

Macht, der man sich nicht entziehen kann

Adolf Hitler war ein völlig bedeutungsloser Flachmaler und Gefreiter, der weder durch besondere äussere noch innere Qualitäten auffiel. Zur Übertünchung dieser Bedeutungslosigkeit wählte er den Weg über die Verdrängung, die Erfindung einer Ideologie, das Erlangen von Macht, herostratischem Ruhm und schliesslich den Suizid. Hätte er dies getan ohne andere zu involvieren, wäre sein Leben und Sterben wahrscheinlich der ganzen Welt schnurzegal gewesen: ein verkorkster Trottel weniger, so what? Aber es kamen auf seinem persönlichen Weg aus der Bedeutungslosigkeit, seinem Trip nach maximaler Befriedigung seiner Machtgier je nach Zählweise rund 80 Millionen Menschen ums Leben, die sich seiner Paranoia nicht entziehen konnten. Es wimmelt von Beispielen auch heutzutage. Pandemie und Klima sind geradezu ideale Trittbrettchen für Machtgierige, denen gerade der Schaden, der Kollaps, der wirtschaftliche Untergang oder – Krönung der Machtgier – der Tod möglichst vieler von ihrer Machtausübung Betroffener die höchste Lust bereitet. Macht ist auch wenn man sie sich selbst erarbeitet, immer auch ein Ausweg aus der Bedeutungslosigkeit, ein Weg zu Geld und Ruhm und Lustgewinn. Und es ist nachvollziehbar, dass Herr über Leben und Tod zu sein zu den ganz grossen Gewinnen pervertierter Lust gehört. Aber bei Macht, der man sich nicht entziehen kann, hakt der Liberale ein und wird ungemütlich, wenn nötig auch durchaus gewalttätig, auch wenn er dann Gleiches mit Gleichem, Machtmissbrauch mit Machtmissbrauch beantwortet, getreu seiner Maxime: Tolerant mit den Toleranten, aber intolerant mit den Intoleranten. Der Liberale kämpft für die Freiheit und ist nicht derjenige, der ‘die andere Wange hinhält’. Das überlässt er den Frommen.

Macht, der man sich entziehen kann

Mick Jagger war ein kleiner, aufmüpfiger Junge, der gerne Musik hörte und bald merkte, dass er auch ein gewisses Talent hatte, mit selbstgemachter Musik Aufmerksamkeit zu erlangen. Er wählte diesen Ausweg aus der Macht- und Bedeutungslosigkeit und war sehr erfolgreich damit. Der Weg führte zu Ruhm, Geld und Macht, zu grosser Nachkommenschaft im physischen und Gefolgschaft im soziologischen Sinne, und der Weg war mit Drogen angereichert. Trotzdem wurde er zum Ritter geschlagen und produziert auch mit weit über 70 noch Musik. Aber es war und ist immer möglich, ihm aus dem Weg zu gehen. Mich hat er nie interessiert. Ich habe noch ihn noch nie gesehen und noch nie auch nur einen einzigen Ton seiner Musik gehört. Ich würde ihn weder an seinem Äusseren noch an seiner Stimme, noch an der von ihm geschaffenen Musik erkennen. Ich gönne ihm alles, was er ist und hat – und bin dankbar, dass ich mich nie mit ihm beschäftigen musste. Es war und ist freiwillig, sich mit ihm und dem, was er tut, auseinanderzusetzen. Er kam mir nie in die Quere.

Zwang – der entscheidende Unterschied

Sehen Sie den riesigen, den meines Erachtens entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Figuren, die beide erfolgreich nach Bedeutung, nach Ruhm, Macht, Geld strebten? Entscheidend ist nicht, ob sie nach meinem oder sonst jemandes Gusto ‚richtig‘ lebten, wie das die heute so stark ideologisch gefärbte Bevölkerungsschicht der selbsternannten ‚Gutmenschen‘ missionarisch von allen verlangt und sich damit auf dem Pfad von Hitler und nicht auf dem von Jagger befindet. Entscheidend ist der Zwang zur Gleichschaltung, das Vorschreiben dessen, was gefühlt, gedacht und getan werden soll, werden muss. Noch kann man quer zum Mainstream fühlen und denken, aber beim Handeln wird es bereits schwierig. An deutschen Universitäten herrscht laut einer aktuellen Umfrage bereits ein fortgeschrittener Gesinnungsrassismus. Über 50% der Befragten gab an, dass Leute mit abweichenden Meinungen – zum Beispiel beim Thema Klimaerwärmung oder bei Genderfragen – von der Uni gewiesen werden sollten. Ein Grossteil der Medien – allen voran das staatlich finanzierte Fernsehen in der Schweiz, in Deutschland und vielen anderen vermeintlich rechtsstaatlich verfassten Ländern – pflegt ganz bewusst diesen verengten Blick, der nur Meinungen zulässt, die dem Mainstream entsprechen. Vorläufig ist es Desintegration, Mobbing, Zensur, Ausgrenzung, aber der Weg ist nicht mehr weit, bis wir bei Zuständen anlangen, wie sie in Diktaturen immer schon gang und gäbe waren und es auch heute noch sind: Überwachung – leichter denn je dank ‚big data‘ und Erfassung Andersdenkender, die man einperrt, in Lager verfrachtet, foltert und umbringt. Es ist nur eine Frage der Macht, der Durchsetzbarkeit dessen, was die mit Macht Ausgestatteten für ‚richtig leben‘ halten.

Ich hoffe, es ist gelungen, den zentralen Faktor herauszuarbeiten? Es ist nicht die Art, wie man selbst fühlt, denkt und handelt, sondern allein der Wille, dem andern die eigenen Vorstellungen von ‚richtig leben‘ aufzuzwingen. Mick Jagger tut es meines Wissens nicht – ich glaube, es ist ihm ziemlich piepegal, dass es Leute wie mich gibt, die sich nicht für ihn interessieren, seine Musik nicht kennen. Hitler tat es. Putin tut es. Kim Yong Un tut es. Xi Jinping tut es. Der IS und alle Terroristen tun es. Und die vom Klimawahn Befallenen tun es. Die Coronahysteriker und Impfzwangbefürworter tun es. Kollektivistische Politiker auch in unserem Land tun es. Allen gemeinsam ist die aggressive Durchsetzung ihres absoluten Wahrheits- und Gültigkeitsanspruchs. Auch hier muss man genau hinschauen:

Wenn du für dich mit absoluter Sicherheit überzeugt bist, dass Barça die weltbeste Fussballmannschaft ist und bleibt – geschenkt! Das key-word ist ‚für dich‘. Denn es bedeutet, dass dein Freund ebenso leidenschaftlich überzeugt sein darf, dass Real Madrid – und ganz sicher nicht Barça! – der beste Fussballclub der Welt sei. Erst wenn sich die Freunde gegenseitig totschlagen – oder als Hooligans auf die Fans anderer Mannschaften einprügeln, ist die Grenze zum Machtmissbrauch überschritten. Ich habe als 17-Jähriger ein Jahr lang nur Bach gespielt auf dem Klavier – für mich war und ist er der bedeutendste Musiker der Welt. Aber eben nur ‚für mich‘. Es störte mich keineswegs, dass meine Klassenkameraden damals den Kopf schüttelten über mich und sich die Rolling Stones reinzogen. Wenn aber der prächtige Kreuzritter mir sein Schwert an den Hals hält und knurrt: „Christus – oder Kopf ab“ bzw. der zugereiste IS-Freak aus Niederscherli selbiges zu einem Gefangenen mit Mohammed statt Christus macht, weil er jetzt plötzlich auch findet, Allah sei als einziger akbar und das müssten nun auch die Ungläubigen aus Oberscherli begreifen, dann sind wir klar auf dem Hitler-Trip.

Wir können diese Unterscheidung herunterbrechen auf ganz Alltägliches. Wer eine echte St. Galler Kalbsbratwurst mit Senf überschlirpt, erntet bei Einheimischen bestenfalls ein mitleidiges Kopfschütteln. Er outet sich damit ganz klar als ignoranter Auswärtiger. Aber ich habe noch nie gesehen oder gehört, dass ein solcher kulinarischer Banause vom Tisch gewiesen oder ihm der Senf entrissen wurde oder gar Schlimmeres mit ihm geschehen wäre. Erst dann wäre die Grenze zur aktiven Intoleranz überschritten.

Und wir können den Hitler-Jagger-Unterschied natürlich auch bei Kollektiven beleuchten. Wenn sich ein paar freiwillig in die Sekte eingetretene Sonnentempler durch kollektiven Suizid allgemeine Richtung Nirwana verabschieden, so stört das den Liberalen keinen Moment. Solange sie niemanden mit in die Luft bliesen, der das nicht wollte und sie keinen grossen Sachschaden anrichteten, kann man das sogar als positiv für die CO2-Bilanz abhaken. Wenn aber bereits 1931 beim «Ku’dammkrawall» SA-Leute ‚Schlagt die Juden tot!“ schrieen und Leute tätlich angriffen, die ihrer Ansicht nach jüdisch aussahen, so haben wir das wohl plakativste und hirnrissigste Beispiel von Intoleranz und Machtmissbrauch vor uns: es brauchte weder ein individuelles Denken oder Handeln, es reichte die Zugehörigkeit zu einer Religion oder Ethnie, um andern das Lebensrecht abzusprechen, um ausgemerzt zu werden. Dass dies sieben Jahre vor der Kristallnacht und dem explizit geäusserten rassistischen Ziel der Arisierung und acht Jahre vor Kriegsausbrauch stattfand – und die Welt nur zuschaute, ist für uns Heutige schwer nachvollziehbar. Und doch ist es wieder möglich – aus denselben Gründen wie damals. Handel war und ist den meisten wichtiger als die Unterdrückung oder Vernichtung irgendwelcher Zielgruppen – solange es nicht die ist, zu der man selbst gehört. Oft braucht es nicht einmal eine Religion oder Ideologie, es reicht die Hautfarbe oder die Form der Augen, um in den Augen derer, die gewillt sind, ihren absoluten Wahrheitsanspruch aggressiv durchzusetzen, zur ‚falschen‘ Zielgruppe zu gehören. Bei Kollektiven kommt die Bestätigung der eigenen Sicht durch die Gleichgesinnten dazu. Ein ungemein wichtiger Faktor, um jegliches Nachdenken über die Legitimation des eigenen Absolutheitsanspruchs zu unterbinden und allfällige Aggressionshemmungen abzubauen. In der Fankurve grölt sich’s leichter. Und wenn andere Feuerwerkskörper werfen, braucht es nicht mehr viel Mut, es ihnen nachzutun. Und wenn nach dem Spiel die Schlägerei mal in Gang ist, kann man ohne ein grosser Held zu sein auch ein wenig mithauen.

Es ist also nicht unsere ganz persönliche Wertehierarchie, ohne die wir am Morgen nicht einmal aus dem Bett hüpfen würden, sondern nur die Art und Weise, wie wir sie nach aussen tragen. Es ist die Absolutheit des Gültigkeitsanspruchs, die uns bei der Anwendung von Macht das Feld der Toleranz verlassen lässt. Wenn wir für irgendetwas den Anspruch erheben, es hätte losgelöst von uns – ‚absolvere‘ heisst ‚loslösen‘ – zwingende Gültigkeit für alle andern, und unsere geliehene Macht für die Durchsetzung einsetzen, dann ist der Rubikon überschritten.

Mögliche Legitimation von ‘Macht über andere’

Macht über andere kann nur dann den Ruch des Missbräuchlichen abstreifen, wenn die von der Macht betroffene Entität – das kann ein Mensch, ein Tier, eine Pflanze, ein natürliches oder künstliches Objekt sein – entweder sich bei vollem Bewusstsein und intakter Zurechnungsfähigkeit ohne Druck und Zwang mit jedem einzelnen Machtakt einverstanden erklärt hat oder, wenn der Machtausübende aus kommunikativer Inkompetenz keinen Zugang zu allfälligem Bewusstsein oder Zurechnungsfähigkeit der von seiner Macht betroffenen Entität erreicht, er also keine Sicherheit über das Einverständnis zu seinen Akten erhält, der Machtausübende nach bestem Wissen und Gewissen und mit der maximalen ihm zu Gebote stehenden Empathie und Achtsamkeit das für die von seiner Macht betroffene Entität Bestmögliche zu promovieren versucht und sich dabei weder von seiner eigenen gerade aktuellen Ideologie noch von seiner Religion noch einem sonstigen Glaubenssystem leiten lässt.

Aus dieser These lassen sich folgende Herausforderungen ableiten:

  • Voraussetzung für einen achtsamen Umgang mit Macht ist Kommunikation in einem sehr weiten Sinne, also der Versuch, nicht nur mit Menschen, sondern mit Tieren, Pflanzen, Flüssen, Bergen, Steinen, Holz, Metall, Autos, Musikinstrumenten, Computern – letztlich mit allem, was in unserer Wahrnehmung gerät – zu kommunizieren. Begriffe wie ‚Tierschutz‘, Umweltschutz‘ erhalten damit eine viel grössere Bedeutung als nur gerade die utilitaristisch-anthropozentrische der Erhaltung eines ‚lebenswerten Lebensraumes‘ für möglichst viele Menschen. Anstatt sich ständig selbst zu feiern als ‚Krone der Schöpfung‘ und sich kaum erholen zu können vor Stolz über die Suprematie des Menschen, die von vielen nach wie vor mit der Verbalsprache begründet wird – meines Erachtens das mit Abstand misserfolgs- und missverständnisreichste Kommunikationssystem – gälte es, die Sprachen der Tiere, Pflanzen und Dinge zu erlernen und mit etwas mehr Demut und Bescheidenheit die Botschaften lesen zu lernen, die alles von uns Wahrgenommene für uns bereit hält.
  • Die angesprochene Problematik der menschlichen Verbalsprache zeigt sich unter anderem bei den von mir verwendeten unscharfen Worthülsen wie ‚volles Bewusstsein‘ und ‚intakte Zurechnungsfähigkeit‘, denn einerseits ist es tatsächlich sehr schwierig, das Vorhandensein dieser Voraussetzung eines ernst zu nehmenden Einverständnisses mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, da heute fast jede Eigenschaft und jede Befindlichkeit als Ausrede gilt für verminderte Zurechnungsfähigkeit oder Bewusstseinsmängel, andererseits verleitet diese Unschärfe der Begriffe viele Machtausübende dazu, über den Kopf der von ihrer Machtausübung Betroffenen hinweg zu agieren und im Zweifel immer Mängel des Bewusstseins und der Zurechnungsfähigkeit anzunehmen. Genau damit entmündigen sie aber die Betroffenen immer mehr und leisten der Tendenz bei den Betroffenen Vorschub, sich gar nicht zur Wehr zu setzen und die Machtausübenden gewähren zu lassen. Die Herausforderung besteht also darin, wenigstens im persönlichen Umfeld auf die von unserer Machtausübung Betroffenen keinen Druck oder Zwang zum Einverständnis auszuüben, sondern sie im Gegenteil zu motivieren, auf ihrer Zurechnungsfähigkeit zu beharren und ihr Einverständnis oder ihre Ablehnung mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zum Ausdruck zu bringen. Und man kann auch Tiere, Pflanzen, Berge, Meere, Wälder, Instrumente, ja sogar künstliche Dinge wie Autos um ihr ‘Einverständnis’ ersuchen zu unserer Machtausübung. Man muss einfach vorher deren Sprache erlernen und sich damit ‘unverdächtige Macht’ erarbeiten. Es gibt nicht nur Pferdeflüsterer, ich kenne auch ‘Autoflüsterer’, Seeleute, die die Sprache der See, Berggänger, die die Sprache des Steins, des Bergs verstehen. Die Möglichkeiten des Machterwerbs sind unendlich gross.
  • Angesichts der Problematik rund um das Einholen eines allfälligen Einverständnisses zu unserer Machtausübung wird der zweite Weg umso wichtiger. Dies bedeutet, dass wir unser ‚bestmögliches Wissen und Gewissen‘, unsere Empathiefähigkeit in qualitativer und quantitativer Hinsicht und unsere Achtsamkeit ständig zu entwickeln versuchen sollten. Die Entwicklung dieser Fähigkeiten erhöht wiederum unsere Kommunikationskompetenz mit allem, was in unsere Wahrnehmung tritt.

Ist nun Macht etwas Statisches, ein Zustand oder gar eine Position, ein Ort, wie es die Formulierung ‚X ist an der Macht‘ annehmen lässt? Oder ist Macht etwas Dynamisches, Prozessuales, wie es das Verb ‚machen‘ und die Vorstellung von ‚Macht erlangen‘, ‚Macht erarbeiten‘, ‚Macht erwerben‘ suggeriert? Mein Vorschlag: es ist beides, wobei das Prozessuale wichtiger, das Statische eher etwas Illusionäres ist. Wenn es denn eine Definition braucht, schlage ich vor: „Macht ist eine aktiv gestaltende Wahrnehmungsinterpretation“, wobei wir wie bei jeder Verbaldefinition das Problem der Zirkularität haben, das heisst, dass wir nun ‚gestaltend‘ und ‚Wahrnehmung‘ und ‚Interpretation‘ definieren müssen und dabei das zu Definierende, die Macht, bereits wieder benützen, um die anderen Begriffe zu definieren. Definitionen sind etwas Wunderbares in der Mathematik, in der Verbalkommunikation bleiben sie Stückwerk. Deshalb empfehle ich nach soviel Theorie einen Ausflug in die Praxis der Macht: Viel Spass beim Machterwerb. Lernen Sie Altgriechisch, Hebräisch, Sanskrit, oder Segelfliegen, Kiten, Reiten, oder, wenn es Sie denn wirklich dorthin reisst, wo es mich tragischerweise noch nie hinzog: Buchhaltung, Parkettbodenpflege oder Geld zählen – und toll wäre, wenn Sie die erarbeitete Macht dann mit Einverständnis der Betroffenen ausüben. Nicht alle mögen es, wenn man ihnen die halbe Odyssee in Originalsprache um die Ohren schlägt…


[1] oder den ‘Urknallen’, falls es denn mehrere gewesen sind, oder der Geburt aus schwarzen Löchern, falls das Universum so entstanden sein sollte

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One Comment

  1. Avatar marpa

    Ute

    Ver greifen um zu be greifen. Wie reagiert der Beherrschte an dem sich vergriffen wird?
    Das angeführte physikalische Modell ist heute,mehr denn je auf dem Prüfstand.
    Schwarze Löcher haben dazu geführt die Begriffe von Materie,Energie und Information neu zu überdenken, zu erforschen.
    Jeder Handelnde hat Macht,hoffentlich zuerst über sich.Das ist eine schwere Aufgabe und erfordert Unabhängigkeit. Freiheit oder auch Einsamkeit , denn jede Bindung übt Macht aus.
    Ich finde es schwierig Macht, die ich positiv bewerte, von Gewalt, die ich nicht positiv bewerte ,zu unterscheiden.
    Geliehene Macht ist für mich Gewalt,die ich mit Schwäche verbinde.
    Die Macht , Schaden abzuwenden,auch mit körperlichem Einsatz,oder dem Einsatz von Waffen , muss ausgeübt werden ,und ist ein Zeichen von Stärke.

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